Henstedt-Ulzburg/Norderstedt/Kaltenkirchen. Protestwelle gegen Rechtspopulisten erreicht den Kreis Segeberg: Was der Bundestagsabgeordnete aus Norderstedt fordert.
Zehntausende in Hamburg, Köln, Leipzig, Berlin, überall in der Bundesrepublik: Die Enthüllungen über das Netzwerktreffen der AfD mit weiteren Rechtsextremen und reichen Unterstützern, das dort besprochene Ziel, millionenfach Ausländer, Deutsche mit Migrationshintergrund und solche, die „nicht assimiliert“ sind, irgendwohin nach Afrika zu verbannen, der rechte Kampfbegriff „Remigration“, all das schockiert nicht nur, sondern bringt anständige Menschen auf die Straße. Auch im Kreis Segeberg. Und zwar in jenem Ort, der seit Jahren ungewollt so etwas wie der Lieblingstreffpunkt der Rechten geworden ist: Henstedt-Ulzburg.
Aufgerufen hat das Bündnis für Demokratie und Vielfalt. In der Großgemeinde wird es am Sonntag, 21. Januar, eine Demonstration geben, die um 15 Uhr auf dem Rathausplatz beginnt und dann über Hamburger Straße, Beckersbergstraße, Jahnstraße und Gartenstraße zurück zum Ausgangspunkt führt. Währenddessen wird es hier zu Verkehrsbehinderungen kommen. Auch SPD, WHU und Grüne unterstützen die Demo. Von der CDU wird sie begrüßt. „Die Menschen haben endlich das Bedürfnis, gegen rechtsextreme Bestrebungen auf die Straße zu gehen“, heißt es seitens des Bündnisses. Am Sonntag könnten nun Menschen aus Henstedt-Ulzburg und dem Kreis „rechtsextremem Gedankengut widersprechen“.
Henstedt-Ulzburg: Gemeinde hat für die AfD eine besondere Bedeutung
Henstedt-Ulzburg hat für die AfD seit einigen Jahren eine besondere Bedeutung. Und das auch ohne Ortsverband, also auch ohne Fraktion in der Gemeindevertretung. Dafür ist die Partei zum Ärger vieler Menschen Stammgast im Bürgerhaus, dort treffen sich Landes- und Kreisverband gerne, das wird wohl auch vor der Europawahl so sein. Möglich macht das die Satzung des Gebäudes, das in öffentlicher Hand ist. Diese gestattet eine Nutzung durch Parteien.
2023 bekam die Verwaltung das auch noch einmal schwarz auf weiß vom Verwaltungsgericht. Eine AfD-Anfrage für einen Landesparteitag hatte das Rathaus abgelehnt, die Partei erwirkte eine einstweilige Verfügung. Die Begründung des Gerichts: Die AfD sei nicht verboten, also müsse sie wie alle anderen behandelt werden. Das hat auch nicht die Verurteilung eines Mannes geändert, der im Dezember schuldig gesprochen wurde, im Oktober 2020 mehrere Gegendemonstranten mit einem Pickup gerammt und schwer verletzt zu haben.
SPD-Bundestagsabgeordneter Bengt Bergt aus Norderstedt: „Ich wäre für ein Verbot der AfD“
Auf lokaler Ebene lässt sich die AfD nicht verbieten. Dafür aber auf Bundesebene. Das Abendblatt hat Bengt Bergt gefragt, den SPD-Bundestagsabgeordneten aus Norderstedt, wie er dazu steht. „Ich definiere mich schon seit meiner Jugend als Antifaschist und engagiere mich regelmäßig, wann immer es geht“, sagt dieser. „Ich wäre für ein Verbot der AfD. Nicht weil sie unbequem ist, damit müssen wir als Demokraten klarkommen. Sondern weil die AfD unsere freiheitliche Demokratie bekämpft.“
Bergt, zu dessen Wahlkreis Henstedt-Ulzburg ebenso zählt, betont aber auch: „An Parteienverbote sind zu Recht an hohe Hürden geknüpft. Wenn ein Verbotsantrag gestellt würde, muss er wasserdicht sein. Alles andere wäre Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen.“ Die Deportations-Fantasien haben auch ihn erschreckt. „Da werden Menschen zur Zielscheibe, mit denen wir zusammenleben, arbeiten und feiern: die Lehrerin, der Handwerker, die Reinigungskraft. Verschwörungstheoretiker werfen Demokraten immer wieder vor, einen angeblichen ,Umsturz‘ zu planen – dabei sind es sie selbst, die einen Umsturz planen.“
„Alle von uns sind gefordert, auf der Arbeit oder beim Grillen“
Der Sozialdemokrat sagt, man müsse zusammenstehen. „Rechtsextremem Gedankengut müssen wir deutlich widersprechen! Hier sind alle von uns gefordert, auf der Arbeit oder beim Grillen mit dem Nachbarn. Man darf sauer sein auf die sogenannten etablierten Parteien, man darf enttäuscht sein über bestimmte Zustände. Aber es gibt andere Möglichkeiten als die Wahl einer offen rechtsradikalen Partei. Auch das muss man mal sagen.“
Wie man die Rechtsaußen inhaltlich konfrontieren sollte? „Ein Beispiel: Die AfD gibt vor, auf der Seite der deutschen Landwirte zu sein – dabei wollen sie ihnen alle Subventionen streichen. Das hätte ein massenhaftes Höfesterben zur Folge. Ein anderes Beispiel: Die AfD gibt vor, Wirtschaftspartei zu sein – und will den ,Tod der EU‘. Das würde Massenarbeitslosigkeit bedeuten.“
AfD: Henstedt-Ulzburg will weiter versuchen, Veranstaltungen zu verhindern
Den ehrenamtlichen Politikerinnen und Politikern rät er, sich in das Wahlprogramm der AfD einzulesen. „Es strotzt vor Verachtung für dieses Land und seine Menschen und steht im konstanten Widerspruch zu den populistischen Aussagen, die sie öffentlich treffen. Mein Appell: Geht raus und sprecht darüber! Wir brauchen euch! Demokratinnen und Demokraten haben immer die besseren Argumente als Extremisten.“
In Henstedt-Ulzburg verspricht der Bürgervorsteher Henry Danielski: „Sie können sicher sein, dass wir an dem Thema permanent dran sind. Wir werden versuchen, immer wieder Möglichkeiten zu finden, die Veranstaltungen zu vermeiden.“ Einen Ansatz könnte es geben: „Wenn die gesamte AfD als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wäre, hätten wir eine Chance vor Gericht.“ Oder: Das Bürgerhaus wird anders betrieben. Vielleicht mit einem Pächter, vielleicht über den SV Henstedt-Ulzburg. Diese Optionen könnten aber erst realistisch werden, wenn der gesamte Komplex modernisiert sein wird, was derzeit in Planung ist.
Kaltenkirchen erlaubt nur ortsansässigen Parteien Veranstaltungen im Bürgerhaus
Dass Kommunen im Umgang mit der AfD auch anders handeln können, belegt das Beispiel Kaltenkirchen. Die Stadt erlaubt in ihren Benutzungsordnungen nur ortsansässigen Parteien Veranstaltungen im Bürgerhaus. Damit scheiden zum Beispiel Landesparteitage und andere überregionale Veranstaltungen der AfD aus, wie sie zum Beispiel in Henstedt-Ulzburg stattfinden. Darüber hinaus hat die Stadt festgelegt, dass es keinen Benutzungsanspruch für das Gebäude, das Rathaus und andere städtische Immobilien gibt.
Außerdem hat Kaltenkirchen noch einen zweiten Hebel, um bestimmte Nutzer des Bürgerhauses auszusperren. In der Kaltenkirchener Benutzungsordnung heißt es dazu: „Ausgeschlossen sind Veranstaltungen, die gegen die Verfassung gerichtet oder nach Art und Inhalt geeignet sind, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gefährden bzw. Schäden an der Einrichtung des Bürgerhauses und des Gebäudes einschließlich Außenanlagen hervorzurufen.“
Kaltenkirchen: Kein Rechtsanspruch auf städtische Veranstaltungsräume
Dass ähnliche Regeln für das Bürgerhaus in Henstedt-Ulzburg angewendet könnten, liegt nahe: Außer der Attacke des inzwischen verurteilten Rechtsradikalen mit seinem Pick-Up und mehreren Verletzten ist es dort mehrfach bei AfD-Veranstaltungen zu Auseinandersetzungen gekommen.
Bislang haben die Verwaltung und die Politik in Henstedt-Ulzburg davon abgesehen, die Nutzung nur ortsansässigen Parteien zu überlassen. Bürgermeisterin Ulrike Schmidt fürchtet, dass sich in diesem Fall ein Ortsverband in der Gemeinde gründen würde, um das Verbot zu umgehen.
Bürgervorsteher will neutral bleiben – Bürgermeister gegen Rechts
So klar Kaltenkirchen seine Verordnungen formuliert hat, so unklar ist die Haltung des Bürgervorstehers Raimund Neumann (CDU) im Umgang mit der AfD in der Stadtvertretung. 12,8 Prozent der Wählerstimmen hatte die Partei bei der Kommunalwahl erreicht und ist damit viertstärkste Fraktion nach CDU, SPD, Pro-Kaki und vor FDP und Die Linke. Seit Juni dieses Jahres hat die AfD in Kaltenkirchen außerdem den Vorsitz des Fachausschusses für Umwelt, Natur und Klima, den Julian Flak übernahm, der auch im Kreistag sowie in Parteigremien auf Landes- und Bundesebene aktiv ist.
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„Ich nehme meine Aufgabe als Bürgervorsteher überparteilich wahr und werde weshalb keine Erklärungungen zu den Fraktionen und Parteien abgeben. Ich bin verpflichtet, neutral gegenüber den für die Stadtvertretung zugelassenen Parteien und Wählergemeinschaften aufzutreten“, teilte Neumann mit. Bürgermeister Stefan Bohlen hat sich dagegen positioniert: Er unterschrieb mit seinem Kollegen Toni Köppen und weiteren Kollegen aus dem Bundesgebiet einen Aufruf gegen „Deportationsfantasien“ von Rechtsextremisten und der AfD.