Kiel/Nützen. Laut Urteil trieben massive Wahnvorstellungen einen psychisch kranken 57-Jährigen in Nützen zur Tötung seiner eigenen Mutter.

Mit mindestens 39 Messerstichen hatte im Januar ein unter Verfolgungswahn leidender Mann in Nützen seine eigene Mutter getötet. Am Montag ordnete das Kieler Landgericht die Unterbringung des schuldunfähigen Täters in einer geschlossenen Anstalt an. Dies hatten zuvor alle Beteiligten in dem Sicherungsverfahren gefordert.

Die Schwurgerichtskammer folgte damit der Empfehlung eines psychiatrischen Sachverständigen. Der Gutachter hatte dem nicht vorbestraften Mann eine krankhafte seelische Störung bescheinigt. Demnach litt der jahrzehntelang unauffällige Mitarbeiter eines Möbelhauses nach Verlust seiner Lebensgefährtin und seines Arbeitsplatzes an Verfolgungswahn.

Verlust von Lebensgefährtin und Arbeitsplatz löste Depressionen aus

Als Folge seiner Schizophrenie steigerte er sich in die unumstößliche Überzeugung hinein, seine Mitmenschen hätten sich gegen ihn verschworen, um ihn psychisch und körperlich zu vernichten. Wie Staatsanwältin Ulrike Nötzelmann in ihrem Plädoyer ausführte, konzentrierten sich die Vorwürfe zunächst auf eine Freundin seiner ehemaligen Lebensgefährtin, die ihn 2019 verlassen hatte.

Nach der Trennung ließ sich der gelernte Maurer zunächst wegen Depressionen in zwei psychiatrischen Kliniken stationär behandeln. Ab Sommer 2020 entwickelte sich dann die wahnhafte Symptomatik rund um die Vorstellung, die Frau habe eine Verschwörung angezettelt, um ihm das Leben zur Hölle zu machen.

Klinikpersonal, Polizei, Familienangehörige: „Alle bestochen“

Am Ende war der als freundlich und umgänglich bekannte Mittfünfziger absolut sicher, dass alle Personen bis in die eigene Familie hinein ihn psychisch und körperlich zerstören wollten. Auch Klinikpersonal und Polizei hielt er für bestochen. Er fühlte sich überwacht, durch Wanzen im Pkw abgehört und per Handy überall geortet.

Hilfesuchend wandte sich der 57-Jährige zeitweise an einen Cousin und an einen seiner drei Brüder, die später als Nebenkläger im Prozess um den Totschlag an der gemeinsamen Mutter auftraten. Doch auch diese Vertrauenspersonen entpuppten sich in seiner Vorstellung als Verräter.

Auch im Haus der Mutter fand er „Beweise“ für die Verschwörung

„Wahn hat immer die Tendenz, sich selbst zu beweisen“, zitierte die Staatsanwältin den Sachverständigen. Die Brüder des Beschuldigten hätten untereinander Kontakt gehalten und alles getan, um ihm zu helfen. „Diese Tat“, schloss sie, „war einfach nicht vorherzusehen.“

Schließlich habe sich der Sohn am Vorabend der Tat „an die letzte Person gewandt, die immer zu ihm gehalten hatte“. Doch auch im Haus der Mutter in der 1300-Einwohner-Gemeinde Nützen stieß er auf „Beweise“ für eine Beteiligung am Komplott: Sein Handy, das er gegen Ortungsversuche abgeschaltet hatte, leuchtete plötzlich auf. Und dann verschwand auch noch sein Portemonnaie mit über 1000 Euro Bargeld.

Wahn eskalierte im tödlichen Gewaltexzess

Dahinter konnte nur die Mutter stecken, soll der Beschuldigte gefolgert haben. „Er hatte wirklich Todesangst“, stellte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer fest, dem sich Nebenklage und Verteidigung anschlossen. Das vermisste Portemonnaie fand sich später zwischen Sofakissen.

Am Ende eskalierte der Wahn im Gewaltexzess: Mit einem Küchenmesser stach der Sohn am Morgen des 24. Januar auf die wehrlose Seniorin ein. Zwei Stiche der 20 Zentimeter langen Klinge trafen den Hals, ein Stich drang fast in voller Länge in den Rücken ein und verletzte lebenswichtige Organe und Blutgefäße.

Älterer Bruder konnte Messerstecher entwaffnen und überwältigen

Stunden später machte sich ein älterer Bruder des Beschuldigten besorgt auf den Weg zur Mutter, die er telefonisch nicht erreichen konnte. Als der Zeuge den Tatort betrat, wurde er mit einem Messer bedroht. Er konnte den Jüngeren jedoch entwaffnen, überwältigen und die Polizei alarmieren.

Laut Urteil war der Täter nicht in der Lage, das Unrecht seines Handelns zu erkennen. Von dem 57-Jährigen, der sich trotz monatelanger vorläufiger Unterbringung in der forensischen Psychiatrie noch immer nicht aus seinem Wahngebäude befreien konnte, gehe weiterhin die Gefahr schwerer Straftaten aus.

Psychiatrischer Sachverständiger sieht extrem hohe Rückfallgefahr

Mit „extrem hoher Wahrscheinlichkeit“ drohten weitere Tötungsdelikte, hatte der Sachverständige erklärt. Der Beschuldigte selbst hatte die Tat weder gestanden noch bestritten. Unmittelbar danach beschrieb er jedoch Wände und Mobiliar großflächig mit Kommentaren wie „eiskalter Mord“ oder „bin mal gesund gewesen“.

Mehr aus der Region

Nach eigener Aussage erinnert sich der 57-Jährige trotz leichter Schnittverletzungen an den eigenen Fingern nicht daran, ein Messer in der Hand gehalten zu haben. Seine Mutter hätte er „im Leben nicht“ töten können, beteuerte er. „Ich weiß, dass ich dazu gar nicht in der Lage wäre“. Die 81-Jährige sei „der einzige Mensch gewesen, der mir im Leben wichtig war“.