Norderstedt. Am Montag beginnt ein neues Schuljahr, aber an vielen Schulen fehlen Kräfte. Die Situation in Schulen in der Region.
An diesem Montag beginnt für Tausende Kinder und Jugendliche wieder der Schulalltag. Klassenstufen, Fächer, Inhalte – vieles ändert sich. Nur eines nicht: der Fachkräftemangel, der teils sogar für Unterrichtsausfall sorgt.
„Wir haben einen Notstand im Fach Kunst, können in dem Bereich deshalb nur sehr begrenzt Unterricht anbieten“, sagt Heike Schlesselmann, Leiterin des Coppernicus-Gymnasiums in Norderstedt. 75 Lehrerstellen gibt es an der Schule, derzeit sind „eineinhalb bis zwei Kunststellen unbesetzt“, wie Schlesselmann sagt. Der Grund: „Erkrankung und Elternzeit.“
Schulstart: Unterricht beginnt wieder – Lehrkräfte fehlen
Die Nachbesetzung sei sehr schwierig. „Ich habe zweimal Stellen ausgeschrieben, aber es gab null Bewerbungen“, so Schlesselmann. Aktuell habe sie eine Vertretung im Fach Kunst gewinnen können, „aber nur für ein halbes Jahr“. Schlesselmann betont aber auch, dass der Fachkräftemangel derzeit nur das Fach Kunst betreffe.
Für zwei Drittel der Schulleiter und Schulleiterinnen ist das fehlende pädagogische Personal inzwischen die größte Herausforderung – so das Ergebnis des Deutschen Schulbarometers der Robert Bosch Stiftung. Das Problem: Für den Lehrkräftemangel gibt es keine schnelle und vor allem keine einfache Lösung. Der Deutsche Lehrerverband schätzt, dass zwischen 32.000 und 40.000 Stellen unbesetzt sind.
Tendenz steigend. Denn angesichts steigender Geburtenzahlen, weiterer Zuwanderung sowie dem Ausbau des Ganztagesangebotes wird laut Experten weiteres zusätzliches Personal an Schulen benötigt.
Zahl der Schüler steigt, landesweit aber 133 Lehrerstellen unbesetzt
Laut Bildungsministerium steigt die Zahl der Schülerinnen und Schüler in Schleswig-Holstein in diesem Schuljahr auf rund 286.800 Kinder an den 760 öffentlichen allgemeinbildenden Schulen. Das ist ein Anstieg von 1,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Gleichzeitig sind noch 133 Lehrkräftestellen im Land unbesetzt.
Besonders dramatisch ist die Situation an Grundschulen und Gemeinschaftsschulen – „aber auch an Gymnasien verschärft sich die Situation von Jahr zu Jahr“, sagt Torben Krüger, Schulleiter des Lise-Meitner-Gymnasiums in Norderstedt. Obwohl die Lage in Norderstedt noch nicht so dramatisch wie in anderen Kreisen sei, spüre man auch hier die angespannte Personalsituation.
„Wir können zwar alle Unterrichtsstunden abdecken, haben das aber nur dem Einsatz unserer Lehrkräfte zu verdanken, die zum Teil ihre Stunden aufgestockt haben“, sagt Torben Krüger, der in den letzten Tagen die längst fertigen Stundenpläne neu aufstellen muss, nachdem eine Lehrauftragsnehmerin kurzfristig abgesagt hatte.
„Da wir jetzt so kurzfristig niemanden mehr für das Fach Mathematik bekommen konnten, mussten wir den Fachunterricht intern neu besetzen. Das heißt: Einige Fachlehrer werden jetzt ausschließlich in Mathe eingesetzt und können nicht mehr wie sonst üblich in ihren beiden Fächern eingesetzt werden“, so Krüger.
Schulleiter: Viele junge Lehrkräfte wollen nur noch Teilzeit arbeiten
Auch er rechnet damit, dass sich der Fachkräftemangel an Schulen allgemein noch verschärfen wird. Seine Beobachtung: „Viele junge Lehrkräfte wollen nicht mehr voll, sondern nur Teilzeit arbeiten“, sagt Krüger. Schon jetzt seien viele Schulen auf studentische Hilfskräfte angewiesen, damit es nicht zu massiven Unterrichtsausfällen komme.
Den Fachkräftemangel spürt auch das Kollegium der Gemeinschaftsschule Ossenmoorpark in Norderstedt. „Neun Stellen sind aktuell nicht regulär besetzt, sondern durch Kräfte mit Jahresverträgen“, sagt Kathrin Peters, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Marion Rönnfeldt die Schule kommissarisch leitet. Denn die Stelle der Schulleiterin ist ebenfalls vakant.
Ossenmoorpark: „Besetzung mit Seiteneinsteigern ist komplizierte Angelegenheit“
Peters nennt zwei Probleme: Einerseits gebe es einen Fachkräftemangel – Stellen, die ausgeschrieben werden, ließen sich oft gar nicht mit regulären, voll ausgebildeten Kräften besetzen. Andererseits seien da strenge Regularien des Landes, die die Stellenbesetzung mit Seiteneinsteigern zu einer „komplizierten Angelegenheit“ machen, wie sie sagt.
Unter dem Strich bedeutet das einen erheblichen Aufwand für die für Stellenplanung zuständigen Kollegen, die teilweise ihre Ferien damit verbringen müssen, neue Kräfte zu finden und Stellen zu besetzen.
Die Schulen sind unterschiedlich vom Fachkräftemangel betroffen. So gibt es auch Norderstedter Schulen, in denen derzeit alle Stellen besetzt sind – die Gemeinschaftsschule Harksheide, das Lise-Meitner-Gymnasium oder die Willy-Brandt-Schule beispielsweise.
An der Grundschule Heidberg machten „Seniorexperten“ Vertretungen
Vergleichsweise positiv sieht es auch an der Grundschule Heidberg in Norderstedt aus. Hier sind aktuell fast alle Stunden abgedeckt. „Wir sind in der glücklichen Situation, dass nur ganz wenige Stunden übrig geblieben sind“, sagt Schulleiterin Ingke Rehfeld, betont aber auch: „Nicht immer werden ausgebildete Lehrkräfte eingesetzt.“
Mehr als 30 Lehrerinnen und Lehrer unterrichten an der Grundschule, die von knapp 420 Kindern besucht wird. Dazu zählen Quer- und Seiteneinsteiger sowie fünf Studentinnen, die sich noch im Master befinden. „Lehramtsstudenten sind schon seit Jahren bei uns im Einsatz. Sie sind ein wichtiger Baustein. Wir hoffen, dass sie für ihr Referendariat bei uns anfragen und bleiben. So versuchen wir, den eigenen Nachwuchs an uns zu binden“, sagt Rehfeld.
Im vergangenen Jahr hat die Schule außerdem zwei „Seniorexperten“ beschäftigt. Das sind ehemalige Lehrkräfte, die sich bereits im Ruhestand befinden, aber weiterhin Lust haben, Vertretungsstunden zu übernehmen.
„Die Schulen müssen sich überlegen, wie sie durch schwere Zeiten kommen“, meint Rehfeld. Nicht nur der aktuelle Lehrkräftemangel sei eine Herausforderung, so die Leiterin, sondern auch die sozialen Krisen dieser Welt wie Kriege oder Corona.
Grundschule Immenhorst: „Personalmangel sehr einschneidend“
Schulleiterin Nora Bender bezeichnet den Personalmangel an der Grundschule Immenhorst als „sehr einschneidend“. 66 Stunden seien derzeit offen, vor allem zusätzliche Förderstunden unter anderem für DaZ-Kinder müssten deshalb entfallen.
„Was uns an Stellen zusteht und wie sie tatsächlich besetzt sind – dazwischen liegt eine große Diskrepanz“, sagt die Schulleiterin, die sich täglich um neue Lehrkräfte bemüht.
Erschwerend hinzu kommt, dass eine Lehrkraft erkrankt ist und für einen längeren Zeitraum ausfällt. „Wir haben keine Reserve. Wenn jemand krank wird, dann wird es schwierig.“ Aus Benders Sicht hat die Landesregierung in den vergangenen Jahren eine „sparsame Bildungspolitik“ gemacht. Ein Numerus clausus von unter zwei habe zu viel Nachwuchs von vornerein ausgeschlossen.
Außerdem macht sich das fehlende Personal laut Bender nicht erst in der Schule, sondern schon an viel früherer Stelle bemerkbar: An den Universitäten können nicht genügend Lehramtsstudenten ausgebildet werden, weil es zu wenig Dozenten und Professorinnen gebe.
Schulleiterin Nora Bender: „Da treffen zwei Katastrophen aufeinander“
Der Fachkräftemangel ziehe sich durch wie ein roter Faden. Auch im Referendariat gebe es zu wenig Ausbilder. „Es fehlt immer Personal, in allen Stufen“, sagt Nora Bender. Und die Grundschulleiterin macht noch auf ein weiteres Problem aufmerksam: „Die Babyboomer gehen in Pension. Da treffen zwei Katastrophen aufeinander.“
Auch Bender geht im kommenden Jahr in den Ruhestand. Sie ist derzeit die einzige ausgebildete Musiklehrerin an der Schule und unterrichtet sechs Klassen. Trotz allem liegt es ihr am Herzen zu betonen, was für einen wunderbaren Beruf sie ausüben darf: „Ich bin sehr dankbar, dass ich einen so tollen und gesellschaftlich wertvollen Beruf habe.“
Bad Bramstedt: Mangel in Fächern Kunst, Physik und Mathematik
In der Jürgen-Fuhlendorf-Schule in Bad Bramstedt mangelt es an Lehrern in den Fächern Kunst, Physik und Mathematik. Das Gymnasium setzt Vertretungen ein, die den Masterstudiengang absolviert haben. „Sofern verfügbar“, fügt Schulleiter Holger Oertel hinzu.
„Die Eltern wissen um die Situation, dass die Lehrkräftegewinnung schwieriger wird und zeigen Verständnis“, sagt Oertel. „Insbesondere ist es schwieriger geworden, mitten im Schuljahr Vertretungskräfte für längerfristig erkrankte Kolleginnen und Kollegen zu finden.“
Was sich grundsätzlich ändern müsste, um das Problem zu lösen
Um das Problem grundsätzlich zu lösen, müsse der Lehrerberuf für die junge Generation wieder attraktiver gemacht werden, meint der Schulleiter. Die aktuelle Schülergeneration könne beobachten, dass Lehrkräfte sehr hohen Belastungen ausgesetzt seien. Das weckt nicht unbedingt Lust, selbst die Laufbahn als Lehrer anzustreben.
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Oertel hat auch die gesellschaftliche Wertschätzung der Arbeit im Blick. „Lehrkräfte sehen sich in ihrem beruflichen Alltag häufig mit hochkomplexen Situationen konfrontiert, denen sie sich sicher gerne auch stellen – wenn sie sich dabei auf breiter Basis unterstützt sehen können“, sagt Oertel.
Insbesondere die gesellschaftlichen Erwartungen an Lehrkräfte müssten realistisch bleiben. Allzu häufig werde von den Lehrerinnen und Lehrer erwartet, Nebenaufgaben zu erledigen, die sie von ihrer Kernaufgabe wegführen – dem guten Unterricht.