Henstedt-Ulzburg. Interview: Ulrike Schmidt, Verwaltungschefin von Henstedt-Ulzburg, über Herausforderungen, Ziele und die größten Probleme im Ort.

2024 wird für Ulrike Schmidt Halbzeit sein in Henstedt-Ulzburg. Seit 1. Juni 2020 ist die 50-Jährige Bürgermeisterin der Gemeinde, gewählt für acht Jahre. Zum Jahreswechsel hat das Abendblatt die gebürtige Preetzerin, die vor ihrem Wechsel ins Rathaus für die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) tätig war, zum Interview getroffen. Hier spricht sie über Höhen und Tiefen, die Schwierigkeiten bei Unterbringung und Integration von Flüchtlingen, den Beckershof, den WZV und das Verhältnis zu den Nachbarstädten.

2023 war ein bewegtes Jahr. Was ist Ihr Highlight gewesen, Ihr schönster Moment?

Es gab nicht nur einen, sondern viele schöne, bewegende Momente. Herausstechend war der Besuch von Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack und Integrationsministerin Aminata Touré. Bei diesem Besuch haben wir viel Wertschätzung bekommen für unsere Integrationsarbeit in Henstedt-Ulzburg. Das bezieht sich nicht nur auf die Arbeit der Verwaltung, sondern auch auf die der Bürgerinnen und Bürger, denn das Ehrenamt ist hier sehr engagiert. Wir konnten auch verdeutlichen, welch einen Kraftakt dies bedeutet. Wir stoßen personell an unsere Grenzen, und auch, was die Unterbringung betrifft.

Mehr Geld für Kita-Fachkräfte? „Wenn alle erhöhen, bleibt Konkurrenzsituation dieselbe“

Was hat Sie noch bewegt?

Unser Ortsteil Götzberg hat seinen 500. Geburtstag gefeiert. Es gab viele verschiedene Veranstaltungen wie eine Festzeltparty. Was bleibt, sind schöne Erinnerungen, die Gedenksteine und der Dorfplatz, der in kurzer Zeit fertiggestellt werden konnte. Wir hatten einen Festakt für das 20-jährige Bestehen der Partnerschaft mit Wierzchowo, diese Partnerschaft lebt wirklich durch die Menschen. Und für mich war positiv, dass jetzt alle Leitungsstellen im Rathaus besetzt sind und nebenbei viele andere wichtige Positionen. Auch meine Antrittsbesuche in den Kitas konnte ich endlich nachholen, die schon seit meinem Amtsbeginn geplant waren.

Norderstedt hat die Gehälter für Erzieherinnen und Erzieher angehoben, indem die Beschäftigten höhergestuft wurden, da alle Gruppen einen „erhöhten Förderbedarf“ haben. Ziehen Sie nach?

Wir sind in der Prüfung. Es ist auch eine Anpassung an die Arbeit der Erzieher:innen, gerade in Kitas mit verstärkter Integrationsarbeit. Das müssen wir angehen. Aber wenn alle Kommunen erhöhen, wird die Konkurrenzsituation unter den Kommunen dieselbe bleiben, der Fachkräftemangel betrifft ja weiterhin uns alle.

„Drastische“ Briefe zu Aufnahme von Geflüchteten – eine „unschöne Entwicklung“

Was hat sie 2023 geärgert?

Es erreichen mich Briefe von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern, die eine etwas drastischere Stimmung wiedergeben, was die Aufnahme von Geflüchteten betrifft. Das ist nicht gerechtfertigt. Wenn man dann mal nachfragt, wissen die meisten Menschen gar nicht, wie und wo Geflüchtete bei uns untergebracht sind, weil sie so gut integriert sind. Diese Briefe zeigen eine unschöne Entwicklung. Aber generell sind wir glücklicherweise eine sehr offene Gemeinde.

Über die Strategie für die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen gab es kürzlich eine intensive Debatte mit der Politik. Wie bewerten Sie den Beschluss zu neuen Unterkünften für je 100 Personen?

Nach wie vor bevorzugen wir als Verwaltung mehrere kleine Unterkünfte. Jetzt hat es eine mehrheitsfähige Lösung gegeben, das verstehe ich, weil wir mit dem Rücken an der Wand stehen. Wir bekommen weiter von Bürgerinnen und Bürgern Wohnraum angeboten, wollen auch weiter dezentral unterbringen. Aber wir brauchen auch die größere Lösung. Ich bin sehr froh, dass wir jetzt den politischen Beschluss haben, da wir nun in der Verwaltung tätig werden können. Doch die Integrationsarbeit wird nun eine größere Herausforderung. Vielleicht brauchen wir dafür weitere personelle Unterfütterung. Und wir hoffen weiter, dass uns das Ehrenamt unterstützt, es gibt das Zentrum der Hilfe, das Willkommensteam sowie vereinzelte Bürgerinnen und Bürger, die helfen.

Teilen Sie die Sorge vor einem „Brennpunkt“ rund um die geplanten Gebäude?

Ich habe die Hoffnung, dass wir nicht alle Plätze besetzen müssen, dass wir weiter dezentral unterbringen können, dass sich Geflüchtete auch selbst Wohnraum beschaffen können. Die Politik hat darauf geachtet, dass in den Räumlichkeiten der Unterkünfte die Möglichkeit für Integrationsarbeit gegeben ist. Dass dort Kurse, Gemeinsamkeiten und Gemeinsamkeiten stattfinden können, und natürlich müssen wir dann vermutlich verstärkt mit Personal vor Ort sein. Ich sehe schon, dass die Situation schwieriger wird, bin aber überzeugt, dass wir es gemeinsam leisten werden.

Greift die Gemeinde auf den freien Wohnungsmarkt ein?

Ein Vorwurf lautet: Sie entziehen dem freien Wohnungsmarkt Immobilien, indem Sie diese für Flüchtlinge anmieten.

Teils ist das gerechtfertigt, aber ich möchte zu bedenken geben: Viele, die uns Wohnraum zur Verfügung stellen, würden diesen nicht auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten. Ja, wir greifen ein, aber vieles wäre nicht auf dem Markt gewesen.

Gefühlt abgehakt ist die Ostküstenleitung. Es wird keine Klage geben. Ein endgültiger Schlussstrich?

Ich glaube, die Einwohnerversammlung im November hat gezeigt, dass die Planfeststellung der Ostküstenleitung für die Bürgerinnen und Bürger nicht mehr das große Thema ist. Und die Politik hat beschlossen, den Klageweg nicht zu beschreiten, weil er nicht erfolgsversprechend ist und weil wir mit dem Düker-System einen guten gemeinsamen Erfolg erzielt haben.

Und was erwarten Sie von der Tennet?

Dass sie auf ihren Baustellen professionell und transparent arbeitet, und dass sie die Kommunikation mit der Verwaltung sucht, dass sie offen für Fragen der Bürgerinnen und Bürger ist. Ich denke aber, die Einschränkungen werden uns mindestens drei Jahre beschäftigen. Da ist die Geduld der Bürgerinnen und Bürger gefragt.

Wohnungsnot: Über Beckershof-Bebauung „nachdenken“

Wieder im Gespräch ist, im Beckershof-Gebiet zumindest teilweise Wohnungsbau möglich zu machen. Wie stehen Sie dazu?

Die Wohnungsnot macht es notwendig, dass wir darüber nachdenken. Die Bebauung am Bahnhof Ulzburg-Süd ergibt auch Sinn mit Blick auf die S21/S5. Die Entwicklung kann nur in Zusammenarbeit mit der Politik und Investorinnen oder Investoren erfolgen, aber das ist vor dem wirtschaftlichen Hintergrund schwierig. Da müssen wir als Gemeinde auch kreativ sein, Projekte selbst voranbringen.

Wäre die Akzeptanz heute höher als vor knapp 20 Jahren?

Inzwischen sehen vielleicht noch mehr Menschen die Notwendigkeit. Gerade unsere jüngeren Bürgerinnen und Bürger stehen vor dem Problem, überhaupt Wohnraum zu finden. Es geht ja gar nicht mal mehr nur um bezahlbaren Wohnraum, wobei wir auch den entwickeln müssen.

Kommunale Großprojekte werden immer teurer. Muss Henstedt-Ulzburg bei Vorhaben wie dem Alstergymnasium umdenken?

Der Grundsatzbeschluss für einen Neubau ist gefasst worden, aber immer mit einem Hintertürchen – wenn man im Verlauf der Planung sieht, dass das Projekt doch übermäßig teuer wird, kann man aussteigen und über eine Sanierung nachdenken. Das ist jedoch gar nicht mehr Bestandteil der Diskussion gewesen, man hat sich auf den Neubau geeinigt, weil es am Ende wirtschaftlicher ist. Aber die Planungskosten werden erst Ende 2024 feststehen. Derzeit sind wir eher mit dem Raumbedarf und der Suche nach dem Generalplaner beschäftigt.

Für das „Haus der ZUsammenKUNFT“, vorher „Haus des Sports“, setzen Sie auch auf Förderung durch den Bund. Was passiert, wenn diese ein zweites Mal versagt wird?

Da müssen wir abwarten. Wir haben den Antrag gestellt. Wenn wir die Information bekommen, dass wir keine Fördermittel erhalten, wird die Politik entscheiden und vielleicht über den Umfang nachdenken müssen. Es ist ein politisch initiiertes Projekt, das wir als Verwaltung gerne unterstützen, aber es muss realistisch geplant werden.

Kooperation mit Nachbarstädten: „Wir profitieren von Nordgate“

Mit Stefan Bohlen in Kaltenkirchen und Katrin Schmieder haben ihre Nachbarstädte einen neuen Bürgermeister und eine neue Oberbürgermeisterin. Was erhoffen Sie sich künftig von der Zusammenarbeit entlang der Nordgate-Achse?

Bisher gab es in Nordgate eine vertrauensvolle Zusammenarbeit, es ist bereits ein Onboarding-Treffen mit den beiden „Neuen“ arrangiert. Wir haben in meiner Amtszeit in Henstedt-Ulzburg weitere attraktive Firmen ansiedeln können, haben einen guten Job gemacht. Meiner Meinung nach profitieren wir von Nordgate, können so auch überregional auf uns aufmerksam machen. Ein klarer Vorteil ist, dass Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Region, teilweise in der direkten Nachbarschaft, bleiben.

Dennoch sind sie Konkurrenten, ein Beispiel ist der Wettbewerb um Kita-Fachkräfte.

Ja, obwohl auch da die interkommunale Zusammenarbeit ein Thema ist. Wir haben Personal, das aus Norderstedt kommt und bei uns in den Kitas arbeitet – und umgekehrt.

Tragen Sie die Forderung aus Norderstedt nach einer Erzieherschule mit?

Auf jeden Fall. Wir brauchen hier in der Nähe ein Zentrum für die Ausbildung, es spielt für die Menschen eine große Rolle, nicht lange pendeln zu müssen.

Unzufrieden ist Henstedt-Ulzburg mit dem Wege-Zweckverband. Wie sehen Sie dort die Zukunft?

Wir sind sehr kritisch gegenüber vielen Vorgängen, hätten gerne mehr Transparenz, sehen uns in vielen Belangen nicht gut repräsentiert, können uns kaum durchsetzen wegen der Stimmverhältnisse.

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Ausstieg aus dem WZV? „Wir werden das auch prüfen lassen“

Bad Segeberg prüft den Ausstieg. Ist das auch für Henstedt-Ulzburg eine Option?

Wir werden das auch prüfen lassen. Wir sehen uns die Möglichkeiten gemeinsam an. Der Service des WZV ist für die Bürgerinnen und Bürger wichtig, aber wir sehen auch die große Unzufriedenheit gerade mit der Umstellung auf das neue Gebührensystem.

2024 steht bevor. Was wünschen Sie sich für Ihre Gemeinde?

Eine konstruktive Zusammenarbeit mit der Politik, mit der Bevölkerung, dass wir mehr in die Kommunikation gehen. Das ist in herausfordernden Zeiten schwierig, führt aber zu etwas. Und ich wünsche mir mehr Verständnis füreinander, dass man sieht, was andere Menschen belastet, und das mitbedenkt. Und bei den Projekten wünsche ich mir, dass der Dritte Ort vorangetrieben wird, als eines der Projekte, welche das Miteinander stärken. Wir haben jetzt Flächen im CCU angemietet, im März gehen wir in die Konzeptplanung.