Norderstedt. Interview: Gunnar Becker, Fraktionschef der CDU in Norderstedt, über die größten Probleme der Stadt und die neue Oberbürgermeisterin.
Seit der Kommunalwahl ist die CDU die mit 17 Abgeordneten deutlich stärkste Kraft in der Stadtvertretung. Ohne die Union geht politisch also kaum etwas in Norderstedt. Und doch hatten die Christdemokraten kurz vor der Weihnachtspause einen Verlust zu verkraften, da sich der bisherige Fraktionschef Peter Holle aus privaten und gesundheitlichen Gründen von allen Ämtern zurückgezogen hat.
Sein Nachfolger ist Gunnar Becker (54), in Norderstedt aufgewachsen, Unternehmer in der Verlagsbranche, der auch den wichtigen Hauptausschuss übernimmt. Im Interview spricht der leidenschaftliche Trompetenspieler, der unter anderem auch Vizepräsident des Landesmusikrats ist, über die Erwartungen an die neue Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder, die Strategie der Partei für die Haushaltsberatungen und über das wichtigste Thema für 2024.
Herr Becker, wann stand fest, dass Sie die CDU-Fraktion übernehmen werden?
Peter Holle hatte die Stadtpräsidentin, den Fraktionsvorstand und die Fraktion informiert, bevor er seinen Rücktritt öffentlich gemacht hat. Danach gab es gleich Gespräche. Einige haben gesagt: Dann bist du ja der Nächste. Aber für mich gab es vorher ein paar Dinge zu klären, und ich musste vorher mit meiner Familie sprechen.
Wie sehr verändert sich der Aufwand für Sie?
Das wahre zeitliche Engagement, das nötig ist, wird sich erst ab dem neuen Jahr zeigen. Ich werde sicherlich auf die eine oder andere Ausschusstätigkeit verzichten müssen und mich auf die Dinge konzentrieren, von denen ich denke, dass sie von einem Fraktionsvorsitzenden gemacht werden müssen.
Norderstedt: Stopp bei Wohngebieten? „Konsequenz wäre verheerend“
Müssen Sie sich als Fraktionschef in jedes Thema einlesen?
Ich glaube nicht. Ich habe bestimmte Erwartungen an jeden unserer 17 Stadtvertreter, wir haben weitere bürgerliche Mitglieder, die Arbeit kann auf alle verteilt werden. Die Unterstützung bekomme ich auch. Dafür haben wir den Vorteil einer großen Fraktion mit Fachleuten aus vielen Bereichen.
Sie werden auch den Hauptausschuss leiten. Dieser ist eine Kontrollinstanz für die Verwaltung. Wie wollen Sie diese ausüben?
Der Hauptausschuss ist auch der Finanzausschuss. Es geht darum, die Richtung der Stadt mitzubestimmen, zu gucken, dass auf Seite der Verwaltung die Dinge so angegangen werden, wie sie politisch beschlossen worden sind. Ich sehe den Vorsitz nicht so, dass eine Person alles zu regeln hat, es ist ein demokratisch besetztes Gremium.
„Niemand will gegen eine Oberbürgermeisterin arbeiten“
Katrin Schmieder als künftige Oberbürgermeisterin hat angekündigt, das Miteinander mit der Politik zu verbessern. Wie schätzen Sie das ein?
Wir sind uns unter den Fraktionen einig, dass wir unterschiedliche Standpunkte haben. Dafür sind wir gewählt worden. Und das gilt auch für eine Oberbürgermeisterin, die manchmal einen anderen Blick auf die Themen hat. Es wird zum Großteil an Frau Schmieder liegen, ob man gemeinsam an Dingen arbeitet oder es auf eine unterschiedliche Ausrichtung hinausläuft. Es gibt niemanden, der gegen eine Oberbürgermeisterin arbeiten will – aber diese muss sich im Zweifelsfall mit Mehrheiten abfinden.
Was muss besser werden?
Die Kommunikation. Offenheit auf beiden Seiten. Etwas zu verheimlichen, funktioniert sowieso nicht. Gerne auch einmal eine nichtöffentliche Überlegungsrunde. Frau Schmieder hat auch schon damit angefangen und die Fraktionsvorsitzenden eingeladen, das nenne ich einen ersten Schritt. Und dann muss es so weitergehen, dass man ehrlich und offen zusammenarbeitet.
Die Haushaltsberatungen werden das Frühjahr prägen. Was fordert die CDU ein?
Das Wichtigste ist, dass wir keinen negativen Haushalt haben, dass die Ausgaben aus der laufenden Verwaltungstätigkeit mindestens ausgeglichen sind.
„Mehr genehmigte Stellen als Personen, die dort arbeiten“
Ist die Verwaltung aufgebläht?
Mein Eindruck ist, dass zusätzliche Stellen gewünscht sind, die möglicherweise noch keine Arbeiten dahinter haben. Und an anderer Stelle haben wir Personalbedarf, der aber nicht erfüllt werden kann, weil wir für die keinen Schreibtisch haben.
Zum Beispiel?
Ich höre das aus dem Amt für Gebäudewirtschaft, ich höre von Schwierigkeiten aus dem Sozialamt, dass es dort mehr genehmigte Stellen gibt als Personen, die dort arbeiten.
Hierzu hatte Katrin Schmieder im Wahlkampf gesagt, dass Personal grundsätzlich schwer zu finden sei. Überzeugt Sie das?
Sicher, das stimmt zum Teil. Aber ich bin fest davon überzeugt: Eine attraktive Verwaltung ist ein attraktiver Arbeitgeber. Aber wenn man auf einem Stand ist, wie wir gerade im Bericht des Rechnungsprüfungsamtes lesen können, dass es keine interne Digitalisierung, keine digitalen Akten gibt, dass die Gefahr besteht, dass Forderungen nicht eingetrieben werden können, dass Mitarbeiter ihren Schreibtisch brauchen, weil sie dort ihre Papierordner mit Akten haben – dann glaube ich, dass das nicht zu einer Attraktivität für junge Menschen beiträgt.
Millionenprojekte in Norderstedt: Alle müssen auf den Prüfstand, sagt die CDU
Müssen die Großprojekte in Norderstedt auf den Prüfstand? Die Kosten steigen und steigen...
Ja, alle, aus verschiedener Sicht. Im Schnitt verbauen wir im Jahr zuletzt zwischen 33 und 35 Millionen Euro. Das sind die Investitionen, die wir tatsächlich schaffen. Aktuell haben wir für das nächste Jahr circa 70 Millionen Euro und 90 Millionen Euro für das Jahr danach geplant. Wir versprechen unseren Bürgerinnen und Bürgern, unseren Schülerinnen und Schülern, dass wir planen, etwas umzusetzen, von dem wir schon heute wissen, dass wir nicht alles schaffen. Wir haben weder die Ressourcen auf Mitarbeiterseite im Rathaus, noch haben wir aktuell die finanziellen Mittel. Wir bekommen die nötigen Kredite nicht, weil uns das Eigenkapital fehlt.
Was ist der Grund?
Wir sind in vielen Projekten im Vergleich mit Umlandgemeinden viel zu teuer. Wir müssen hinterfragen, warum das so ist. Warum kostet das Schulzentrum Süd, wenn wir es neu bauen würden, 150 Millionen Euro? In Hamburg wird die teuerste Schule in der Hafen City für 100 Millionen gebaut, und die soll deutlich mehr Schüler aufnehmen. Oder warum kostet das Bildungshaus knapp 50 Millionen Euro, und es gibt nicht einmal ein Betreiber- und Nutzungskonzept?
Doppelhaushalt in Norderstedt: „Neue Oberbürgermeisterin hat noch sechs Wochen Zeit“
Wem machen Sie einen Vorwurf?
Es ist schwer einzuschätzen, wo es hakt. Ich habe eher den Eindruck, dass sich im zuständigen Sozial- und Kulturdezernat nicht damit auseinandergesetzt wurde – oder dass man Angst davor hat, weil dann noch einmal gigantische Kosten kommen.
Erwarten Sie Antworten, bevor über den Doppelhaushalt 2024/2025 abgestimmt wird?
Ja. Die neue Oberbürgermeisterin hat ab dem 10. Januar noch sechs Wochen Zeit, um ihre Gedanken einzubringen, wie sie den Haushalt für die nächsten zwei Jahre gestaltet sehen möchte, um Projekte voranzubringen – oder zu sagen, das sind Stellen, die brauche ich nicht, da möchte ich eine andere Verteilung haben.
Das heißt, eine Schonfrist gibt es nicht?
So habe ich ihren Wahlkampf verstanden. Sie hatte zwei Jahre Zeit, sich einzuarbeiten. Gerade im Bereich ihres bisherigen Dezernats wird das meiste Geld ausgegeben. Ich habe schon die Erwartungshaltung, dass sie mit Gedanken zum Haushalt kommt und Vorschläge macht, wie sie das Rathaus führen möchte, und auch, wie man etwas einsparen kann.
„Wir haben gemeinsam mit der SPD eine Mehrheit“
Wie will die CDU in der Stadtvertretung ihre Mehrheiten finden?
Wir haben keine absolute Mehrheit, sind aber in der komfortablen Lage, dass wir gemeinsam mit der SPD eine haben, wenn wir einen guten Kompromiss finden. Das würde dazu führen, dass Dinge vielleicht nicht zu sehr verwässert werden, je mehr mitreden. Gleichzeitig ist uns bewusst, dass wir unterschiedliche Standpunkte in einigen Bereichen haben.
Was wäre, wenn Stimmen der AfD entscheidend wären, ob ein Antrag eine Mehrheit erhält?
Ich finde es demokratisch schwierig, wenn wir einen Antrag einbringen, dem zustimmen, und dieser möglicherweise durch Stimmen der AfD eine Mehrheit erhält – und wir dann schnell die Hände wieder runternehmen. Eine Zusammenarbeit mit der AfD schließen wir absolut aus, aber in einer Abstimmung kennen wir das Verhalten der AfD vorher nicht. Und wir werden das auch nicht in unser Kalkül einbeziehen, das ist weit weg von uns.
Mobilbauten für Flüchtlinge: „Aktuell keine bessere Lösung“
Was wird aus Ihrer Sicht Norderstedt 2024 am meisten beschäftigen?
Ein relevantes Thema wird der Wohnungsbau sein. Da haben sich die Vorzeichen deutlich geändert durch die Zinssteigerung, parallel die gestiegenen Baukosten, die Materialknappheit. Wir haben mehr Geflüchtete, mehr Menschen, die Wohnberechtigungsscheine beantragen können. Eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft kommt für die CDU nicht infrage. Trotzdem müssen wir Lösungen finden.
Vorrangig setzt die Stadt auf Mobilbauten für Flüchtlinge, neu geplant ist der Standort am SOS-Kinderdorf. Wie finden Sie das?
Es ist keine Lösung in unserem Sinne, aber wir haben aktuell keine bessere. Auch Turnhallen sind keine Lösung, das würde echte Probleme an Schulen und für Sportvereine bedeuten. Das führt nicht dazu, dass in der Integration die Hände gereicht werden. Und bei der Integration könnten wir besser sein.
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Inwiefern?
Vielleicht braucht es Wege, dass Kulturträger oder Sportvereine andere Möglichkeiten bekommen, auf Geflüchtete zuzugehen. Meines Wissens gibt es im Musikverein Norderstedt in den Ensembles keine Geflüchteten. Es wird kaum realistisch sein, dass im Ehrenamt Mitglieder in Unterkünfte gehen und ein Schild hochhalten: Wer spielt welches Instrument? Aber es gibt eine Koordinierungsstelle in der Stadt, ich bin da zuversichtlich, dass wir Lösungen finden. Wenn ich als Geflüchteter die Chance bekomme, in einem Fußballteam mitzuspielen oder in einem Orchester, oder in einem Malstudio künstlerisch tätig zu werden, lerne ich die Sprache viel schneller. Das ist Integration.
Norderstedt: „Nicht an dem Punkt, an dem Menschen sagen, sie machen alles mit dem Fahrrad“
Noch einmal zu den Wohngebieten. Die großen Vorhaben wie Grüne Heyde oder Sieben Eichen stagnieren. Wie kommt man hier weiter?
Wir haben nur zwei Möglichkeiten. Wollen wir weiter bauen, wissend, dass der Verkehr zunehmen wird? Dann braucht es ein realistisches Maß an Parkplätzen. Und unsere Straßen, manchmal sind es Allee-Züge, können wir nicht verbreitern. Es ist aus meiner Sicht unrealistisch, dass ein Investor eine Fläche mit 400, 200 oder auch nur 40 Wohneinheiten schafft – und es geht nur an Mieter oder Eigentümer, die kein Auto haben. Oder wir sagen: Wir bauen nicht weiter. Die Konsequenz wäre verheerend.
Aber werden Sie denn politisch zusammenkommen, damit neuer Wohnraum entstehen kann?
Gestoppt wurde es durch das Verkehrsproblem. Aber da sind wir wieder bei der Frage: Verkehr oder Wohnraum? Wir sind aber noch nicht an dem Punkt, bei dem Menschen sagen, sie machen alles mit dem Fahrrad – und nicht dort, dass beim ÖPNV alles funktioniert. In den Köpfen vieler Menschen ist nicht angekommen, dass sie kein Auto mehr brauchen. Und es stimmt auch nicht, für viele Dinge braucht es eines. Und das kann man keinem übel nehmen.