Norderstedt. Einst beliebtes Familienausflugsziel, sorgte ein blutiger Alptraum-Zwischenfall für das baldige Ende des umstrittenen Privatzoos.

Wer die verfallenen Stallungen und Hütten sieht, die in Norderstedt zwischen der Schleswig-Holstein-Straße und dem Kringelkrugweg stehen, kann sich kaum vorstellen, dass hier mal Affen, Waschbären und sogar ein Löwe ihr Zuhause hatten. Es ist einer der ungewöhnlichsten Lost Places in Schleswig-Holstein – und der Ort eines schrecklichen Zwischenfalls, den ein kleiner Junge beinahe mit dem Leben bezahlt hätte: Der ehemalige Tierpark Norderstedt. Seit nahezu 40 Jahren ist der Ort verlassen und verfallen.

Das Gelände ist heute unwegsam und wildbewuchert. Im Sommer müssten sich Besucher einen Weg freischlagen, in diesen Tagen, vor Beginn der Vegetationsperiode, ist es noch möglich, mit einiger Mühe voranzukommen. Wer sich darauf einlässt, verliert aber schnell die Orientierung und irrt ziellos umher.

Tierpark Norderstedt: Seit 1985 liegt alles verlassen da

Ein paar verfallene Hütten und Käfige stehen heute noch auf dem verlassenen Gelände des einstigen Norderstedter Zoos
Ein paar verfallene Hütten und Käfige stehen heute noch auf dem verlassenen Gelände des einstigen Norderstedter Zoos © HA

1,5 Hektar groß ist das Privatgelände in Norderstedt – da ist es ohne Weiteres möglich, sich zu verlaufen. Genau diese Stelle war von 1974 bis 1985 ein sehr beliebtes Ausflugsziel für Familien aus Norderstedt und Umgebung: Der Privatzoo des damals 41 Jahre alten Schachtmeisters Hubert Knöpke und seiner Frau Margret war beliebt, aber auch umstritten.

Seit der Schließung des Zoos 1985 ist das Gelände sich selbst überlassen und wird, so sieht es aus, nur noch selten von Menschen betreten. Ein kleiner Trampelpfad deutet darauf hin, dass hier gelegentlich Hunde ausgeführt werden. Ein Geheimtipp ist das Gelände für Fotografen, die sich auf Lost Places spezialisiert haben.

Blutiger Zwischenfall mit einem Löwen

Ein paar verfallene Hütten und Käfige stehen heute noch auf dem verlassenen Gelände des einstigen Norderstedter Zoos
Ein paar verfallene Hütten und Käfige stehen heute noch auf dem verlassenen Gelände des einstigen Norderstedter Zoos © HA

Und für all jene, die sich gerne gruseln und über jenen schrecklichen Zwischenfall vor ziemlich genau 41 Jahren noch ganz genau Bescheid wissen. Die schaurige Geschichte machte den Norderstedter Privatzoo im Handumdrehen überregonial bekannt und sorgte für viele Schlagzeilen in Deutschland.

Es war der 27. Februar 1982, als ein Ehepaar aus Ellerau mit seinem vier Jahre alten Sohn den Norderstedter Tierpark besuchte. Der kleine Junge hatte seinen Spaß mit den Tieren und war vor allem von den beiden Löwen fasziniert, die ohne Auslauf in kleinen Käfig lebten.

Diese artungerechte Haltung der Löwen war dem Betreiber-Ehepaar nach damaligem Recht noch genehmigt worden. Auch die Sicherung des Käfigs durch Baustahlmatten fand die Zustimmung der Behörden. Engmaschiger Draht sicherte die Durchlässe des quadratischen Gitters zusätzlich – aber es gab an der Seite eine kleine Lücke.

Raubkatze warf sich auf den Kopf des 4-Jährigen

Von 1974 bis 1985 gab es am Kringelkrugweg in Norderstedt einen privaten Tierpark
Von 1974 bis 1985 gab es am Kringelkrugweg in Norderstedt einen privaten Tierpark © HA

Der Junge versuchte, den Löwen näherzukommen. Offenbar hatten die Eltern gerade nicht richtig hingeschaut. Auf jeden Fall nutzte der 4-Jährige einen unbeobachteten Moment und zwängte sich durch einen 70 Zentimeter hohen Lattenzaun, der den Käfig umgab. Und dann steckte er genau durch die kleine, ungesicherte Lücke im Löwenkäfikgitter seinen Kopf.

Für den zweijährigen Löwen Zimba war das wie ein Signal zum Angriff. Die Raubkatze warf sich sofort auf den Kopf des Eindringlings, biss zu und riss dem Kind den Unterkiefer ab. Das Entsetzen der Eltern, anderer Besucherinnen und Besuchern und den Verantwortlichen im Tierpark war groß.

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Man rettete den Jungen aus der Gefahrenzone. Der geschockte Vater des Jungen verlore keine Zeit, lud seinen lebensgefährlich verletzten Sohn in sein Auto und raste ins Krankenhaus Ochsenzoll, noch ehe die alarmierten Rettungsfahrzeuge im Tierpark eintrafen. Nach bangen 14 Stunden des Wartens und einer großen Operation, gelang es den Ärzten in der Klinik, das Leben des Jungen zu retten. Die Familie und der heute 43 Jahre alte Mann wollen heute nicht mehr über den tragischen Unfall reden und wollen ihre Namen auch nicht veröffentlicht sehen.

Die beiden Löwen wurden erschossen

Eine Besucherin des Tierparks betrachtet einen Emu im Gehege.
Eine Besucherin des Tierparks betrachtet einen Emu im Gehege. © HA

Das Schicksal der Löwen im Tierpark in Norderstedt war nach diesem Desaster besiegelt. Nur vier tage nach der Attacke wurden beide Tiere erschossen. Der Privatzoo musste nach zunächst geschlossen werden, öffnete aber zwei Wochen nach der Löwenattacke wieder. Im November 1983 wurde der Tierparkbesitzer vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen.

Nun waren ein Luchs und zwei Pumas die einzigen Raubkatzen, die im Tierpark bleiben durften. Die Käfige aber mussten zusätzlich gesichert werden. Eine Kommission aus Vertretern der Stadt Norderstedt, des Kreisveterinäramtes und des Landesamtes für Naturschutz und Landschaftspflege hatten den Park nach dem Unglück inspiziert und sich dabei von einem Sicherheitsexperten des Tierparks Hannover beraten lassen.

Interessant ist dabei eine Aussage des damaligen wissenschaftlichen Direktors des Dezernats Tierökologie und Tierartenschutz am Landesamt für Naturschutz und Landschaftspflege: Das Halten von Exoten wie Löwen, Pumas oder Affen sei vergleichsweise einfacher als das Halten vieler heimischer Tiere.

1985 endete das Kapital Tierpark Norderstedt

Angelika Ohm aus Norderstedt war vor über 40 Jahren als Tierpflegerin im Norderstedter Privatzoo der Familie Knöpke tätig. Sie erinnert sich gut:
Angelika Ohm aus Norderstedt war vor über 40 Jahren als Tierpflegerin im Norderstedter Privatzoo der Familie Knöpke tätig. Sie erinnert sich gut:"Das gefährlichste Tier war ein Fasan, der immer zum Sturzflug ansetzte, wenn ihm Besucher zu nahe kamen." Hier steht sie vor dem noch erhaltenen Briefkasten des Zoos. © Frank Knittermeier | Frank Knittermeier

Am 18. August 1974 hatten Hubert und Margret Knöpke ihren Privatzoo auf dem 15.000 Quadratmeter großen Gelände, das sie vom Brüderhof des Rauhen Hauses gepachtet hatten, eröffnet. Affen, Waschbären, Zwergziegen, Papageien, einige Raubvögel, Wildschweine und viel Wassergetier bildeten zunächst die Grundlage des Tierbestandes, der vorher auf ihrem Grundstück an der Marommer Straße untergebracht war. Vier Kilometer lange Wanderwege durchzogen den Tierpark, der vor allem an den Wochenenden ein beliebtes Ausflugsziel war.

Rund 250.000 Euro kostete die Einrichtung des privaten Zoos – das Geld stammte zum Teil aus ihrem privaten Besitz, dazu kamen Spenden, später wurde zur Unterstützung ein Förderverein gegründet. Auch die Stadt Norderstedt gab Zuschüsse. Durch das Eintrittsgeld und die Einnahmen aus einem kleinen Café konnten die laufenden Kosten gedeckt werden. Den nötigen Strom produzierten die Knöpkes mit einem eigenen Generator.

Das Ende des Tierparks kam schleichend. Die Negativschlagzeilen nach dem Löwenbiss hatten für einen Besucherschwund gesorgt, die Einnahmen blieben aus, der Unterhalt war kaum noch zu finanzieren. 1985 endete das Kapitel Tierpark Norderstedt. Die Tiere wurden an andere Zoos vergeben, Hubert Knöpke führte später einen Reitstall.

Lost Place Tierpark Norderstedt, Koordinaten für Google Maps: N 53° 44.544‘ E 010° 00.696‘