Kaltenkirchen. Viel mehr Menschen als erwartet bildeten einen großen Protestzug durch die Stadt. Bürgermeister Bohlen fand bewegende Worte.
Eine ältere Dame schiebt mit einem Gehwagen über den Marktplatz an der Holstenstraße in Kaltenkirchen. „Nie wieder Rechts“ steht auf dem Karton, der auf der Gehhilfe klebt. Eine Mutter mit zwei kleinen Kindern hält ein Schild hoch, auf dem sie „Menschenrechte statt rechte Menschen!“ fordert. Ein paar kichernde Mädchen tragen kunterbunte Plakate mit der Aufschrift „FCK AFD“ und „Fight Racism“.
Es ist repräsentatives Abbild der Gesellschaft, das sich am Sonnabend gegen 15 Uhr vor dem AKN-Bahnhof Kaltenkirchen versammelt. Die SPD Kaltenkirchen hatte die Demonstration „Kaltenkirchen zeigt Haltung - gemeinsam stark für Demokratie und Vielfalt angemeldet und 500 Menschen erwartet. Gekommen waren deutlich mehr. Die Polizei spricht später offiziell von 800 Menschen. Die Veranstalter und Kaltenkirchens Bürgermeister Stefan Bohlen wollen aber an die 2000 Menschen gezählt haben.
Protest aus der Mitte der Gesellschaft
Die Rechtspopulisten der AfD tun den bürgerlich breiten Protest, der durch ganz Deutschland geht, als „von oben gesteuert“ ab. Wer in Kaltenkirchen dabei ist, erlebt, wie falsch diese Sicht der Dinge ist. Der Protest kommt nicht „von oben“, sondern aus der Mitte der Gesellschaft. Wie auch schon zuvor bei den Demonstrationen in Norderstedt, Bad Bramstedt, Bad Segeberg oder Henstedt-Ulzburg.
Neben den Parteien SPD, CDU, FDP oder Die Linke, ist in Kaltenkirchen auch die Wählergemeinschaft Pro-Kaki vertreten. Das Bündnis für Demokratie und Zivilcourage Kaltenkirchen trägt die Demo ebenso, wie die Aktivisten von „Omas gegen Rechts“ oder „Fridays for future“. Die evangelische Kirchengemeinde Kaltenkirchen unterstützt den Aufruf, ebenso wie die Pfadfinder „Die Grünspechte“. Die Breitensportvereine FSC Kaltenkirchen und die Kaltenkirchener Turnerschaft sind dabei und Vereine wie Kaltenkirchen inklusiv, Tausendfüßler oder Reha fit.
Bewegende Worte von Bürgermeister Bohlen
Bevor sich der Protestzug durch die Stadt in Bewegung setzt, werden Reden gehalten. Bürgermeister Stefan Bohlen findet mit seinen emotionalen Worten viel Zustimmung und Applaus. „Einfach nur großartig“, ruft Bohlen der Menge zu, begeistert über die große Resonanz. „Ihr seid eine Menge, die aufsteht und auf die Straße geht und sich gemeinsam für unsere demokratischen Werte und die Vielfalt unserer Gesellschaft starkmacht. Eure Präsenz heute, hier, sendet eine kraftvolle Botschaft.“
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Gemeinsam stehe man heute für die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ein und sei bereit, diese gegen alle Angriffe zu verteidigen, sagte Bohlen weiter. „Wir müssen uns verbünden, um gemeinsam für das einzustehen, was den Kern unserer Gemeinschaft, unserer Stadt, unseres Landes ausmacht: unsere Menschlichkeit und unsere gemeinsamen Werte. Werte, die auf Recht und Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit, Vielfalt und Toleranz für jeden einzelnen Menschen aufbauen.“
„Sei ein Mensch!“
Abschließend erinnerte Bohlen an Fernsehmoderator Marcel Reif, der bei seiner Rede anlässlich der Gedenkstunde des Bundestages für die Opfer des Holocaust an die drei Worte erinnert hatte, die sein Vater Leon Reif ihm mit auf den Lebensweg gegeben hatte. „Drei Worte, die mich nachhaltig bewegt haben und die das Komplexe in einem wunderbaren Satz widerspiegeln: ,Sei ein Mensch!‘“
Bohlen rief dazu auf, bei der Europawahl am 9. Juni wählen zu gehen. „Es ist Zeit, dass wir, die schweigende Mehrheit, uns erheben, das Wort ergreifen und ganz klarmachen: Wir stehen zusammen, eng beieinander, unerschütterlich in unserem Glauben an Freiheit, Gerechtigkeit und Vielfalt.“
„Nazi Erbe und seine neuen Erscheinungsformen“
Auch Hans-Jürgen Kütbach, Vorsitzender des Trägervereins der KZ-Gedenkstätte Kaltenkirchen in Springhirsch, richtete das Wort an die Protestierenden. „Es ist so gut, dass sich hier so viele versammelt haben! In der Weimarer Republik haben sich zunächst nur wenige die später von Deutschland ausgehende Katastrophe und den Zivilisationsbruch vorstellen können. Ich sage: Wehret den Anfängen und zeigen wir Haltung!“
Er mahnte, dass diese Anfänge auch im Alltag und im ganz persönlichen Bereich zu finden seien. „Das Nazi-Erbe und seine neuen Erscheinungsformen tarnen sich gut. Seien wir sorgsam mit unserer Sprache und wachsam bei bösartigen und rassistischen Äußerungen!“
Der beeindruckende Demonstrationszug setzte sich gegen 15.30 Uhr in Bewegung. Angeführt von der Polizei liefen die Demonstranten über die Holstenstraße, die Friedensstraße und die Hamburger Straße durch die Innenstadt. Zum Abschluss gab es erneut Reden auf dem Marktplatz an der Holstenstraße. Darunter der CDU-Landtagsabgeordnete Ole Plambeck, Torben Schönfeldt von der SPD Kaltenkirchen oder Helmer Krane, der Kreisvorsitzende der FDP.