Rohlstorf/Kiel. 71-Jähriger hatte in Rohlstorf seit den 90er-Jahren laufend Kinder vergewaltigt. An die Opfer muss er Schmerzensgeld zahlen.
Ein Rentner, der seit Mitte der 90er-Jahre in seinem Einfamilienhaus im Kreis Segeberg mindestens sieben Kinder sexuell missbraucht hat, muss sechs Jahre und sechs Monate in Haft. Laut Urteil des Kieler Landgerichts muss der 71-Jährige 42.000 Euro Schmerzensgeld an fünf seiner Opfer zahlen. Im Strafmaß blieb die Jugendkammer am Montag weit unter dem Antrag der Staatsanwältin, die knapp elf Jahre Freiheitsstrafe gefordert hatte.
Die hohe Differenz zwischen Antrag und Urteil folgt aus der unterschiedlichen Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten. Der gesundheitlich schwer angeschlagene Rentner, der kommende Woche 72 Jahre alt wird, war von einem psychiatrischen Sachverständigen zunächst als „voll schuldfähig“ begutachtet worden.
Berufsrichterinnen meldeten Zweifel am Schuldfähigkeit an
Gleichzeitig hatte der Hamburger Sexualmediziner dem allein lebenden Einzelgänger drei Defizite bescheinigt: mangelnde Intelligenz an der Grenze zum Betreuungsbedarf, eine pädophile Neigung und eine schizoide Persönlichkeitsstörung. Letztere steht für mangelnde Empathie und sozialen Rückzug.
Angesichts dieser Beeinträchtigungen habe der Serientäter sein Leben ganz gut gemeistert, befand der Gutachter. Aus seiner Sicht sprach das „unerwartet hohe Funktionsniveau“ gegen eine erhebliche Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit. Während die Staatsanwältin dieser Einschätzung ohne Abstriche folgte, meldeten die Berufsrichterinnen Zweifel an.
Angeklagter hat „bescheidene Fertigkeiten über Jahrzehnte eingeübt“
Vor allem das vom Gutachter angeführte „Funktionsniveau“ hinterfragten die Juristinnen. Am Ende einer mehrstündigen Erörterung seines Gutachtens lenkte der Sachverständige ein und schloss eine verminderte Schuldfähigkeit durch das Zusammenwirken aller drei Störungen zumindest nicht aus.
Die Vorsitzende der Jugendkammer, Maja Brommann, kam in der Urteilsbegründung noch einmal auf die scheinbare Alltagstüchtigkeit des Angeklagten zu sprechen. Dieser habe seine bescheidenen Fertigkeiten über Jahrzehnte eingeübt. Die vom Gutachter hervorgehobene Pflege der 2011 verstorbenen Mutter sei unter professioneller Anleitung erfolgt.
„Die Kinder mochten ihn und kamen immer wieder“
Die Kinder aus der Verwandtschaft, die in den Schulferien oft wochenlang bei ihrem „Onkel“ wohnten, seien genügsam gewesen. Und dankbar für Zuwendungen, die sie zu Hause so nicht bekamen: Süßigkeiten, PC-Spiele, Ausflüge in den Hansapark und zu den Karl-May-Festspielen. „Sie mochten ihn, kamen immer wieder und setzten seinen Übergriffen nie großen Widerstand entgegen“, so das Gericht.
Insgesamt sah die Jugendkammer beim Angeklagten „kein Zeichen für besonders hohe Sozialkompetenz“. Der erkennbar vereinsamte alte Mann habe zeitlebens bei den Eltern gelebt und es auch nach deren Tod nie zu einer eigenen Partnerschaft gebracht. Ausbildung und Beruf fand er in dem Tiefbauunternehmen, für das schon sein Vater gearbeitet hatte.
Für den schwersten Fall setzte das Gericht drei Jahre Haft an
Nach der Einstellung zahlreicher leichterer Fälle hatte die Jugendkammer am Ende noch rund 280 von ursprünglich 462 Tatvorwürfen abzuurteilen. Jeder zweite der rund 260 verbliebenen Missbrauchsfälle galt als schwer, weil er mit dem Eindringen in den Körper verbunden war. Zudem hatte der Angeklagte die meisten Handlungen gefilmt oder von den Kindern filmen lassen.
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Innerhalb des gemilderten Strafrahmens setzte das Gericht als höchste Einzelstrafe für den schwersten Fall – einen Analverkehr, den zwei Jungen auf Anweisung des Angeklagten miteinander und mit ihm ausübten – drei Jahre Freiheitsstrafe an. Für eine straffe Zusammenziehung der Einzelstrafen sprachen laut Urteil die geringe Hemmschwelle und das Geständnis des nicht vorbestraften Mannes.
Opfern des Missbrauchs muss er 42.000 Euro Schmerzensgeld zahlen
Durch sein Alter und die gesundheitlichen Beeinträchtigungen sei er besonders haftempfindlich, sagte die Vorsitzende Maja Brommann. Für ihn seien sechseinhalb Jahre eine hohe Strafe. Das Urteil beinhaltet auch Schmerzensgelder zwischen 1000 und 20.000 Euro, die der Hausbesitzer je nach Schwere der Taten an fünf Nebenkläger zahlen muss – insgesamt 42.000 Euro. Darüber hinaus muss er finanziell für alle etwaigen Spätfolgen aufkommen.
Zum Thema Therapie riet die Vorsitzende dem Angeklagten, so schnell wie möglich die Gelegenheit zu nutzen. „Nur so haben Sie die Chance, nicht den Rest ihres Lebens in Haft zu verbringen.“ Der 71-Jährige, der sich auch zur Einnahme triebdämpfender Medikamente bereit erklärt hatte, reagierte mit einem Brummen – offenbar als Ausdruck der Zustimmung.