Kreis Segeberg. Inflation und bargeldloses Bezahlen wirken sich auf Trinkgeld in der Gastronomie und im Handwerk aus. Wer besonders geizig ist.
- Handwerker, Friseure und Gastronomen in Norderstedt und der Region beklagen weniger Trinkgeld
- Finanztechnologie-Firma SumUp: Ab 150 Euro beträgt Trinkgeldanteil nur noch acht Prozent
- Für Restaurants wird Einkauf immer teurer
Stimmt so! Lange war ein Trinkgeld im Restaurant oder beim Friseur üblich. Auch viele Handwerker haben ein Extra-Dankeschön bekommen, wenn sie Waschmaschinen in den vierten Stock geschleppt oder die Heizung repariert haben. Doch das scheint sich zu ändern. Denn das zunehmende bargeldlose Zahlen und die Inflation wirken sich auch auf das Trinkgeld in einigen Branchen aus.
„Das Trinkgeld nimmt seit Jahren ab“, sagt Kellnerin Julia Radke. „Früher lag das Trinkgeld in der Gastronomie bei zehn bis elf Prozent, heute sind es meistens sieben bis acht Prozent, manchmal auch noch weniger oder gar nichts.“
Sie arbeitet seit fast 40 Jahren in der Gastronomie und hat beobachtet, wie sich das Verhalten der Menschen im Laufe der Zeit verändert hat. „Es scheint fast so, als ob das Trinkgeld an Bedeutung verliert.“ Gerade bei einigen jüngeren Gästen sei zu beobachten, dass sie oft gar kein Trinkgeld geben.
Immer weniger Trinkgeld bei Friseuren, Kellnern und Handwerkern
„Das Trinkgeld wird weniger“, ist auch der Eindruck von Lars Krückmann von der Norderstedter Sanitär- und Heizungsfirma Krückmann. Und auch bei den Friseuren scheint das Geld bei den Kunden „nicht mehr so locker zu sitzen“, heißt es.
Laut einer Analyse des Finanztechnologie-Unternehmens SumUp hat der Anteil der Transaktionen mit Trinkgeld bei Kartenzahlungen zwar zugenommen. Aber: Der Anteil derer, die überhaupt kein Trinkgeld geben, sei „relativ hoch“, so das Unternehmen.
Trinkgeld: Der prozentuale Anteil sinkt bei höheren Rechnungen
Laut Hotel- und Gaststättenverband Dehoga beträgt das Trinkgeld üblicherweise zwischen fünf und zehn Prozent der Rechnungssumme, selten bis zu 15 Prozent. In der Branche beobachtet man jedoch, dass die Höhe des Trinkgeldes mit zunehmender Rechnungssumme abnimmt.
Bis 50 Euro geben Kunden laut SumUp derzeit durchschnittlich etwa zehn Prozent Trinkgeld. Bei höheren Beträgen von beispielsweise mehr als 150 Euro beträgt der Trinkgeldanteil im Durchschnitt nur noch 8 Prozent.
Wie ist die Situation in Norderstedt und der Region?
Gastronomie: „Nicht jeder kann sich Trinkgeld leisten.“
Insbesondere in der Gastronomie ist es üblich, guten und freundlichen Service mit einem Trinkgeld zu belohnen. „Trinkgeld ist kein Muss, sondern eine Wertschätzung dem Personal und Restaurant gegenüber“, sagt Alexandra Rehders. Doch obwohl das Essen geschmeckt hat und die Gäste von dem tollen Besuch in der Gastronomie schwärmen, geben viele kein Trinkgeld mehr, berichtet die Chefin der Zwutschkerl Alm in Norderstedt. „Nicht jeder, der essen geht, kann sich auch Trinkgeld leisten“, sagt sie. „Die einen geben viel, die anderen gar nichts.“
Zudem würden viele Touristen in das Restaurant am Gutenbergring kommen. „In anderen Ländern ist es nicht üblich, Trinkgeld zu geben“, sagt Rehders, die in Österreich geboren wurde. Immer wieder erlebt das Personal, dass insbesondere Firmen, die das Restaurant für Feiern buchen, geizig mit ihrem Geld umgehen. „Große Konzerne, denen es nicht weh tun würde, geben oft kein Trinkgeld“, berichtet die Gastronomin.
Bei Kartenzahlung fallen Gebühren für Restaurants an
In dem österreichischen Restaurant können Gäste, die mit EC-Karte bezahlen, auf dem Lesegerät zwischen Trinkgeld-Stufen von acht, zehn und zwölf Prozent der Gesamtsumme auswählen oder sich für einen eigenen Betrag entscheiden. Das habe den Vorteil, dass das Trinkgeld direkt auf dem EC-Beleg ausgewiesen wird.
Der Hotel- und Gaststättenverband weist jedoch darauf hin, dass bei jeder Kartenzahlung Gebühren anfallen: „Werden Trinkgelder über die EC- oder Kreditkartenabrechnung an den Mitarbeiter gezahlt, so müssen diese separat erfasst und dann wie vereinbart verwendet werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei Kartenzahlungen sogenannte Transaktionsgebühren auf den Gesamtumsatz erhoben werden.
Das heißt, der Gastronom bezahlt auf das Trinkgeld für den Mitarbeiter die Kreditkarten- oder EC-Gebühren. Aus diesem Grund bevorzugen viele Betriebe in diesem Fall, dass das Trinkgeld möglichst in bar gegeben wird – auch wenn die Rechnung selbst mit EC- oder Kreditkarte bezahlt wird. Denn am Ende des Tages muss der Kassenbestand stimmen.“ In der Zwutschkerl Alm überlassen die Inhaber das eingenommene Trinkgeld komplett ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Friseur: „Das Geld sitzt nicht mehr so locker“
Auch im Friseur-Salon von Sibylle und Peter Adamczyk in Norderstedt stellt man fest, dass sich das Kaufverhalten der Menschen verändert hat. „Die Leute strecken ihre Friseurbesuche und kommen nicht mehr so oft“, sagt Sibylle Adamczyk. Auch Trinkgeld gebe es nicht mehr viel. „Das Geld sitzt nicht mehr so locker“, sagt sie. Bei einem Haarschnitt mit Waschen und Föhnen würden Kunden vielleicht zwischen zwei und fünf Euro extra geben, bei einer neuen Frisur mit Strähnchen und Färbung zwischen fünf und acht Euro.
Im Gegensatz zu ihren Angestellten muss sie als selbständige Unternehmerin ihre Trinkgelder versteuern. Bei Selbständigen werden die zusätzlichen Gelder als Betriebseinnahme angesehen, die den Gewinn des Unternehmens erhöht. Aus diesem Grund muss sie auf diese Einnahme Steuern zahlen. Für Angestellte sind freiwillige Trinkgelder jedoch steuerfrei, und zwar in unbegrenzter Höhe.
Handwerker: „Wir freuen uns über Kaffee und Wasser“
Handwerker registrieren ebenfalls eine Veränderung im Verhalten der Kunden: „Wir haben einen Gesellen, der alle Heizungswartungen für uns durchführt. Der ist dann ein bis eineinhalb Stunden bei dem Kunden und freut sich, wenn er einen Kaffee mit Keksen bekommt“, berichtet Lars Krückmann von der Sanitär- und Heizungsfirma Krückmann.
Wenn seine Mitarbeiter eine Woche lang eine Wärmepumpe in einem Haus installieren, kommt es vor, dass sie ganze Mittagessen oder belegte Brötchen von den Auftraggebern bekommen. „Das ist total nett. Wenn wir Wasser oder Kaffee kriegen, sind wir schon immer super zufrieden“, sagt Krückmann. Zur Wahrheit gehört aber auch: „Das Trinkgeld wird weniger.“ Besonders die Menschen, die es sich vermeintlich leisten könnten, sparen daran.
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Laut Dehoga seien Servicekräfte in der Gastronomie – übrigens anders als in den USA – nicht zwingend auf das Trinkgeld angewiesen. „Die Situation in Deutschland ist eine andere. Hier sind faire Löhne notwendige Voraussetzung für eine funktionierende Arbeitskräftesicherung. Insbesondere in den Großstädten, wo Lebenshaltungskosten oft höher sind, zahlen viele Unternehmer seit längerer Zeit übertariflich und bieten zusätzliche Benefits, um engagierte Mitarbeiter zu halten und neue zu gewinnen“, heißt es in einer Stellungnahme zum Thema Trinkgeld.
„Nachdem es während der Corona-Lockdowns im Gastgewerbe keine neuen Tarifabschlüsse gab, wurden in 2022 und 2023 Entgelttarifverträge mit deutlichen Lohnerhöhungen im zweistelligen Prozentbereich abgeschlossen. Auch die tariflichen Ausbildungsvergütungen steigen stark an, was ein wichtiges Signal für die Fachkräftesicherung darstellt“, heißt es vom Dehoga: „Für die Unternehmen stellen allerdings die damit verbundenen Personalkostensteigerungen eine Herausforderung dar, zumal wir ja auch in anderen Bereichen, gleichzeitig massive Kostensteigerungen erleben.“
Gastronomie: Mehrwertsteuererhöhung nicht das größte Problem
Die Zeiten in der Gastronomie seien schwieriger geworden, sagt auch Rehders. Nicht alle Menschen könnten es sich noch leisten, in Restaurants essen zu gehen, geschweige denn ein angemessenes Trinkgeld zu geben. Erschwerend komme hinzu: Gastronomen stehen vor der Wahl, ob sie die Mehrwertsteuererhöhung von sieben auf 19 Prozent an ihre Kunden weitergeben oder versuchen, sie selbst auszugleichen. Wird die Erhöhung auf die Kunden umgelegt und die Preise in der Speisekarte angepasst, könnte dies viele Gäste dazu veranlassen, am Trinkgeld zu sparen – oder gar nicht mehr zu kommen.
Doch die Mehrwertsteuer sei gar nicht das größte Problem, wie Alexandra Rehders sagt. „Die Getränkehändler haben die Preise extrem angezogen.“ Lebensmittel seien im Einkauf wesentlich teurer geworden, genauso wie die Nebenkosten und Pacht. „Darunter leiden die Gastronomen am meisten“, sagt Rehders. Viele Menschen bekommen allerdings gar nicht mit, was sich hinter den Kulissen abspielt. „Deswegen kommunizieren wir ganz offen mit unseren Gästen.“