Norderstedt. Demo „5 vor 33 – Norderstedt gegen rechts“ mit emotionalen Appellen. Oberbürgermeisterin fehlte krankheitsbedingt.
Am Ende war der Rathausplatz voll: Weit über 1000 Menschen haben am Freitagnachmittag in Norderstedtgegen Rechtsextremismus demonstriert, trotz, Wind, Nieselregen und ÖPNV-Streik. Die Polizei sprach von rund 1600 Teilnehmern, die Veranstalter von über 2000. Menschen aller Altersstufen waren gekommen: Senioren, Jugendliche, Familien mit kleinen Kindern. Auf vielen selbst gemalten Plakaten waren Losungen wie „Es ist kurz vor 33!“, „Alle hassen Nazis!“ oder auch „AfD adé!“ zu sehen.
„Ich bin hier, weil es mir sehr wichtig ist, ein Zeichen zu setzen“, sagte etwa Daniela Ehlers, eine der Demonstrantinnen. Gülzar Oezel sagte: „Ich habe selbst einen Migrationshintergrund und wäre betroffen, wenn solche Remigrationspläne Realität würden. Deshalb sagen wir heute: Nie wieder ist jetzt!“. Markus Schmidt sagte: „Es ist an der Zeit, dass wir als bürgerliche Mitte ein Zeichen setzen und auf die Straße gehen. Denn das betrifft uns alle.“
Ein berührender Moment war die Rede von Ayala Nagel vom Verein Chaverim
Für viele einer der berührendsten Momente des Nachmittags war die Rede von Ayala Nagel, der Vorsitzenden des Norderstedter Vereins „Chaverim – Freundschaft mit Israel“. Nagel sagte: „ich bin eine von Euch. Dieser Satz war lange selbstverständlich. Inzwischen ist er es nicht mehr.“ Sie sei 1998 nach Deutschland gekommen, seit 2022 sei sie deutsche Staatsbürgerin. Aber inzwischen habe sie Angst. Sie habe mittlerweile ein „seltsames Gefühl“, vielen Freunden mit Migrationshintergrund gehe es auch so. „Wir fragen uns, ob wir noch dazugehören.“ Und: „Müssen wir unser Jüdischsein jetzt verstecken?“
Nagel appellierte unter viel Beifall daran, „unser friedliches, von der Demokratie geprägtes Zusammenleben zu verteidigen“. Und sie sei auch „froh und dankbar“, dass so viele in Deutschland derzeit auf die Straßen gingen.
Norderstedts Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder fehlte krankheitsbedingt. Die Veranstalter verlasen eine Grußbotschaft, in der sie sich bei allen Demonstrierenden bedankte. Und in der sie klarstellte: „Norderstedt bleibt bunt! und weltoffen Für Intoleranz gibt es in dieser Stadt keinen Platz.“
Anlass für die Demo waren die Enthüllungen über ein Geheimtreffen Rechtsextremer in Potsdam
Zu der Demo „5 vor 33 – Norderstedt gegen rechts“ hatte ein Norderstedter Bündnis aufgerufen, bestehend aus Mitgliedern des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD), Norderstedts Kinder- und Jugenbeirat und weiteren Akteuren, unter anderem aus der evangelischen Kirche. Anlass waren die Veröffentlichungen des Recherchenetzwerks Correctiv vor einigen Wochen. Das hatte von einer Geheimkonferenz von mehreren Rechtsextremen in einem Hotel nahe Potsdam aufgedeckt, teilgenommen hatten dort unter anderem Politiker der AfD.
Auf dem Treffen waren Pläne unter dem rechtsextremen Begriff „Remigration“ besprochen worden. Hinter dem Begriff verbirgt sich die massenhafte Vertreibung von Personen, die nicht ins Weltbild der Rechtsradikalen passen. Seitdem zieht es überall in Deutschland Menschen auf die Straßen. In Hamburg hatten kürzlich an mehreren Tagen Zehntausende demonstriert. Und in Henstedt-Ulzburg waren rund 3500 Menschen auf die Straße gegangen.
Zunächst war in Norderstedt mit mehr Teilnehmern gerechnet worden – dann kam der Streik
In Norderstedt hatte man zunächst mit „5000 bis 10.000“ Teilnehmern gerechnet, wie Danny Clausen-Holm sagte, Mitglied im LSVD und einer der Veranstalter. Aber dann rief die Gewerkschaft Ver.di ausgerechnet für den Freitag zu einem Warnstreik im öffentlichen Nahverkehr auf. Die AKN fuhr, HVV, VHH und Autokraft aber nicht. Und so korrigierten die Veranstalter die Erwartungen an die Teilnehmerzahl schon vorab deutlich nach unten, gerechnet wurde nun mit „wenigen Tausend.“
Am Ende sprach Clausen-Holm dennoch zufrieden von „über 2000“ Teilnehmern. Er hielt auch selbst eine kämpferische Rede, in der er daran erinnerte, dass Homosexuelle noch vor nicht allzu langer Zeit in der Bundesrepublik verfolgt wurden. Die Recherchen von Correctiv nannte er einen „Dienst am Vaterland“, Die AfD bezeichnete er als „vollkommen rassistische Partei“, die es zu bekämpfen gelte.
Was Bengt Bergt (SPD) und Patrick Pender (CDU) in ihren Reden sagten
In diese Kerbe hieb auch der Bundestagsabgeordnete Bengt Bergt (SPD). Er müsse sich „jede Woche“ im Bundestag „Widerwärtigkeiten“ von der AfD anhören. Rechtsextreme Positionen, wie sie in Potsdam artikuliert wurden, zögen sich „bis in die Spitze der Partei“. Die Partei wolle „Menschen, die seit Generationen hier mit uns leben, mit uns arbeiten, feiern“, vertreiben. Aber: „Wir lassen uns unsere Demokratie nicht kaputtmachen!“
Einen Seitenhieb auf den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz erlaubte sich Bergt auch, kritisierte, dass dieser Jugendliche mit Migrationshintergrund als „Paschas“ bezeichnet hatte. Der Landtagsabgeordnete Patrick Pender (CDU), der auch als Redner geladen war, ging darauf später nicht ein. Stattdessen hielt auch er eine kämpferische Rede, in der er von seiner Großmutter sprach, die die „Schrecken des Zweiten Weltkrieges voll mitbekommen“ hatte und wegen der er in die Politik gegangen sei. Demokratie sei „etwas Fragiles“. Er warb nachdrücklich dafür, im Juni zur Europawahl zu gehen. Die Norderstedter Pastorin Heike Shelley, eine der Organisatorinnen, betonte: „Wer einer christlichen Kirche angehört, kann nicht zugleich rechtsextrem sein!“
Gegen 17 Uhr ging die Demonstration dem Ende zu. Ein emotionaler Schlusspunkt: Die Teilnehmer schwenkten ihre erleuchteten Handys zu den Klängen der Europahymne. Anschließend gab es einen ebenso emotionalen Schlussappell von Jonas Listing vom LSVD, der die Veranstaltung moderiert hatte. Er bat alle Teilnehmer nachdrücklich, sich stärker als bisher „in Parteien, Gewerkschaften, Bündnissen“ zu engagieren. Und vor allem, mit dem Demonstrieren weiterzumachen: „Steht auf, seid laut“, sagte er unter viel Beifall.
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Auch in Bad Segeberg und Quickborn wird am Wochenende demonstriert
Am Wochenende gibt es weitere Demos gegen rechts im Kreis Segeberg. Für Sonnabend, 3. Februar, ist in Bad Segeberg unter dem Motto „Segeberg steht auf – Nie wieder ist jetzt“ eine große Demo geplant. Um 15 Uhr soll auf dem Marktplatz in der Altstadt eine große Kundgebung gegen Rassismus und Rechtsextemismus stattfinden. In Quickborn wird am Sonntag, 4. Februar, von 11.30 bis 13.30 ein Zeichen gegen Extremismus gesetzt. Motto der Kundgebung auf dem Rathausplatz ist „Quickborn sagt JA zur Vielfalt.“ Am Sonntag, 11. Februar, wird ab 14 Uhr in Bad Bramstedt auf dem Bleeck demonstriert.