Bad Segeberg. In Bad Segeberg läuft mit großem Erfolg die 70. Karl-May-Saison. Wie es mit Winnetou und Old Shatterhand 1952 anfing.
Mit „Winnetou“ begann eine Erfolgsgeschichte, die bis heute anhält: 1952 wurde am Segeberger Kalkberg erstmals ein Stück von Karl May gespielt. 2023 sind die Karl-May-Spiele populärer denn je: Auch in der 70. Saison (eine fiel wegen Corona aus) strömen die Zuschauermassen, um die Abenteuer des Apachenhäuptlings und seines Blutsbruders Old Shatterhand zu erleben. 70 Inszenierungen: Dahinter verbergen sich unendlich viele Geschichten. Spannende, traurige, lustige. Das Hamburger Abendblatt erzählt in zwei Folgen die einzigartige Erfolgsgeschichte.
Pierre Brice, Gijko Mitic, Erol Sander, Jan Sosniok, Alexander Klaws – das sind die prominenten Winnetou-Darsteller der letzten 35 Jahre. Der Apachen-Häuptling, erdacht von Karl May, dem Walt Disney des 19. Jahrhunderts, kann es auch im Jahre 2023 immer noch mit den Helden der globalen Entertainment-Konzerne wie Superman, Batman oder Iron Man aufnehmen. Jahr für Jahr werden Zuschauerrekorde gebrochen.
70. Karl-May-Saison – Winnetou und Co. lassen die Herzen immer noch höher schlagen
Als die Spiele 1952 aus der Taufe gehoben wurden, konnte noch niemand ahnen, wie erfolgreich das Unternehmen „Karl May“ auch sieben Jahrzehnte später noch sein würde. Dabei lief es zu Beginn eher holperig. Nachdem sich die Stadtverwaltung für Karl-May-Spiele und nicht für die ebenfalls angedachten Nibelungen-Spiele entschieden hatte, ging es endgültig los.
Am 2. April 1952 beschloss die Stadtvertretung einstimmig, das Risiko zu wagen, und schon am 16. August 1952 um 19.30 Uhr begannen die „Winnetou-Festspiele“ nach dem „weltberühmten Roman von Karl May“ mit über 100 Mitwirkenden, heißt es in dem Buch „Der Wilde Westen Live – 40 Jahre Karl-May-Spiele in Bad Segeberg“. Ein wild-west-gerechter Schnellschuss also.
Hans-Jürgen Stumpf hatte den Winnetou bereits in Hamburg gespielt
Erst im März 1952 hatte Segebergs Bürgermeister Kasch beim Inhaber des Karl-May-Verlages in Bamberg angerufen und freundlich um die Aufführungsrechte gebeten. Schauspieler, Kulissen und Kostüme gab es noch nicht. Nur die Idee geisterte in den Köpfen des Bürgermeisters und einiger Politiker herum.
Der Berliner Schauspieler Hans-Jürgen Stumpf (1918 – 1980) war erster Winnetou am Kalkberg. Er hatte diese Rolle kurz zuvor bereits am Theater am Besenbinderhof in Hamburg gespielt und konnte so eine gehörige Portion Karl-May-Erfahrung einbringen. Es blieb allerdings sein einziges Winnetou-Gastspiel in Bad Segeberg. Auf ihn folgten im Laufe von sieben Jahrzehnten 13 weitere Winnetou-Darsteller – nicht eingerechnet die beiden Kinder-Winnetous von 1978, 1979 und 1980.
TV-Premiere beim NWDR 1952 im Bunker am Heiligengeistfeld vor 300 Zuschauern
1952 übrigens hatten die Karl-May-Spiele auch ihre Fernseh-Premiere: Gemeinsam mit Regisseur Robert Ludwig Hans Joachim Kilburger (Old Shatterhand) und Verena Schley (Nscho-tschi) präsentierte Stumpf das Stück am 3. September 1952 im Fernsehen des NWDR in Hamburg. Die Schauspieler spielten eine Viertelstunde Szenen, Kostümbildnerin Jacobi wurde dazwischen geschnitten. Im Anschluss interviewte Udo Langhoff die Beteiligten.
Ob die TV-Ausstrahlung zur Popularität der Karl-May-Spiele beigetragen hat, mag aus heutiger Sicht bezweifelt werden: In ganz Deutschland gab es damals gerade mal 300 angemeldete Fernsehgeräte. Aber immerhin kam die Sendung gerade noch rechtzeitig, um ein bisschen Reklame zu machen. Denn am 7. September fand die letzte Vorstellung am Kalkberg statt. Gesendet wurde aus dem Bunker auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg.
Bundesweite Popularität durch regelmäßige TV-Übertragungen
Die damalige TV-Ausstrahlung hatte allerdings eine gewisse Langzeitwirkung: Udo Langhoff (1912 – 1994), Regisseur, Autor und Chef des ARD-Nachmittagsprogramms, erinnerte sich später an das Interview und machte sich auf seine Weise um die Karl-May-Spiele verdient: Auf seine Initiative hin wurden viele Inszenierungen der Segeberger Spiele in späteren Jahren ins Programm genommen und in voller Länge übertragen. Damit erreichten die Spiele eine bundesweite Popularität und wurden auch für Schauspieler zunehmend interessanter.
Geprobt wurde in Harburg und Lübeck bevor sich der imaginäre Vorhang für die Segeberger Winnetou-Festspiele hob. Der Erfolg war gewaltig: Zu den 15 Vorstellungen der ersten Saison kamen 98.400 Besucher. Durchschnittlich also 6560 je Aufführung. Trotz der zuletzt stetig steigenden Resonanz mit mehr als 400.000 Besucher konnte ein derart gutes Ergebnis nie wieder erreicht werden.
Im Freilichttheater fanden früher 25.000 Zuschauer Platz
Damals übrigens fasste das „Freilicht-Rundtheater“ noch 25.000 Zuschauer – aber nicht alle konnten sitzen. Heute bietet das Theater etwa 7700 Sitzplätze. Das Textbuch der ersten Inszenierung von Ludwig Körner und Roland Schmid existiert noch und ist aktuell in der Ausstellung „Karl Mays Traumwelt“ im Blockhaus des Indian Village neben der Kalkberg-Arena zu sehen.
Bad Segeberg war im Norden Deutschlands die erste Stadt, die Karl-May-Stücke auf die Freilichtbühne brachte. Allerdings wäre es beinahe anders gekommen: Denn ähnliche Pläne gab es auch in Schleswig und in Hamburg. Die international tätige Gastspieldirektion Hasslach mit Sitz in Winterhude wollte Karl May auf die Freilichtbühne bringen und mit bekannten Schauspielern durch die Lande tingeln.
Schon 1950 sollten in Bad Segeberg Karl-May-Stücke gespielt werden
1952 sollte es losgehen. „Daraus wurde jedoch nichts – denn: Bad Segeberg war schneller.“ Das beschreiben die Autoren Nicolas Finke und Reinhard Marheinecke in ihrem 2021 erschienenen Buch „Karl May auf der Bühne (Band I)“.
Erste konkrete Versuche, am Kalkberg Karl May zu spielen, hatte es übrigens schon 1950 gegeben. Das Hamburger Abendblatt kündigte an: Vom 8. August bis 3. September sollen die Karl-May-Festspiele stattfinden. Es gab auch eine erste Probe, geleitet von Robert Ludwig, dem Oberspielleiter der Lübecker Bühnen. Später wurde das Vorhaben dann aber abgebrochen. „Aus technischen Gründen“, wie es hieß.
Ernst Reher, ein Mann der ersten Stunde, erinnert sich an die Anfänge
Ein Mann der ersten Stunde ist der 93 Jahre alte Ernst Reher. Er war als Verwaltungsangestellter der Stadt Bad Segeberg aktiv dabei, als die Spiele 1952 eröffnet wurden. Später hatte er die Chance, die Karl-May-Spiele in der Zeit des Aufbruchs gestaltend zu begleiten: 17 Jahre lang, von 1982 bis 1999 war er als Geschäftsführer der Kalkberg GmbH entscheidend am immer größer werdenden Erfolg der Spiele beteiligt.
Heute lebt Ernst Reher in einem Segeberger Seniorenheim und erinnert sich gut: „Alle standen dahinter.“ Sechs Stadtvertreter und sechs Bürger bildeten den Karl-May-Ausschuss, Stadtwerkeleiter Georg Jensen stellte Räume zum Nähen der Kostüme zur Verfügung, Schüler der Dahlmannschule studierten Tänze ein.
In der ersten Saison wurde ein Gewinn von 3231 Mark erwirtschaftet
In der Jahresrechnung 1952 der Stadt Bad Segeberg wurden die Karl-May-Festspiele so bilanziert: 22.972 Mark Personalkosten für Oberspielleiter und Schauspieler, 39.334 Mark Sachkosten für die Veranstaltung, einschließlich Werbung, 7418 Mark Personalkosten innerhalb der Stadtverwaltung. Auf der Ausgabenseite stand also die Summe von 69.724 Mark.
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Auf der Einnahmenseite wurden 72.955 Mark Eintrittsgeld verbucht. Der Überschuss von 3231 Mark machte alle froh, denn der von der Stadtvertretung bereitgestellte Betrag von 25.000 Mark musste nicht in Anspruch genommen werden. Vom Überschuss profitierte damals die Kreishauptbücherei. Ihr wurden 3100 Mark überwiesen. Der heutige Etat: rund sechs Millionen Euro.
Ernst Reher reiste nach Wien, um Pierre Brice zu engagieren
Ernst Reher, später büroleitender Beamter im Rathaus, ließ sich als Werbeträger einspannen: Als Indianer verkleidet fuhr er an die Ostsee, um Prospekte zu verteilen, er ließ sich an den Marterpfahl binden und führte Pferde durch die Gegend. Für Werbefotos mimte er ebenfalls den Indianer.
1987, als die Karl-May-Spiele gerade eine wirtschaftliche Flaute erlebten, sorgte der damalige Geschäftsführer persönlich für neuen Schwung: Er reiste nach Wien, nahm dort Verhandlungen mit Pierre Brice auf und überredete ihn, als Winnetou nach Bad Segeberg zu kommen. Eine Erfolgsgeschichte, wie man heute weiß: Mit Pierre Brice in der Hauptrolle erlebten die Karl-May-Spiele einen bis dahin nicht gekannten Höhenflug. Auch nach dem Ausscheiden des populären französischen Schauspielers hielt dieser Höhenflug an. Bis heute.