Bad Bramstedt/Hamburg. Im Alter blickt der Modezar, der morgen in Hamburg ist, auch auf sein Leben in Bad Bramstedt zurück – er hat das Pöbeln eingestellt.
Der Meister soll begeistert, ja geradezu entzückt gewesen sein. Endlich hat Karl Lagerfeld in seiner alten Heimat Hamburg ein Attribut gefunden, das seinen Vorstellungen von Eleganz, Ästhetik und weltstädtischem Glanz entspricht. „Das ist etwas ganz Großes“, stellte er leicht näselnd beim ersten Blick auf das Gebäude fest, um das die ganze Welt die Stadt beneidet: die Elbphilharmonie. Dort präsentiert am morgigen Nikolaustag der gern als Modezar titulierte, mutmaßlich 84-Jährige die neue Kollektion von Chanel, und die Welt wird dann auf die Stadt schauen, die Lagerfeld noch vor Jahren schmähte. In nahezu jeder Talkshow zitierte er seine Mutter mit dem Satz „Hamburg ist das Tor zur Welt, aber eben nur das Tor“, um
danach möglichst schnell in die Weltstadt Paris zurückzufliegen. Hat sich der als Karl-Otto Lagerfeld zur Welt gekommene Modeschöpfer, Designer, Fotograf und Kostümbildner mit seiner Geburtsstadt versöhnt? Und wie steht er zu Bad Bramstedt, der Stadt, in der er viele Jahre seiner Jugend verbrachte? Nach einigen Pöbeleien in Richtung Kurstadt und holsteinische Provinz via Talk-Show sind in jüngster Zeit ebenfalls mildere Töne zu hören. Er habe eine „wahnsinnig glückliche“ Kindheit in Hamburg und in Bad Bramstedt verlebt, sagte er vor wenigen Tagen einer Tageszeitung. Noch vor Jahren pflegte der große Karl stets zu spötteln, wenn er auf die Jugend auf dem großbürgerlichen, 500 Hektar großen Gut Bissenmoor angesprochen wurde, das am Rande der Kleinstadt lag. Die ersten Jahre der Kindheit bis zum Jahr 1939 lebte Karl-Otto mit Mutter Elisabeth und Vater Otto dort, der mit der Kondensmilch Glücksklee ein reicher Mann geworden war. Die Familie kehrte zunächst nach Hamburg zurück und zog 1944 wegen des Bombenkrieges erneut auf das Gut. „Muhle“, wie seine Schulkameraden ihn damals nannten, war elf Jahre alt.
„Ich fand die anderen Kinder grauenhaft, wahnsinnig spießig“, polterte Katzenfreund „Muhle“ vor zehn Jahren in der Zeitschrift „Bunte“. In der ARD-Sendung „Menschen bei Maischberger“ beschimpfte er einen einstigen Schulkameraden sogar als „grauenhaften Lustgreis“.
Der so gescholtene Bramstedter Schuhmacher Karl Wagner, ein Schulkamerad Lagerfelds, ließ sich davon nicht aus der holsteinischen Ruhe bringen und diagnostizierte „blanke Nerven“ bei Lagerfeld. „Der kann mich nicht beleidigen“, sagte Wagner und fügte nachsichtig hinzu: „Gott möge ihm verzeihen.“ Vermutlich waren es Wagner und andere Schulkameraden sowie die Nachforschungen von Journalisten und Lokalhistorikern, die Lagerfeld die Contenance raubten. Sie hatten sich damals ausführlich mit dem Alter des in die Rentenjahre gekommen Ex-Bramstedters beschäftigt und entdeckt, dass der berühmteste Sohn der Stadt ein wenig geflunkert hatte. Lagerfeld hatte sein Geburtsjahr stets mit 1938 angegeben. Wagner und ein weiterer Schulkamerad widersprachen in einer Fernsehsendung und lästerten außerdem darüber, dass der kleine Karl-Otto so gern mit Puppen gespielt habe. Inzwischen ist sich die Fachwelt einig, dass der Weltstar 1933 zur Welt kam. Möglicherweise hat ihn die Diskussion deshalb besonders verstimmt, weil sie öffentlich und mit Häme geführt wurde, bei einer berühmten Frau jedoch nur eine Notiz in einer Klatschspalte hergegeben hätte.
Nachdem die Öffentlichkeit und der ins Rentenalter gekommene Lagerfeld die Altersfrage ausdiskutiert hatten, blieben weitere Tiefschläge des Modezars aus. Auch eine 2016 gezeigte Dokumentation des französischen TV-Senders „France 2“ lässt Lagerfelds Jugend im Schatten von Roland und Schloss im freundlichen Licht erscheinen. „Muhle“ teilte sich mit einem Klassenkameraden die Schulbücher, die in der Nachkriegszeit Mangelware waren. Er brachte der Hitzhusenerin Sylvia Jahrke das Radfahren bei. Auf der Jürgen-Fuhlendorf-Schule förderte Kunstlehrer Heinz-Helmut Schulz das Ausnahmetalent. In dem Film kommt auch Elfriede von Jouanne aus dem Nachbardorf Hagen zu Wort. Viele Briefe gingen zwischen ihr und Lagerfeld in den 80er-Jahren hin und her. 1989 trafen sich beide in Hamburg. „Er zeigte sich sehr aufgeschlossen und liebenswert, ganz anders als er sonst in den Medien rüberkommt“, sagt die Hagenerin in dem Film.
„Er hat in jüngster Zeit nichts auf Bad Bramstedt kommen lassen“, sagt Bürgermeister Hans-Jürgen Kütbach, der Neuigkeiten über den Ex-Bramstedter aufmerksam verfolgt. Kütbach will Lagerfeld demnächst einen Brief schreiben und mit ihm erörtern, wie man in der Region „sein Lebenswerk sichtbar und erlebbar“ machen könnte. Auf ähnliche Anfragen hatte Lagerfeld bislang nicht reagiert.
An die Verleihung der Ehrenbürgerwürde und des Ehrentellers der Stadt sei derzeit nicht gedacht, versicherte Kütbach. Denkbar sei jedoch, die 16 Jahre alte Idee aufzugreifen, eine Straße nach Lagerfeld zu benennen. „Das wäre eine große Ehre“ soll der Meister 2001 gesagt haben, bevor der Plan damals in der Verwaltung und Politik der Kleinstadt scheiterte.