Aukrug/Kreis Segeberg. Birgit Voigtländer brach zwei Ausbildungen ab und ist seither mit den Tieren unterwegs. Was sie an ihrem Beruf so liebt.

Ich bin verliebt. In ein schwarzes Lämmchen. Drei Wochen alt und so süß mit seinen aufstehenden Öhrchen. Mein Herz hüpft. Das Lämmchen auch – munter durch den Stall. Gleich gibt‘s Milch zum Frühstück. Labsal an der Lammbar! Die 20 anderen Artgenossen sind längst aus dem Gröbsten raus. Unter lautstarkem Geblöke ziehen sie zum Fressen Richtung Futterraufe.

„Warum blöken die so? Hunger, oder was?“, frage ich Birgit Voigtländer, mit der ich an diesem Morgen im Stall ihrer Schäferei Aukrug verabredet bin. „Hunger ist übertrieben. Aber Kraftfutter ist halt wie Schokolade. Das schmeckt“, sagt die 56-Jährige, seit 30 Jahren Wanderschäferin und die Chefin auf dem Hof. „Manchmal plärren die auch einfach nur so oder suchen auf der Weide ihre Lämmer. Über die Stimme können sie sich erkennen, auch aus der Ferne.“ In unserer Nähe lautes Gebell. Birgit Voigtländer spricht ein Machtwort zu ihren kläffenden Kollegen, sieben altdeutschen Hütehunden, im Zwinger. Wir gehen weiter Richtung Wohnhaus, um unser Gespräch auf der Terrasse fortzusetzen.

Zwei abgebrochene Ausbildungen zur Erzieherin und Bautechnikerin liegen hinter der Schäferin

Rein zufällig sei sie zur Schäferei gekommen, sagt die gebürtige Hamburgerin mit den blauen Augen und der kräftigen Stimme. Birgit Voigtländer ist 21, als sie beschließt: Ich will raus der Stadt. Zwei abgebrochene Ausbildungen zur Erzieherin und Bautechnikerin liegen hinter ihr. Hat einfach nicht gepasst.

Mit ihrem Bauwagen zieht es sie in die Nähe einer Schäferei an den Elbdeich. Die suchen gerade jemanden zum Mitarbeiten: Tiere füttern und tränken, Stall ausmisten, Heu machen, Schafe hüten und beim Lammen unterstützen. Sie kriegt den Job. „Draußen bei den Tieren zu sein, an der Elbe, Natur ohne Ende. Das hat mich einfach erfüllt“, sagt sie. „Das Team war nett, mit dem Chef konnte ich echt gut arbeiten.“ Der schenkt ihr nach zwei Jahren Einsatz (mit nur zwei Tagen Urlaub!) 130 Schafe. Sie kauft noch 130 dazu. Mit ihrer ersten eigenen Herde ziehen Birgit Voigtländer und ihr Freund weiter Richtung Ostdeutschland. „Da wurden nach der Wende wegen der ungeklärten Eigentumsverhältnisse viele Flächen frei. Und die mussten beweidet werden.“ In Wismar, Neustadt-Glewe und Ludwigslust steht das Duo auf Winterweide. Mit Bauwagen, Belarus Traktor und Golf samt Anhänger.

Voigtländers Schäferei Aukrug ist eine von drei Wander- und Hüteschäfereien im Land

Fürs Erste okay, doch: Bezahlte Beweidung von Naturschutzflächen als Landschaftspflege gibt es in der ehemaligen DDR (noch) nicht. In Schleswig-Holstein schon. Birgit Voigtländer bewirbt sich beim Land und wird genommen. Kommt so 1999 nach Aukrug. Lebt weiter im Bauwagen. Der Freund geht. Sie bleibt. Macht ihre Prüfung zu Tierwirtin, Fachrichtung Schäferei. Kauft 2010 ein Gelände in der Nähe. Baut Wohnhaus, Stall, Hofladen drauf.

Heute ist ihre Schäferei Aukrug eine von drei Wander- und Hüteschäfereien in Schleswig-Holstein. Der vierköpfige Betrieb umfasst 800 Mutterschafe und 80 Ziegen, sieben Hüte- und vier Herdenschutzhunde sowie sechs Esel. Damit beweidet die Schäferei in der Barker und Wittenborner Heide rund 200 Hektar Naturschutzflächen – etwa so groß wie 270 Fußballfelder. Weitere kleinere Naturschutzflächen kommen hinzu. So nährt sie Tier und Natur. Denn in Fell und Kot tragen die Schafe Samen und Insekten weiter und erhöhen so die Artenvielfalt. Und: Durch die Beweidung werden die Böden magerer und seltenere Pflanzen haben die Möglichkeit, sich wieder auszusamen.

Der Beruf des Schäfers ist mehr als 10.000 Jahre alt

Ihre Herde, das ist eine Kreuzung hauptsächlich aus Coburger Fuchs, Schwarzkopf und Bergschaf. Wieso kreuzt man die? „Um widerstandsfähige, relativ große Schafe zu haben, die schlachtfähige Lämmer produzieren“, sagt Birgit Voigtländer. „Das Bergschaf habe ich noch mit drin, weil es asaisonal im Herbst Lämmer kriegt. So entzerre ich die Lammzeiten.“

Der Beruf des Schäfers, so lese ich nach, ist mehr als 10.000 Jahre alt und damit einer der ältesten der Menschheitsgeschichte. Doch jedes Jahr geben rund 50 der deutschlandweit 990 Hütehaupterwerbsschäfer auf. Damit geht auch immer mehr wichtiges Wissen rund um Hütetechnik, Ausbildung der Hunde und artgerechter Behandlung der Schafe bei Krankheiten verloren.

Birgit Voigtländer: Der Beruf der Schäferin ist sehr anstrengend

Warum ist das so? „Der Job ist einfach körperlich anstrengend. Es ist ja nicht nur das Hüten. Man muss ständig schleppen. So ein Schaf wiegt 70 bis 80 Kilo. Die Netze auf der Weide auf- und abbauen. Auch die Büroarbeit wird immer mehr. Rechnet man das alles auf die Stunden um, liegen wir unter Mindestlohn,“ sagt die Schäferin, die ihr Geld jeweils zur Hälfte über den Lämmerverkauf und die Pflegeverträge mit dem Land verdient.

Und was hält Birgit Voigtländer von der Diskussion um den Abschuss von Wölfen, von denen es rund 2000 in Deutschland gibt? „Da, wo sie zu viele Tiere reißen, muss reduziert werden“, sagt sie. Der Pinneberger Wolf habe vor Jahren auch einige ihrer Schafe gerissen. Er ist mittlerweile tot. Das Segeberger Rudel würde sich bis dato ruhig verhalten. Ihre Schafe hält Birgit Voigtländer, wie vorgeschrieben, im 1,10 Meter hohen elektrischen Wolfspräventionszaun. „Doch wenn der Wolf will, kommt er auch da drüber“, sagt sie.

„Eine Landschaft ohne Schafe sei nur halb so schön“

Trotz aller Widrigkeiten: „Schafe hüten macht einfach glücklich“, sagt die Schäferin. Eine Landschaft ohne Schafe sei eben nur halb so schön. „Dieser magische Moment, wenn die Herde friedlich beieinandersteht, der Seeadler oder die Störche vorbeifliegen, nährt und beruhigt mich.“

Die Reporterin hat sich verliebt in das drei Wochen alte Lämmchen
Die Reporterin hat sich verliebt in das drei Wochen alte Lämmchen © Bianca Bödeker | BIANCA BOEDEKER

Und ihre Gäste auch. Einige kommen auf den Hof und bleiben. Eine Woche. Zwei Monate. Um beim Helfen in der Schäferei neue Kraft zu tanken. Die Schäferei Aukrug ist Mitglied bei WWOOF™ Germany, einem weltweiten Netzwerk, das Menschen zusammenbringt, die einen naturverbundenen Lebensstil auf dem Land kennenlernen und für einige Zeit leben wollen.

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Wie will Birgit Voigtländer später leben? „Am liebsten wäre mir, wenn jemand aus meinem Team irgendwann die Schäferei übernimmt, und ich helfe weiterhin ein bisschen mit. Auf jeden Fall bleibe ich hier wohnen. Vorn ist noch ein Baugrundstück. Da kann ich ein zweites Haus für diese Person draufsetzen.“

Den naturverbundenen Lebensstil auf dem Land können auch Städter kennenlernen

Spricht’s, greift zu Hut und Schäferstock und macht sich auf Richtung Negernbötel zum Hüten. Ich komme mit. Und dann stehe ich mittendrin in der Schafs- und Ziegenherde. Leitziege Nadja und Leitschaf Ida kommen sofort angerannt und bringen sich in Position. Das so treue und verlässliche Duo wird gleich vorwegmarschieren, wenn Birgit Voigtländer mit der Herde weiterzieht. Und in wenigen Wochen geht’s dann auf die Winterweide – auf 500 Hektar Bauernland rund um Aukrug.

Ich verabschiede mich und fahre zurück in die Stadt. Irgendwie zufrieden. Er hat mich geerdet, der gemeinsame Moment mit Birgit Voigtländer und den Schafen.

Infos: www.schaeferei-aukrug.de