Kaltenkirchen. Mehr als 100 Traktoren und Pkw kommen zur Demo nach Kaltenkirchen. Menschen kämpfen für Landwirtschaft und Mittelstand. Was sie bewegt.
Um Punkt 18 Uhr rollen am Freitagabend mehr als Hundert Trecker und Pkw vom Parkplatz gegenüber der Holstentherme in Kaltenkirchen. Rundumleuchten blinken in der Dämmerung. Landwirte haben sich extra Hupen gekauft, die in einer ohrenbetäubenden Lautstärke Melodien über die Straßen blasen. „Wir müssen zeigen, dass wir ein Problem haben“, sagt Felix Barkhausen (21). „Und das geht am besten, wenn man uns sieht.“
Der 21-Jährige ist zum Bauernprotest extra aus Wulfsmoor hinter Wrist angereist. Sein Vater musste seinen Hof bereits aufgeben, Barkhausen ist nun bei einem Betrieb angestellt. Er wünscht sich, dass die Regierung der Landwirtschaft mehr entgegenkommt. „Und dass sie umsetzt, was uns auf dem Herzen liegt.“
Bauernprotest in Kaltenkirchen: Menschen kämpfen für Mittelstand
Benjamin Albeck hat die Demo als Privatperson organisiert und beim Kreis Segeberg für 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer angemeldet. Das Motto: „Fahrt gegen die Regierung der Ampel“. Der 38 Jahre alte Kaltenkirchener ist selbst kein Landwirt, hat aber viele Freunde, die in der Branche arbeiten und ums Überleben kämpfen. „Es geht um unsere Zukunft und betrifft uns alle“, sagt er.
Klar wird an diesem Abend auch: Die Bauern kämpfen nicht nur für sich, es geht ihnen um den breiten Mittelstand. „Die Leute haben kein Geld mehr in den Taschen“, sagt Yvonne Jäckel aus Kaltenkirchen. Weil die Bauernproteste zuletzt immer wieder mit Menschen aus der rechtsextremen Szene in Verbindung gebracht wurden, ist ihr wichtig, zu betonen: „Unser Protest hat nichts mit ,Rechts‘ zu tun. Wir wollen nicht in diese Schublade gesteckt werden.“
Steuerpolitik: „Wer soll das alles noch zahlen?“
Die Trecker- und Auto-Kolonne fährt zuerst in Richtung Henstedt-Ulzburg, dann über Lentföhrden und Schmalfeld zurück nach Kaltenkirchen. Viele Menschen aus den umliegenden Dörfern, es dürften etwas mehr als 200 sein, sind zur Unterstützung gekommen. Eine Landwirtin aus dem Kreis Pinneberg, die nicht mit Namen genannt werden möchte, hat schon an zahlreichen Protesten teilgenommen. Sie war auch bei der Blockade vor der Zeitungsdruckerei von Axel Springer in Ahrensburg vor knapp zwei Wochen dabei und hat Lastwagen entgegen der Pressefreiheit an der Auslieferung diverser Zeitungen gehindert. Auch das Abendblatt war betroffen.
Sie ist nicht nur mit der Regierung unzufrieden, sondern auch mit der Berichterstattung der Medien. Vor allem aber plagt sie eine Sorge: „Ich habe Angst um meinen Arbeitsplatz.“ Während der Corona-Krise hat sie ihren Job als Veranstaltungstechnikerin verloren. Nun arbeitet sie als Maschinenführerin, fährt Trecker und Lkw, ist im Gewerbe und in der Landwirtschaft tätig – und sorgt sich wieder um ihre Existenz. In Hinblick auf die Steuerpolitik der Regierung fragt sie sich: „Wer soll das alles noch zahlen?“
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Landwirte wollen weitermachen, bis sich Regierung beugt
Marit Thamling ist 17 Jahre alt, geht noch zur Schule und hilft auf dem familiären Landwirtschaftsbetrieb aus. Ihr ist es wichtig, für das zu kämpfen, was ihre Familie einmal aufgebaut hat. Den Schweinebetrieb musste sie bereits aufgeben, auch das Milchviehgeschäft läuft nicht gut. „Durch die Streichung der Subventionen wird noch ordentlich etwas auf uns zukommen. Wir müssen noch mehr auf das Geld achten“, sagt sie.
Mike Kleensang, Landwirt aus Struvenhütten, will nicht aufgeben, bis sich die Regierung beugt. „Wir kämpfen nicht nur für uns, sondern für alle.“