Rickling. Frau lag nach Selbstmordversuch in Psychiatrie. In ihrer Heimat ist Homosexualität strafbar. Ministerium verteidigt Entscheidung.

Von einem Skandal spricht Dietlind Jochims, die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche. In der Nacht zum Donnerstag sei die Patientin Mariem F. aus der Psychiatrischen Klinik Rickling im Kreis Segeberg abgeschoben worden. Die Frau aus Tunesien habe sich dort als Patientin aufgehalten.

„Dass eine Abschiebung aus einer laufenden Behandlung im Krankenhaus erfolgt, ist ein Skandal“, sagt Jochims. „Zusätzlich alarmiert uns, wenn in einer kirchlichen Einrichtung die Patientensicherheit nicht gewährleistet scheint.“ Gemeinsam mit den Flüchtlingsbeauftragten in den Kirchenkreisen fordert Jochims eine gründliche Untersuchung der Recht- und Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme.

Mariem F. drohe in Tunesien „Gefahr für Leib und Leben“

Dietlind Jochims, die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche.
Dietlind Jochims, die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche. © dpa Picture-Alliance / Peter Endig

Laut Jochims war Mariem F. aufgrund ihrer Homosexualität in ihrem Herkunftsland verfolgt worden und hatte zuerst in Schweden Schutz gesucht. Dort wurde ihr Asylantrag abgelehnt und die Abschiebung in das Herkunftsland angekündigt.

Daraufhin floh sie nach Deutschland. Hier wurde im Rahmen der Dublin III-Verordnung die Zuständigkeit Schwedens festgestellt und die Rückführung angekündigt. Nach einem Suizidversuch befand sich Mariem F. im Juni und jetzt seit Mitte Juli in stationärer Behandlung in der Psychiatrischen Klinik Rickling.

Sie sei inzwischen in Schweden angekommen. Dort sitzt F. bereits in einem Abschiebegefängnis in der Stadt Lund. Laut Nordkirche gibt es rechtlich keine Möglichkeit mehr, das Verfahren zu stoppen. Daher wird die Frau vermutlich sehr bald in ein Land zurückkehren müssen, in dem ihr als lesbische Frau Gefahr für Leib und Leben drohe, so die Flüchtlingsbeauftragte.

„Schutzraum Krankenhaus darf nicht angetastet werden“

Dietlind Jochims sagt, es brauche eine über den Einzelfall hinaus wirksame Klärung und Sicherheit für Patientinnen und Patienten sowie für Beschäftigte in Kliniken. Hier sei ein Erlass hilfreich, wie es ihn in anderen Bundesländern gibt. Ausländerbehörden in Rheinland-Pfalz und Thüringen zum Beispiel dürfen dort keine Abschiebungen aus Krankenhäusern mehr vornehmen. „Der Schutzraum Krankenhaus ist eine Voraussetzung für die Gesundung und darf nicht angetastet werden“, fordert die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche.

Wie dem Abendblatt geschildert wurde, hätten die verantwortlichen Ärzte in Rickling dagegen protestiert, dass Mariem F. aus der Klinik direkt mitgenommen und in ein Flugzeug nach Schweden gesetzt wurde. Ein Amtsarzt befand hingegen, dass es keine medizinischen Gründe gebe, die gegen die Abschiebung sprechen würden.

So verteidigen Landesamt und Sozialministerium die Abschiebung der Frau

Zuständig war in diesem Fall nicht die Ausländerbehörde des Kreises Segeberg, sondern das Landesamt für Migration und Flüchtlinge mit Sitz in Neumünster, das die Maßnahme zusammen mit der Bundespolizei umgesetzt hat. Auf Abendblatt-Nachfrage wird an das Sozialministerium verwiesen. „Im Rahmen des Vollzugs einer Abschiebung muss die Ausländerbehörde – ggf. unter Hinzuziehung einer Ärztin/eines Arztes – die Reisefähigkeit der betroffenen Person bewerten. Dabei ist auch zu bewerten, ob Bedarf für eine ärztliche oder pflegerische Begleitung einer Maßnahme besteht, und diese ggf. zu gewährleisten“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme.

An Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlingen seien Ausländerbehörden gebunden. „Dabei gibt es keine rechtsfreien Räume. Allerdings unterliegt Verwaltungshandeln, insbesondere Zwangsmaßnahmen, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.“

Medizinische Behandlungen „kein Grund, von einer Abschiebung abzusehen“

Eine Reiseunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen müsse unverzüglich per Attest nachgewiesen. „Laufende medizinische Behandlungen oder der Aufenthalt in einer Klinik sind für sich genommen noch kein Grund, von einer Abschiebung abzusehen. Sie sind vielmehr Grund, die Frage der Reisefähigkeit einer besonders sorgfältigen Prüfung zu unterziehen und ggf. durch geeignete Maßnahmen zu gewährleisten.“

In Rickling sieht das Ministerium „derzeit keine Anhaltspunkte, dass das Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge diesen rechtlichen Anforderungen nicht entsprochen hätte“. Mit Verweis auf den Datenschutz wird nicht näher auf den Fall Mariem F. eingegangen.

Psychiatrische Klinik Rickling kann kein Kirchenasyl bieten

Träger des Krankenhauses in Rickling ist der Landesverein Innere Mission, also ebenso eine kirchliche Organisation. Sprecherin Sarah Weiser bestätigt, dass eine „Patientin aus der Psychiatrischen Klinik unangekündigt von der Grenzpolizei abgeholt“ worden sei, „um einen Abschiebungsbescheid zu vollstrecken“. Die Klinik könne „wie auch andere Krankenhäuser kein Kirchenasyl bieten“.

Allerdings, so Weiser, „sind wir dem Wohl unserer Patient*innen verpflichtet und haben ein Interesse daran, dass diese ihrer Krankheit angemessen behandelt werden“. Laut Landesverein sei es „an den politischen Akteuren, eine rechtliche Klärung herbeizuführen, die auch Schutzräume wie ein Krankenhaus stärker in den Blick nimmt“.

Lesben- und Schwulenverband spricht von „empörendem“ Vorgang

Der Lesben- und Schwulenverband in Schleswig-Holstein übt derweil scharfe Kritik an dem Vorgehen der Behörden. „Als LSVD sehen wir diese Praxis absolut kritisch und der Vorgang ist sowohl in diesem Einzelfall, als auch generell, empörend. Das betrifft dabei nicht nur Tunesien, wie in diesem Falle. Insgesamt sind die Neuregelungen nicht zielführend“, sagt Danny Clausen-Holm aus Norderstedt, der Mitglied im Landesvorstand ist.

Danny Clausen-Holm aus Norderstedt, Mitglied des Landesvorstand im Lesben- und Schwulenverband, spricht von einem „empörenden Vorgang“.
Danny Clausen-Holm aus Norderstedt, Mitglied des Landesvorstand im Lesben- und Schwulenverband, spricht von einem „empörenden Vorgang“. © LSVD

„Dass die Bundesregierung ihren eigenen queerpolitischen Aufbruch ignoriert und nicht einmal den Versuch unternommen hat, für besonders schutzbedürftige Asylsuchende, wie beispielsweise queere Geflüchtete, einen Schutzmechanismus zu etablieren, ist skandalös und enttäuschend.“

Im April hatte der Bundestag mehrheitlich dafür gestimmt, Tunesien sowie auch die weiteren Maghreb-Staaten Algerien und Marokko als sichere Herkunftsländer einzustufen. Einen solchen Beschluss hatte es schon 2019, damals unter der Großen Koalition, gegeben – im Bundesrat kam es aber nicht zu einem Votum. Offen ist, ob sich das nun ändern wird.

Abschiebung: LSBTIQ-Personen „müssen aus den Grenzverfahren herausgenommen werden“

Clausen-Holm spricht von einer „massiven gesellschaftlichen Ächtung“, die LSBTIQ*-Personen (Lesbische, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intersexuelle, Queere) in den nordafrikanischen Ländern erleiden. „In Tunesien beispielsweise werden weiterhin als schwul bezichtigte Männer Zwangsanaluntersuchungen unterzogen, die international und selbstverständlich auch von Deutschland als Folter geächtet sind.“

Der LSVD fordert unter anderem, dass Geflüchtete aus diesen Gruppen „wie auch alle besonders schutzbedürftigen Asylsuchenden aus den Grenzverfahren herausgenommen werden“. Clausen-Holm: „Queere Geflüchtete müssen im Asylverfahren Zugang zu LSBTIQ*-Fachberatungsstellen bekommen.“ EU-weit sei zudem derzeit nicht geregelt, dass LSBTIQ*-Personen als „besonders schutzbedürftige Gruppe“ anerkannt werden.