Henstedt-Ulzburg. Henstedt-Ulzburg unterliegt vor Verwaltungsgericht im Versuch, die Rechtsextremen zu verbannen. Kritiker entsetzt.
Die Gemeinde Henstedt-Ulzburg muss die Alternative für Deutschland (AfD) als Mieter ihres Bürgerhauses akzeptieren. Das hat am Freitag das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht entschieden. Damit scheiterte Bürgermeisterin Ulrike Schmidt mit dem Versuch, die Rechtsextremen nach vielen Parteiveranstaltungen in den letzten Jahren endlich aus dem Ort zu verbannen.
Die AfD Schleswig-Holstein will sich am 16. September, von 8 bis 18 Uhr, mit 220 Personen für einen Landesparteitag im Bürgerhaus treffen. Am 27. Juni sei der AfD-Antrag bei der Gemeinde eingegangen, teilte Bürgermeisterin Ulrike Schmidt mit. Der ablehnende Bescheid sei am 13. Juli ergangen.
AfD im Bürgerhaus: Argumentation der Gemeinde vor Gericht gescheitert
Begründung: „Bereits seit einigen Jahren hat es wiederholt Veranstaltungen der AfD im Bürgerhaus unserer Gemeinde gegeben. Dabei ist es im Umfeld der Veranstaltungen zu Gefahren und Störungen für die öffentliche Sicherheit gekommen“, sagt Schmidt.
Trauriger Höhepunkt sei der Vorfall am 17. Oktober 2020, bei dem ein AfD-Unterstützer mit einem Pick-up in eine Gruppe von Gegendemonstranten der Antifa fuhr und dabei drei Menschen verletzte. Der Prozess gegen den Mann wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr läuft derzeit vor dem Landesgericht in Kiel. „Selbst die Polizei fühlte sich teilweise bedroht und machte zur Warnung von der Schusswaffe Gebrauch“, erinnert die Bürgermeisterin.
Gericht sieht keine Gründe, der AfD den Zugang zu verwehren
Doch diese Argumentation überzeugte das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht nicht. In der einstweiligen Anordnung vom Freitag verpflichtet das Gericht die Gemeinde, die AfD-Veranstaltung zu akzeptieren.
Zur Begründung hieß es, politische Parteien hätten zwar keinen Anspruch darauf, dass Gemeinden Räumlichkeiten für ihre Veranstaltungen bereithalten. Täten sie dies aber – wie Henstedt-Ulzburg in der Vergangenheit unter anderem für die AfD –, so müssten sie alle Parteien gleich behandeln.
Das Verwaltungsgericht sieht keine Gründe, die eine Versagung des Zugangs zum Bürgerhaus im konkreten Fall rechtfertigen würden. Die AfD sei nicht verboten. Und es sei nicht glaubhaft gemacht, „dass von dem geplanten Landesparteitag eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe oder diese Veranstaltung eine Gefahrenlage schaffe, die von solcher Intensität wäre, dass die Überlassung des Bürgerhauses für den Landesparteitag abgelehnt werden dürfe“. Allein eine erwartete hohe Anzahl an Gegendemonstranten begründe eine entsprechende Gefahr nicht.
„Keine hinreichenden Anhaltspunkte für gewalttätige Aufeinandertreffen“
In Kiel steht derzeit ein 22-Jähriger vor dem Landgericht, der im Oktober 2020 am Rande einer Demonstration gegen eine AfD-Veranstaltung in Henstedt-Ulzburg bewusst vier Menschen angefahren haben soll.
Es bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass es zu einem gewalttätigen Aufeinandertreffen von Veranstaltungsteilnehmern und Gegendemonstranten komme, das nicht durch polizeiliche Maßnahmen unterbunden werden könnte, konstatierte jetzt das Verwaltungsgericht. Gegen dessen Beschluss kann innerhalb von zwei Wochen Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht eingelegt werden.
Julian Flak, stellvertretender Landesvorsitzender der AfD Schleswig-Holstein und Kreisvorsitzender der Rechtspopulisten im Kreis Segeberg, spricht von einer „Rechtsstaats-Klatsche für die Bürgermeisterin“ in Henstedt-Ulzburg.
AfD spricht von einer „Rechtsstaatsklatsche“ für die Bürgermeisterin
„Die Gemeinde hatte schließlich bereits 2020 ein Gutachten in Auftrag gegeben, das zu dem Ergebnis kam, dass die Nutzung nicht verweigert werden dürfe. Wider besseres Wissen verweigerte die Bürgermeisterin jetzt trotzdem rechtswidrig die Nutzung“, sagt Flak. Nun hätten sie „auf Steuerzahlerkosten Nachhilfe in Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“ erhalten.
Bürgermeisterin Schmidt war am Freitag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Bürgervorsteher Henry Danielski sprach von einer nicht überraschenden Niederlage vor Gericht. „Wir haben damit gerechnet, dass wir nicht gewinnen. Aber wir wollten auf jeden Fall ein Zeichen setzen, dass wir die AfD in unserer Gemeinde nicht mehr wollen und dass uns die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger wichtig ist.“
Gemeinde beugt sich dem Urteil und will keinen Widerspruch einlegen
Seiner Kenntnis nach werde die Gemeinde nun keinen Widerspruch gegen die Entscheidung einlegen und sich dem Urteil beugen. „Aber wir überlegen uns, wie wir in Zukunft die Veranstaltungen der AfD in unserem Bürgerhaus unterbinden können. Wir werden uns in Zusammenarbeit mit der Kommunalpolitik die Satzung des Bürgerhauses anschauen und versuchen, diese zu ändern.“
Derzeit sind Veranstaltungen politischer Parteien im Bürgerhaus in der Satzung erlaubt. Eine Änderung des Passus würde dann für alle politischen Parteien das Nutzungsverbot bedeuten. „Bis zum AfD-Landesparteitag im September werden wir die Satzungsänderung sicher nicht schaffen. Der wird also stattfinden müssen“, sagt Danielski.
Gegendemonstranten sind entsetzt: „Schlag ins Gesicht der Opfer“
Britta de Camp-Zang ist die Sprecherin des Bündnisses für Demokratie und Vielfalt. Das Bündnis, bestehend aus Personen eines breiten politischen und bürgerlichen Spektrums, organisierte die friedlichen Proteste gegen die AfD-Veranstaltungen im Bürgerhaus. De Camp-Zang zeigt sich entsetzt über die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes.
„Das Recht der AfD, ihren Parteitag in unserem Bürgerhaus zu veranstalten, wiegt schwerer als unsere Sicherheit“, sagt sie. „Es geht ja nicht darum, dass die Polizei in der Lage ist, die AfD-Mitglieder und die Gegendemonstranten zu trennen.“ Als Gegendemonstrant bei AfD-Veranstaltungen habe man eher Angst vor rechtsradikalen Sympathisanten, von denen durch den von der AfD verbreiteten Hass gegen die Antifa große Gefahr ausgehe – wie man etwa bei der Pick-up-Attacke am 17. Oktober 2020 gesehen habe, so De Camp-Zang.
- Henstedt-Ulzburg: Verfolgt von Pick-up – Junge Frau rennt um ihr Leben
- In AfD-Gegendemo gerast: „Ich dachte sofort, sie ist tot“
- Alarm im Jugendamt: „Wir produzieren mehr Systemsprenger!“
Gemeinde will nun die Satzung des Bürgerhauses ändern
„Die Entscheidung ist auch ein Schlag ins Gesicht der Opfer von damals“, sagt De Camp-Zang. „Sie sagen gerade vor Gericht aus und stehen seit der Attacke unter enormem psychischen Druck – und diese Entscheidung macht für sie die Situation nicht einfacher.“
Dass die AfD nun also doch zum Landesparteitag im September kommt, sieht die Bündnissprecherin als Auftrag: „Das wird eine mächtige Gegendemonstration. Alle Bündnisse gegen Rechts – in Kiel, in Hamburg – sind entsetzt. Die werden alle nach Henstedt-Ulzburg kommen.“
Damit ist die Gemeinde Henstedt-Ulzburg nun genau in der Situation, die sie unbedingt vermeiden wollte. Danielski hatte gesagt, man habe Angst, als „symbolische Basis einer sich in Schleswig-Holstein formierenden rechtsextremen politischen Kraft“ wahrgenommen zu werden. Nach dem Sieg der AfD ist Henstedt-Ulzburg genau das für die Rechten. Und – im umgekehrten Sinne – ebenso für die Antifa und die Demonstrierenden für Demokratie und Rechtsradikalismus. Die Gemeinde wird zur symbolischen Arena der politischen Auseinandersetzung.