Kiel/Henstedt-Ulzburg. Opfer hätten „dramatisiert“ und sein Mandant quasi keine Handlungsalternative gehabt. Nebenklage nennt das eine Beleidigung.
Im Prozess um versuchten Totschlag durch die Auto-Attacke bei einer Anti-AfD-Kundgebung in Henstedt-Ulzburg hat die Verteidigung am Dienstag den Opfern eine Dramatisierung der körperlichen und psychischen Verletzungsfolgen vorgeworfen. Wie berichtet hatten die Anwälte der Nebenklage zuvor bis zu 6000 Euro Schmerzensgeld für die vier Opfer gefordert.
Darüber hinaus soll der Angeklagte nach den Anträgen der Nebenklage für sämtliche auch künftigen materiellen und immateriellen Schäden aufkommen, die er durch die vorsätzliche Tat vom 17. Oktober 2020 verursacht habe. Strafverteidiger Jens Hummel hält dagegen, die von der Nebenklage behaupteten körperlichen und psychischen Verletzungen seien „vollkommen übertrieben“.
Verteidigung bestreitet Rippenfraktur und psychische Langzeitfolgen
So bestritt der Rechtsanwalt, der Vorfall habe bei einer Nebenklägerin eine Rippenfraktur verursacht und ihre Aussicht auf ein Einser-Abitur und ein erfolgreiches Studium zunichtegemacht. Das Gutachten des medizinischen Sachverständigen gebe eine Kausalität für so schwerwiegende und langwierige Folgen nicht her. Bei einem weiteren Verletzten seien Krankschreibungen und Arbeitsunfähigkeit ebenfalls nicht auf den Vorfall zurückzuführen. Somit seien auch die geforderten Schmerzensgelder überhöht.
Allen vier Nebenklägern warf der Verteidiger vor, seinen Mandanten und dessen Begleiter in einem größeren Pulk schwarz gekleideter Antifa-Aktivisten verfolgt zu haben. Einer der Nebenkläger sei trotz damaliger Maskierung später im Prozess von einem Zeugen als Schläger identifiziert worden – anhand seiner markanten Stirnfalten.
Pickup-Fahrer wollte „Angriff unterbinden“
Die Verfolgergruppe der Antifa sei „geschlossen aggressiv“ aufgetreten, so der Verteidiger. Der Angeklagte, der damals AfD-Mitglied war, und seine drei Begleiter hätten nach einem ersten Schlag erhebliche weitere Gewalt befürchten müssen. „Um den Angriff auf seinen Begleiter zu unterbinden“, habe sein Mandant den Pickup auf den Bürgersteig gelenkt.
Angesichts der Gesamtumstände habe der Angeklagte „keine Handlungsalternativen gehabt“, sagte Hummel. Dabei sei dem Fahrer jedoch nicht bewusst gewesen, dass Personen verletzt werden könnten. Ein gezieltes Anfahren habe der Angeklagte jedenfalls nicht beabsichtigt. Der heute 23-Jährige bedaure sein Handeln und die Folgen für die Betroffenen. Diese seien allerdings laut Gutachten als moderat zu bezeichnen.
Verteidigung bietet Schmerzensgelder zwischen 500 und 2000 Euro an
Von einer Rippenfraktur könne ebenso wenig die Rede sein wie von einer Lebenswirbelprellung oder einer posttraumatischen Belastungsstörung, so Rechtsanwalt Hummel. Den vier Opfern bot er je nach Schwere der Verletzungen Schadensersatzbeträge zwischen 500 und 2000 Euro an.
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In Beweisanträgen forderte der Verteidiger die Erstellung weiterer medizinischer Gutachten. Diese würden belegen, dass angeblich nachhaltige Folgen für die Nebenkläger wie depressive Verstimmungen, Antriebslosigkeit und Konzentrationsprobleme nicht auf den Vorfall zurückzuführen seien.
Jugendkammer will „nichts übers Knie brechen“
Die Anwälte der Nebenklage wiesen die Beweisanträge zurück, sie sahen darin teilweise eine Beleidigung und Herabwürdigung der Opfer. Die Jugendkammer will die Anträge in Ruhe prüfen und vertagte sich auf kommenden Montag. Auf den letzten Metern, sagte die Vorsitzende Maja Brommann, wolle man „nichts übers Knie brechen“. Die Plädoyers sollen nun am 11. Dezember gehalten werden. Das Urteil will die Kammer in der Woche vor Weihnachten verkünden.