Norderstedt. Heizungsgesetz ist beschlossene Sache. Die Chancen, die Fallstricke – unsere Experten, erklären, was Minister Habeck will.
Nach langem Streit hat der Bundestag das Heizungsgesetz beschlossen. Mit den darin enthaltenen Änderungen des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) steht der Fahrplan zur Wärmewende, die Vorgaben regeln den Ausstieg aus Gas und Öl beim Heizen.
Doch was bedeutet das von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eingebrachte Gesetz für jeden einzelnen? Muss die funktionierende Gasheizung raus? Wie lebt es sich mit einer Wärmepumpe? Kann ich den Umstieg auf erneuerbare Energien überhaupt bezahlen? Ergänzen sich Photovoltaik und Wärmepumpe? Wer kann Fernwärme nutzen? Reicht das Stromnetz in Norderstedt, wenn überall Wärmepumpen laufen und E-Autos geladen werden? Das Heizungsgesetz wirft viele Fragen auf und verunsichert die Menschen.
Pellets, Sonne, Wasserstoff – wie wir künftig heizen dürfen
Martin Oster und Anne Pamperin erklären in der Norderstedter Regionalausgabe des Hamburger Abendblatts in einer Serie, was Habeck mit dem Gesetz bezweckt und was es im Detail bedeutet. Die beiden Quickborner betreiben seit April 2020 den Youtube-Kanal „gewaltig nachhaltig“ und haben mittlerweile mehr als 70.000 Abonnenten.
Mehr als 600 Videos haben sie bereits veröffentlicht. Darin stellen sie ihre eigene Photovoltaik-Anlage mit den dazugehörigen Komponenten (Wärmepumpe und Elektroauto) und Statistiken vor, werfen aber auch einen Blick auf andere private Energiekonzepte. Im September 2022 erschien ihr „Spiegel“-Bestseller „Photovoltaik für Einsteiger“.
Lesen Sie heute, was die beiden „Habeck-Erklärer“ zu den gesetzlichen Grundlagen des Heizungsgesetzes sagen:
Warum hat Habeck das Heizungsgesetz auf den Weg gebracht?
Der Ausstoß an Treibhausgasen, die das Klima aufheizen und den Klimawandel beschleunigen, steigt weiter an. Um diesen Trend zu stoppen oder zumindest abzumildern, muss in Europa und in Deutschland massiv CO2 eingespart werden, und zwar in den Bereichen Wärme, Mobilität, Gebäudeversorgung, Industrie und Ernährung. Während die EU bis 2055 klimaneutral werden will, hat sich Deutschland das Jahr 2045 als Ziel gesetzt. Wie die Wärme klimaneutral erzeugt werden kann, soll nun das Heizungsgesetz regeln.
Wie lauten die Vorgaben des GEG konkret?
Neu installierte Heizungssysteme sollen künftig mit mindestens 65 Prozent „regenerativer Energien“ betrieben werden, Energien, deren Quellen permanent und dauerhaft zur Verfügung stehen. Zunächst betrifft dies ab 1. Januar 2024 nur Gebäude, die in einem ausgewiesenen Neubaugebiet errichtet werden und für die ein Bauantrag nach dem 1. Januar 2024 eingereicht wird. Für alle anderen Neu- und Bestandsbauten hängt es von der kommunalen Wärmeplanung ab, wann die „65-Prozent-Regel“ gilt.
Wann müssen Städte und Gemeinden ihre kommunale Wärmeplanung fertig haben?
Diese soll in Kommunen mit mehr als 100.000 Einwohnern bis zum 30. Juni 2026 und in Kommunen mit weniger als 100.000 Einwohnern bis 30. Juni 2028 verbindlich sein. Liegt bis dahin keine Wärmeplanung vor, muss trotzdem beim Einbau einer neuen Heizung nach den Vorgaben des GEG vorgegangen werden. Liegt die Wärmeplanung früher vor, gelten die Regelungen ab einen Monat nach Veröffentlichung der kommunalen Wärmeplanung. Die Norderstedter Stadtwerke arbeiten an der Wärmeplanung, Ergebnisse sollen im nächsten Sommer vorliegen.
Inwieweit wirkt sich das Heizungsgesetz auf bestehende Anlagen aus?
Alle Anlagen, die vor dem Tag des Kabinettsbeschlusses über das GEG (19. April 2023) beauftragt wurden und vor dem 18. Oktober 2024 eingebaut werden, sind vom Heizungsgesetz ausgenommen und können in herkömmlicher Form betrieben werden, bis sie nicht mehr reparierbar sind. Funktioniert die eigene Heizung also noch, egal ob Gas- oder Öltherme, muss kein Tausch vorgenommen werden. Sie kann auch noch repariert werden. Erst, wenn das nicht mehr möglich ist, ist ein Austausch nötig, das GEG ist dann zu berücksichtigen.
Dürfen gar keine Gas- oder Ölheizungen verbaut werden, wenn das Gesetz gilt?
Bis die 65-Prozent-Regel greift, können auch nach dem 1. Januar 2024 noch Gas- und Ölthermen eingebaut werden, wenn sichergestellt ist, dass diese ab 1. Januar 2029 15 Prozent, ab 2035 mindestens 30 Prozent und ab 2040 mindestens 60 Prozent Biomasse oder Wasserstoff nutzen. Die Verantwortung hierfür liegt einzig beim Heizungsbetreiber. Vor dem Einbau muss eine Beratung über mögliche Preisanstiege beim Verbrennen fossiler Energieträger durch eine qualifizierte Person (z.B. Energieberater) erfolgen.
Wie lässt sich der Anteil von 65 Prozent erneuerbarer Energien erreichen?
Vorrang hat die Möglichkeit, das Gebäude an ein bestehendes Fernwärmesystem anzuschließen. Ist dieses nicht verfügbar, kommen individuelle Wärmelösungen wie elektrisch betriebene Wärmepumpen zum Zug. Eine Wärmepumpe erzeugt im Schnitt aus einer Kilowattstunde Strom drei bis vier Kilowattstunden Wärme. Dafür nutzt sie die Umgebungswärme aus der Luft oder Erdwärme.
Welche Alternativen zur Wärmepumpen gibt es?
Als Energieträger kommt auch nachwachsende Biomasse infrage. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Pelletheizungen, aber auch andere Holzheizungen und Gasheizungen können mit blauem oder grünem Wasserstoff betrieben werden, sofern die Gasbrennwertheizung „H2-ready“ ist. Das Label sagt aus, dass die Heizung mit einem Erdgasgemisch gefüttert werden kann, das aus bis zu 30 Prozent Wasserstoff besteht. Blauer Wasserstoff entsteht als Abscheidung aus Erdgas unter Aufspaltung von Wasserstoff und CO2. Das CO2 wird in der Folge mit Hilfe des Carbon-Capture-Verfahrens im Erdboden verpresst. Grüner Wasserstoff wird ausschließlich aus erneuerbaren Energien gewonnen.
Was passiert, wenn kein Wasserstoffnetz zur Verfügung steht?
Wird eine solche Gastherme verbaut, muss das Gebäude in einem Wasserstoffnetz-Ausbaugebiet liegen und bis 2044 darüber komplett mit Wasserstoff versorgt werden. Kommt die Kommune dieser Verpflichtung nicht nach, ist sie für die Umrüstung der in diesem Gebiet verbauten H2-ready-Heizungen auf eine 65 Prozent-fähige Hybridheizung verantwortlich, also auf ein Heizsystem, das aus mehreren Komponenten besteht, beispielsweise Gasheizung und Wärmepumpe und Photovoltaik.
Wie steht es um sogenannte Stromdirektheizungen?
Diese Heizungen erfüllen die Vorgaben des GEG ebenfalls unter bestimmten Bedingungen. Solche Anlagen, die den Strom eins zu eins in Wärme umwandeln, kommen in selbstbewohnten Ein- oder Zweifamilienhäusern zum Einsatz, in denen es keine Zentralheizung gibt. Voraussetzung: Der Dämmstandard des Gebäudes liegt um 30 Prozent über dem Neubaustandard Effizienzhaus 55. Zu Stromdirektheizungen zählen Infrarot- oder Nachtspeicherheizungen. Diese sollten aber gut geplant werden, da sie durch die direkte Umwandlung von Strom in Wärme schnell zu ausufernden Heizkosten führen.
Können auch mehrere Heizungstypen kombiniert werden?
Die Kombination von Gas- und Ölheizungen mit Wärmepumpen beispielsweise bietet einen wesentlichen Vorteil: Jedes Teilsystem kann im jeweils besten Wirkleistungsbereich arbeiten. Die Wärmepumpe liefert bei Temperaturen über dem Gefrierpunkt die Wärme, der fossile Teil kommt bei Frost zum Einsatz.
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Lässt sich Solarthermie mit herkömmlichen Heizsystemen kombinieren?
Die in den vergangenen Jahren sehr beliebte Solarthermie, bei der Sonnenlicht direkt in warmes Wasser umgewandelt wird, reicht nicht in Verbindung mit einer fossilen Heizung, um die Vorgaben des Heizungsgesetzes zu erfüllen. Hier muss ebenfalls auf ein hybrides System zurückgegriffen werden.
Welche Ausnahmen lässt das GEG zu?
Keine Regel ohne Ausnahme. So ist es möglich, dass bei der Havarie einer Heizungsanlage übergangsweise für fünf Jahre eine gebrauchte fossile Heizung nachgerüstet wird, bis eine gesetzeskonforme Anlage installiert wird. Wer für mindestens sechs Monate ununterbrochen Sozialleistungen bezieht, kann sich auf Antrag von den Vorgaben des Heizungsgesetzes befreien lassen. Ist der Anschluss an ein Wärmenetz absehbar, aber noch nicht realisierbar, gilt eine Übergangszeit für eine neue fossile Heizung von zehn Jahren, wenn ein Vertrag über die Anbindung an das Wärmenetz abgeschlossen wird.
Im zweiten Teil unserer Heizungsserie geht es um die Funktion von Wärmepumpen, die auch im Keller stehen können.