Norderstedt. 15.000 Kubikmeter Müll sind verschwunden. Auf die Nachricht hat die Stadt jahrelang gewartet. Umweltminister übergibt die freie Fläche.
Es ist vollbracht: Der Müllberg in Norderstedt ist geräumt. Rund 15.000 Kubikmeter Abfall ruhten und rotteten mehr als zwei Jahrzehnte auf dem ehemaligen Gieschen-Grundstück am Umspannwerk vor sich hin – nun ist das illegale Abfallzwischenlager tatsächlich verschwunden. Knapp fünf Jahre lang haben Bürgerinnen und Bürger sowie die Stadt für die Räumung gekämpft. Nun wird Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt am Montag, 12. August, die freie Fläche symbolisch an die Stadt Norderstedt als Eigentümerin übergeben.
Nach jahrelangem Wegschauen, einer Zwangsversteigerung und einem Gerichtsprozess rollte im Februar erstmals der Bagger in Friedrichsgabe an. Schon damals war Minister Goldschmidt persönlich zu Besuch und verfolgte den Auftakt für die Räumarbeiten gemeinsam mit Norderstedts Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder.
Als Goldschmidt zum ersten Mal von dem Müllberg in Norderstedt hörte, war er noch Staatssekretär im Umweltministerium. Der Fall erlangte in den vergangenen Jahren weit über die Stadtgrenzen hinaus traurige Berühmtheit.
Müllberg Norderstedt – Wie alles begann
Die Historie des Müllbergs ist lang. Angefangen hat wohl alles mit einem Mann, der die Gieschen Containerdienst GmbH von seinem plötzlich verstorbenen Vater geerbt hat. Früher hatte er als Lkw-Fahrer im Betrieb gearbeitet, mit der Rolle als Geschäftsführer war er überfordert. Über Jahre nahm er immer mehr Müll an – ohne ihn wieder abzutragen. Der Berg wuchs. Zwischenzeitlich übernahm seine Tochter die Firma, die Lage besserte sich kurz, aber auch sie wurde nicht Herrin über das Müllungetüm. Ihr Vater wurde wieder Chef – und verlor die Kontrolle.
2018 verschwand er spurlos. Der Stadt hinterließ er Müll, dessen Gipfel sechs Meter in die Höhe ragt. Alter Bauschutt, Autoreifen, Dachpappen, asbesthaltige und andere giftige Stoffe liegen seitdem unberührt auf dem Grundstück zwischen den Firmen Delta Fleisch und Kiesow. Die Behörden konnten den Verursacher jahrelang nicht aufspüren. Sein Einfamilienhaus in Nahe stand leer.
Stadt und Land stritten sich um Zuständigkeit
Währenddessen stritt sich die Stadt mit dem Land Schleswig-Holstein um die Zuständigkeit. Niemand wollte zunächst für die millionenschwere Entsorgung des Mülls verantwortlich sein. Ende 2021 einigte sich schließlich Norderstedts damalige Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder mit Tobias Goldschmidt, der zu diesem Zeitpunkt Staatssekretär war, auf ein gemeinsames Vorgehen. Der Deal: Die Stadt ersteigert bei einer Zwangsversteigerung das vermüllte Grundstück und verkauft es weiter. Der Erlös wird an das Land „ausgekehrt“. Von dem Geld wiederum wird ein Teil der Räumung finanziert, den Rest bezahlt das Land mit Steuergeldern.
Ursprünglich sollte noch 2022 mit den Entsorgungsarbeiten begonnen werden. Doch es kam immer wieder zu Verzögerungen. Bei der Zwangsversteigerung tauchte plötzlich ein ominöser Interessent auf, der neben der Stadt ebenfalls ein Gebot für das Müllgrundstück abgab. Der Unternehmer scheiterte allerdings daran, dass er sich nicht ausweisen konnte. Die Stadt erhielt den Zuspruch für die Fläche.
Müllberg-Verursacher wird von Gericht verurteilt
Dann passierte etwas, mit dem viele nicht mehr gerechnet hatten: Der Geschäftsführer der Gieschen-Firma tauchte wieder auf. Ein Anwalt meldete sich bereits Ende 2021 bei der Staatsanwaltschaft, mehr als drei Jahre nach seinem Verschwinden. Im Oktober 2022 begann der Prozess gegen ihn wegen des unerlaubten Umgangs mit Abfällen und des unerlaubten Betreibens von Anlagen jeweils in einem besonders schweren Fall.
Im Norderstedter Amtsgericht erschien ein gebrochen wirkender Mann, für den meistens sein Rechtsanwalt das Reden übernahm. Dieser erzählte die traurige Lebensgeschichte des Angeklagten. Er sei körperlich und psychisch zusammengebrochen, obdachlos geworden und habe von Sozialleistungen auf der Straße gelebt. Er sei nicht in der Lage gewesen, sein Unternehmen weiterzuführen. Irgendwann habe seine Tochter ihn aufgefunden und zu sich nach Fuerteventura geholt.
Am Ende wurde der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt. Dazu muss er 598.000 Euro zahlen und 150 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.
Müllberg: Kosten für Räumung auf knapp 4 Millionen Euro geschätzt
Das Land hatte die Räumung ausgeschrieben. Ein Unternehmen musste gefunden werden, das den Müllberg fachgerecht abträgt. Im vergangenen Dezember wurde schließlich kurz vor Weihnachten ein Zuschlag vergeben. Im Februar begann die Firma Ehlert & Söhne mit der fachgerechten Entsorgung der Abfallmengen.
- Müllberg Norderstedt: Räumung verzögert sich – Müll bleibt auch 2023 liegen
- Müllberg Norderstedt: Nach vier Jahren – Angeklagter kehrt zurück an Tatort
- Müllberg Norderstedt: Das Rätsel um die verschwundene Familie Gieschen
Der Räumungsprozess war mit geschätzten knapp 4 Millionen Euro aber nicht nur teuer, sondern auch logistisch herausfordernd. Das Problem: Der Müllberg setzte sich aus verschiedensten Abfallarten zusammen. Diese mussten ordnungsgemäß getrennt und zu einer Entsorgungsanlage transportiert werden.