Kreis Segeberg. Prozess vor Landgericht Kiel: 71-Jähriger aus Rohlstorf verging sich 30 Jahre an Jungen und Mädchen. Nun hat er gestanden.
Im Prozess um den massenhaften sexuellen Missbrauch von Kindern in Rohlstorf im Kreis Segeberg, hat der 71-jährige Angeklagte am Donnerstag vor dem Landgericht in Kiel ausführlich zur Sache und zur Person ausgesagt. Dem Rentner wird vorgeworfen, sich in den vergangenen 30 Jahren in 462 Fällen an Jungen und Mädchen vergriffen zu haben. Zu den Kindern zählten auch Verwandte, etwa die Kinder der Cousine des Mannes.
Im Prozess hat der Rentner nun die zahlreichen Tatvorwürfe im Kern eingeräumt. Seit Mitte der 90er Jahre hatte der Angeklagte in seinem Haus im Kreis Segeberg immer wieder Jungen und Mädchen beherbergt und in vielen Fällen sexuell missbraucht.
Kinder in den Hansapark und zu den Karl May-Festspielen eingeladen
Der ehemalige Tiefbauarbeiter, der sein Leben bis zur Festnahme im Dezember 2022 in seinem Elternhaus verbrachte, berief sich jedoch im Einzelfall immer wieder auf Erinnerungslücken. Die Jungen und Mädchen aus der eigenen Verwandtschaft oder Nachbarschaft im Dorf hatte der allein lebende Mann oft am Wochenende oder in den Schulferien bei sich aufgenommen.
Zu den Kindern und ihren Eltern habe er immer ein gutes Verhältnis gehabt, sagt der Angeklagte. Vor allem nach dem Tod seiner schwer kranken Mutter, die er bis 2011 zu Hause pflegte, nahm er immer wieder Kinder bei sich auf. Er besorgte ihnen die gewünschten Computerspiele, nahm sie mit zum Strand oder zum Fußball. Und er lud sie in den Hansapark oder zu den Karl-May-Festspielen ein.
„Aus Spaß, beim Spielen“: Missbrauch im Ehebett der verstorbenen Eltern
Nach der „Ölprinz“-Aufführung am Kalkberg habe man dann Abendbrot gegessen und sei gemeinsam zu Bett gegangen, schildert der Angeklagte ein Beispiel. Die Kinder hätten mit ihm im ehemaligen Ehebett seiner verstorbenen Eltern geschlafen. „Jeder auf seiner Seite“, sagt er. „Je nach Temperatur im T-Shirt oder nackig.“
Teilweise übernachteten die Jungen und Mädchen auch zu zweit beim Angeklagten. Und ließen sich – möglicherweise nach dem Vorbild kinderpornografischer Smartphone-Videos – zu sexuellen Handlungen animieren. Mal mit ihm, mal untereinander.
Dann sei es eben passiert, formuliert der ledige Mann, der keine eigenen Kinder hat. „Aus Spaß, beim Spielen, Herumalbern und Toben.“ Beim Thema Sexualität wird der Angeklagte auffallend einsilbig. Er äußert sich nur zögernd und undeutlich, beruft sich immer wieder auf Erinnerungslücken.
Polizei stellte 15 000 kinderpornografische Dateien sicher
Auf diversen Speicherkarten und USB-Sticks stellten Polizeibeamte bei einer Durchsuchung seines Einfamilienhauses rund 15 000 kinderpornografische Darstellungen sicher. „Aus Langeweile“ will der Angeklagte die Dateien aus dem Netz heruntergeladen und gehortet haben.
Auf Nachfrage des Gerichts bestreitet er, dass die Bilder und Taten ihn sexuell erregten. Der psychiatrische Sachverständige, der den Prozess begleitet, erinnert ihn daran, dass er ihm gegenüber durchaus eine sexuelle Erregung eingeräumt habe. Die Richterin fragt den Angeklagten, ob er sich vom Publikum im vollen Saal gehemmt fühle. „Das ist mir egal“, sagt er trotzig.
Übergriffe gefilmt: Der Angeklagte fertigte selbst die Beweismittel
Als die Vorsitzende der Jugendstrafkammer die ihm vorgeworfenen Handlungen mit klaren Worten unumwunden anspricht, räumt der Rentner nach und nach immer mehr Taten ein. Er selbst hat sie mit seiner Digitalkamera auf Fotos und Videos dokumentiert. Die auf Speichermedien gesammelten Beweise tragen minutengenaue Zeitstempel.
Laut Anklage der Staatsanwaltschaft wurden mindestens sieben namentlich bekannte Jungen und Mädchen Opfer von sexuellem Missbrauch. Gewalt soll nicht im Spiel gewesen sein. Betroffen waren überwiegend Jungen und Mädchen zwischen fünf und zehn Jahren.
Internet-Fahndung nach Kinderpornografie ließ den 71-Jährigen auffliegen
Drei Vorwürfe reichen zurück in die Jahre 1995/96. Seit Januar 2010 soll der Angeklagte dann die Kinder der nächsten Generation zu verschiedenen Varianten des Geschlechtsverkehrs untereinander aufgefordert haben. Er selbst beließ es offenbar bei Manipulationen. Die meisten gelten als schwere Fälle, weil sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden waren.
Die jüngsten und letzten Opfer, die der Mann laut Vorwurf im Oktober 2022 missbrauchte, sollen gerade mal zwei und vier Jahre alt gewesen sein. Die Hinweise, die im Dezember 2022 zum Auffliegen des Serientäters führten, kamen nicht aus den betroffenen Familien: Es war die Suchroutine der Internet-Fahnder nach Kinderpornografie, die den Rentner schließlich in den Fokus rückte.
Angeklagter gibt sich arglos: „Ich habe mir nichts dabei gedacht“
Er habe „ein Foto heruntergeladen“, ohne sich was dabei zu denken, erklärt der gesundheitlich angeschlagene 71-Jährige. Der herzkranke Diabetiker leidet nach eigenen Worten an Bluthochdruck und Atemnot, Gicht und Ischias. „Haben sie mal gedacht, dass das nicht richtig war, was sie da gemacht haben?“, fragt ihn die Vorsitzende. „Ich habe mir gar nichts gedacht“, sagt der Angeklagte.
Weitere Gerichtsprozesse
In Verständigungsgesprächen hatte die Kammer den Prozessbeteiligten eine fünf- bis sechsjährige Haftstrafe vorgeschlagen. Bisher konnten sich Anklage und Verteidigung nicht auf einen Strafrahmen einigen. Bis Ende November hat das Gericht zehn weitere Verhandlungstage angesetzt.
Die Fotos und Videos, mit denen der Angeklagte die Vorgänge festhielt, will die Jugendkammer unter Ausschluss der Öffentlichkeit in Augenschein nehmen. Das gilt auch für die Video-Vernehmungen der als Nebenkläger am Prozess beteiligten Kinder.