Norderstedt. Klimaneutrales Norderstedt: Was die Stadtwerke planen und ob die Strommengen in Zukunft noch für alle Geräte reichen.

Wir schreiben das Jahr 2035. Die Hälfte aller Gebäude in Norderstedt wird mit einer Wärmepumpe betrieben. In den Carports und Tiefgaragen stehen vorwiegend Elektroautos. Angetrieben werden beide Technologien mit Strom, der zu 80 Prozent aus Wind, Sonne, Wasserkraft und Biomasse erzeugt wird. So sehen es die Pläne der Bundesregierung vor – mit dem Ziel, in Deutschland spätestens bis 2045 klimaneutral zu sein. Soweit die Theorie. Aber wie sieht es in der Praxis aus? Wo soll all der Strom herkommen? Und halten das unsere Stromnetze aus, wenn die Wärmepumpen heizen und gleichzeitig die Elektroautos laden?

Antworten auf diese Fragen geben Martin Oster und Anne Pamperin. Sie erklären in der Norderstedter Regionalausgabe des Hamburger Abendblatts in einer Serie, was Habeck mit dem Heizungsgesetz bezweckt und was es im Detail bedeutet. Die beiden Quickborner betreiben seit April 2020 den Youtube-Kanal „gewaltig nachhaltig“ und haben mittlerweile mehr als 70.000 Abonnenten.

Anne Pamperin und Martin Oster haben ein Ratgeber-Buch über Photovoltaik geschrieben: „Photovoltaik für Einsteiger – ohne Vorkenntnisse zur maßgeschneiderten Photovoltaikanlage“.
Anne Pamperin und Martin Oster haben ein Ratgeber-Buch über Photovoltaik geschrieben: „Photovoltaik für Einsteiger – ohne Vorkenntnisse zur maßgeschneiderten Photovoltaikanlage“. © Norderstedt | Christopher Mey

Habecks Heizungsgesetz: E-Autos laden, Wärmepumpen laufen – zu viel fürs Stromnetz

Mehr als 600 Videos haben sie bereits veröffentlicht. Darin stellen sie ihre eigene Photovoltaik-Anlage mit den dazugehörigen Komponenten (Wärmepumpe und Elektroauto) und Statistiken vor, werfen aber auch einen Blick auf andere private Energiekonzepte. Im September 2022 erschien ihr „Spiegel“-Bestseller „Photovoltaik für Einsteiger“.

Lesen Sie heute, was die beiden „Habeck-Erklärer“ zur Frage sagen, wo all der Strom für die Klimawende herkommen soll, und ob die Stromnetze die elektrische last überhaupt aufnehmen und weiterleiten können.

Wärmepumpe schafft 20.000 Kilowattstunden mit bis zu drei kW Leistung

Luft-Wärmepumpen sind derzeit als Heizungsalternative äußerst beliebt, es gibt aber auch andere Optionen, bei denen die Wärme aus dem Erdreich oder dem Grundwasser gewonnen wird.
Luft-Wärmepumpen sind derzeit als Heizungsalternative äußerst beliebt, es gibt aber auch andere Optionen, bei denen die Wärme aus dem Erdreich oder dem Grundwasser gewonnen wird. © dpa-tmn | Daniel Maurer

Hier hilft zunächst ein Blick in die technischen Anforderungen. Eine Wärmepumpe, die ein herkömmliches Einfamilienhaus beheizt, hat eine thermische Leistung von fünf bis zehn Kilowatt – je nach Wärmebedarf und Sanierungsstand des Gebäudes.

Drei Viertel der benötigten Energie wird bei diesem Heizungsprinzip aus der Umgebungsluft oder dem Erdreich entnommen und belastet das Stromnetz nicht weiter. Also läuft solch eine Wärmepumpe, die eine Gastherme mit einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden ersetzt, im Extremfall mit bis zu drei kW Leistung aus dem öffentlichen Stromnetz.

Elektroauto braucht zehn Stunden, um Strom für 100 Kilometer zu laden

Strom tanken an einer Ladestation – künftig werden viele Elektroautos unter heimischen Carports oder auf dem Parkplatz in einer Tiefgarage geladen.
Strom tanken an einer Ladestation – künftig werden viele Elektroautos unter heimischen Carports oder auf dem Parkplatz in einer Tiefgarage geladen. © picture alliance / dpa-tmn | Christin Klose

Ein Elektroauto kann schon mit einer Leistung von zwei kW laden. Zwar braucht es dann rund zehn Stunden, um 100 Kilometer nachzuladen, für die meisten Pendler reicht diese Tagesfahrleistung aber aus. Macht also zusammen fünf kW. Diese Leistung entspricht zwei Herdplatten, die gemeinsam mit dem Backofen betrieben werden. Kein ungewöhnliches abendliches Szenario in den meisten Haushalten.

Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass Elektroauto und Wärmepumpe mit diesen Leistungen dauerhaft arbeiten. Und hier ergibt sich dann die Herausforderung an den Strom- und Wärmenetzbetreiber. „Physikalisch ist es nicht möglich, das mit unserem heutigen Stromnetz zu leisten“, sagt Dennis Wischnewski, Leiter Planung Energie- und Wasserversorgung bei den Stadtwerken Norderstedt.

Norderstedt will Stromnetz ausbauen und Energie intelligent verteilen

„Wir streben eine Versorgung von 70 Prozent der Energie über die Fernwärmenetze und 30 Prozent über Strom an“, sagt Nico Schellmann, technischer Leiter der Stadtwerke Norderstedt.
„Wir streben eine Versorgung von 70 Prozent der Energie über die Fernwärmenetze und 30 Prozent über Strom an“, sagt Nico Schellmann, technischer Leiter der Stadtwerke Norderstedt. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

„Aktuell verbraucht die Stadt Norderstedt 360 Gigawattstunden (GWh) Strom im Jahr. Dieser Wert wird sich spürbar erhöhen“, ergänzt Nico Schellmann, der Stadtwerke-Leiter für den Bereich Energie und Netze. Wie aber kann dann die Lösung für diese Herausforderung aussehen, die von der Politik vorgegeben wurde? Alle Straßen in der Stadt aufgraben und neben dem Fernwärmenetz auch große Teile des Stromnetzes ertüchtigen?

„Zunächst einmal ist es gut, dass wir als Netzbetreiber durch schnelle Gesetzesbeschlüsse klare Planungsvorgaben an die Hand bekommen“, so Schellmann weiter. Die Stadtwerke betrachten dabei die Energieversorgung der Stadt ganzheitlich und nicht getrennt in Wärme- und Stromversorgung. „Zuerst legen wir fest, welche Quartiere wir mit Fernwärme versorgen können. Dann können wir ermitteln, wo wir das Stromnetz nachbessern müssen“, erklärt Schellmann. „Wir streben eine Versorgung von 70 Prozent der Energie über die Fernwärmenetze und 30 Prozent über Strom an.“

Stromnetz erneuern, aber: So wenig Kupfer wie möglich verbauen

Es geht also nicht darum, stumpf das komplette Stromnetz physikalisch zu erneuern. „Wir wollen so wenig Material wie notwendig verbauen“, sagt Wischnewski auch mit Blick auf die endliche Ressource Kupfer. Vielmehr steht im Vordergrund, bis 2045 die Energieverteilung intelligent zu gestalten.

„Mit entsprechender Sensorik werden wir die Stromflüsse in unserem Stromnetz überwachen und so stärkere Belastungen zeitlich verschieben“, wirft Wischnewski einen Blick in die Zukunft. Ähnliches plant auch die Bundesnetzagentur, die für den bundesweiten Energienetz-Ausbau verantwortliche Behörde.

Heizungen und Ladegeräte sollen auch in kritischen Phasen am Netz bleiben

„Wenn weiter sehr viele neue Wärmepumpen und E-Auto-Ladestationen installiert werden, dann sind Überlastungsprobleme und lokale Stromausfälle im Verteilnetz zu befürchten, falls wir nicht handeln“, sagt Klaus Müller, Leiter der Bundesbehörde. „Ganz von der Stromversorgung getrennt werden sollen die Heizungen und Ladegeräte in kritischen Phasen jedoch nicht. Wir wollen eine Mindestversorgung jederzeit garantieren.“

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Es ist also nicht zu befürchten, dass Großverbraucher wie Elektroauto oder Wärmepumpe abgeschaltet werden. Reduziert werden sollen Leistungen zu Spitzenlastzeiten, von denen die Verbraucher in aller Regel nichts merken werden. Wärmepumpen werden mit Pufferspeichern errichtet, die diese Zeiten abfedern können. Elektroautos mit 400 km Reichweite werden nicht täglich geladen und wenn doch, dann kurzzeitig mit höherer oder über einen längeren Zeitraum mit niedrigerer Leistung.

Habecks Heizungsgesetz: E-Autos laden, Wärmepumpen laufen – zu viel fürs Stromnetz

Eine weitere im Gebäudeenergiegesetz vorgesehene Möglichkeit der Wärmebereitstellung ist die über Wasserstoff (H2). Hier sollen sogenannte H2-ready Gasheizungen über die Jahre mehr und mehr durch Beimischung von blauem oder grünem Wasserstoff zum Erdgas fit für die klimaneutrale Zukunft gemacht werden. „Physikalisch können wir das kommunale Niederdrucknetz mit Wasserstoff versorgen“, erläutern die Experten der Stadtwerke.

Allerdings kann noch keiner der beiden konkret sagen, wie sich diese Option im Wärmeplan der Stadt Norderstedt darstellt, der schon im kommenden Jahr, also vier Jahre vor der gesetzlichen Frist, bekannt gemacht werden soll. Welche Anreize und Möglichkeiten Bürgerinnen und Bürger selbst haben, ihren Energieverbrauch gewinnbringend zeitlich zu steuern, zählen wir im nächsten Teil der Serie auf.