Bad Segeberg. Seit mehr als 100 Jahren wird Karl May auf der Bühne gespielt – in Bad Segeberg und anderswo. Sogar eine Operette gibt es.

Hunderttausende verfolgen Sommer für Sommer die Abenteuer von Winnetou und Old Shatterhand – und das nicht nur in Bad Segeberg: Auf gut einem Dutzend Freilichtbühnen werden die Figuren, die sich Karl May einst ausgedacht hat, lebendig. Natürlich sind die Spiele am Kalkberg ein spektakuläres Erfolgsprojekt, das seit 69 Jahren viele Höhen, aber auch manche Tiefen erlebt hat. Karl May und seine Traumfiguren sind in der deutschen Bühnenlandschaft aber ein Dauerthema. Namhafte deutsche Schauspieler – zum Beispiel Will Quadflieg und Paul Klinger – haben im Wilden Westen gekämpft und intrigiert. Selbst auf der Operettenbühne ging es zur Sache.

Die beiden Autoren Nicolas Finke und Reinhard Marheinecke haben recherchiert und das opulent gestaltete Buch „Karl May auf der Bühne“ herausgebracht. Darin geht es um frühe Inszenierungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie die Freilichtbühnenerfolge von Rathen über Ratingen bis Bad Segeberg. Zwei weitere Bände sollen folgen.

Berliner Volksbühne 1938: Will Quadflieg in der Rolle des Winnetou, Ernst Wilhelm Borchert gibt den Old Shatterhand, Marina von Ditmar spielt Nscho-tschi.
Berliner Volksbühne 1938: Will Quadflieg in der Rolle des Winnetou, Ernst Wilhelm Borchert gibt den Old Shatterhand, Marina von Ditmar spielt Nscho-tschi. © Frank Knittermeier | Archiv Karl-May-Verlag

„Die Sache ist, wie man sieht, ungewöhnlich geschmacklos“, schrieb die „Salzburger Chronik für Stadt und Land“ am 6. April 1916. „Eben dadurch aber bezeichnend für den Tiefstand der Operette von heute“. Mitten im zweiten Weltkrieg wagte sich das Königliche Theater am Gärtnerplatz in München an einen Karl-May-Stoff und brachte die „Burleske Operette“ in drei Aufzügen auf die Bühne: „Fräulein Rothaut“ behandelte die Romanze zwischen dem Reiseschriftsteller Eusebius Mayer, der zu den Apachen reist, sich Old Shatterhand nennt und dort auf Winnetous Schwester trifft, in die er sich verliebt. Die Apachen verfolgen ihn bis Dresden und zwingen ihn, seine Romane umzuschreiben. May/Mayer/Shatterhand als liebenswürdiger Schwadroneur – das Presseecho war zwiespältig.

Auch in Hamburg wurde Karl May gespielt: 1930 am Operettenhaus, 1936 an der Schilleroper, 1940 und 2009 (als Lesung) am Thalia Theater, 1952 im Theater am Besenbinderhof. Aber als Dauerbrenner haben sich Winnetou & Co. vor allem in Freilichttheatern etabliert. Im sächsischen Rathen an der Elbe begann die Erfolgsserie 1938. „Denn Karl May in freier Natur für alle fünf Sinne, das stellte sich als besonders wirkungsvolle Kombination heraus“, schreiben die Autoren in ihrem Buch „Karl May auf der Bühne“. Einen allerersten, leider nicht sehr erfolgreichen Versuch, Karl May an der frischen Luft zu spielen, gab es übrigens bereits 1930 im Waldtheater am Berg Oybin im Zittauer Gebirge.

Bad Segeberg war im Norden die erste Karl-May-Stadt

Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden vor allem die Rathener Karl-May-Spiele ideologisch instrumentalisiert. Die politischen Machthaber, so wird in dem Buch geschildert, mischten mit und benutzten das Theaterprojekt für ihre propagandistischen Zwecke. In dem NSDAP-Blatt hieß es im Vorfeld der ersten Rathener Spiele: „Unsere Zeit liest aus den Erzählungen Karl Mays die Ideen des Heroismus, des Rassebewusstseins und der Vaterlandsliebe heraus und findet in ihnen Werte, die für unsere nationale und rassebewusste Zeit Inhalt und Grundsatz sind.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten zahlreiche Karl-May-Festspiele, an die Rathener Tradition anzuknüpfen, wobei Bad Segeberg und Elspe im Sauerland bis heute am erfolgreichsten sind. Bad Segeberg war im Norden Deutschlands die erste Stadt, die Karl-May-Stücke auf die Freilichtbühne brachte. Allerdings wäre es beinahe anders gekommen: Denn ähnliche Pläne gab es auch in Schleswig und in Hamburg. Die international tätige Gastspieldirektion Hasslach mit Sitz in Winterhude wollte Karl May auf die Freilichtbühne bringen und mit bekannten Schauspielern durch die Lande tingeln. 1952 sollte es losgehen. „Daraus wurde jedoch nichts – denn: Bad Segeberg war schneller“, heißt es in dem Buch von Nicolas Finke und Reinhard Marheinecke.

Erste konkrete Versuche, am Kalkberg Karl May zu spielen, gab es übrigens schon 1950. Das Hamburger Abendblatt kündigte an: Vom 8. August bis 3. September sollen die Karl-May-Festspiele stattfinden. Es gab auch eine erste Probe, geleitet von Robert Ludwig, dem Oberspielleiter der Lübecker Bühnen. Später wurde das Vorhaben dann aber abgebrochen. „Aus technischen Gründen“, wie es hieß.

Fröhliche Stimmung im Holzfällerlager: „Der Schatz im Silbersee„ in einer Inszenierung von 1958. Erstmals wurde das Stück bereits 1954 in Bad Segeberg aufgeführt.
Fröhliche Stimmung im Holzfällerlager: „Der Schatz im Silbersee„ in einer Inszenierung von 1958. Erstmals wurde das Stück bereits 1954 in Bad Segeberg aufgeführt. © Frank Knittermeier | Archiv Karl-May-Verlag

Nachdem sich die Stadtverwaltung für Karl-May-Spiele und nicht für die ebenfalls angedachten Nibelungen-Spiele entschieden hatte, ging es endgültig los. Geprobt wurde in Harburg und Lübeck bevor am sich am 16. August 1952 der imaginäre Vorhang für die Segeberger Winnetou-Festspiele hob. Der Erfolg war gewaltig: Zu den 15 Vorstellungen kamen 98.400 Besucher. Durchschnittlich also 6560 je Aufführung. Trotz der zuletzt stetig steigenden Resonanz mit mehr als 400.000 Besucher im Jahre 2019 konnte ein derart gutes Ergebnis nie wieder erreicht werden.

Die beiden Autoren beschreiben in ihrem Buch das Auf und Ab der Segeberger Indianerspiele, schildern drohende Pleiten und Angstpartien, stellen markante Darsteller, Regisseure und Intendanten vor. Geschildert wird der Wandel vom Ensemble- zum Startheater, und gezeigt wird natürlich das berühmte Foto, auf dem Piere Brice vor Schmerz das Gesicht verzieht, weil ihm ein Jungbär herzhaft in die Hand beißt.

2019, so heißt es, hätten sich die Festspiele auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs befunden, weil die Ticketnachfrage mehrfach nicht erfüllt werden konnte - zahlreiche Vorstellungen waren ausverkauft.

Nicolas Finke und Reinhard Marheinecke: „Karl May auf der Bühne - Band I“, Karl-May-Verlag Bamberg-Radebeul, 400 Seiten mit 390 großteils farbigen Abbildungen, 49 Euro, ISBN 978-3-7802-0143-0.