Norderstedt. Freya Simonsohn ist Insektenbeauftragte der Stadt. Welche Pläne sie verfolgt, damit es in Norderstedt summt und brummt.

„Besorgte Eltern rufen an und sagen, da sei ein Wespennest auf dem Spielplatz“, sagt Freya Simonsohn. Sie bittet um ein Foto, bekommt ein leicht Unscharfes, die Fotografin hält Abstand, um nicht gestochen zu werden. Doch schnell entpuppt sich die vermeintliche Wespengefahr als Fehlalarm – auf dem Spielplatz haben Wildbienen ihre Zuhause. „Und die sind ungefährlich, solange sie nicht komplett in die Enge getrieben werden“, erklärt Simonsohn, die Insektenbeauftragte der Stadt Norderstedt.

Die 28-Jährige setzt sich dafür ein, dass es in Norderstedt noch möglichst lange summt und brummt. Bienen, Hornissen und Wespen sind die bekanntesten Vertreter der riesigen Insektenfamilie. 33.000 Arten gibt es in Deutschland, damit entfällt der Löwenanteil der Tierarten auf die kleinen Flieger und Krabbler.

Artenschutz: Wie Norderstedts neue Insektenbeauftragte die Bienen rettet

Doch denen steht eine schwere Zukunft bevor: Ihre Zahl schwindet. Monokulturen, Pestizide und andere Giftstoffe, Versiegelung der Böden und fehlende Blumenwiesen – all das macht den Insekten den Garaus. Sterben die Bienen, fehlen die Bestäuber. Die Biene ist systemrelevant, wie die damalige Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner vor gut drei Jahren feststellte.

80 Prozent der 800 heimischen Nutz- und Wildpflanzen seien auf die Honigbienen als Bestäuber angewiesen, rund 85 Prozent der landwirtschaftlichen Erträge im Pflanzen- und Obstbau hingen in Deutschland von der Bestäubung ab. Für 500 Gramm Honig würden rund 75.000.000 Blüten bestäubt.

Artenschutz: Städtisches Grün muss sich in Blühflächen verwandeln

Da will Norderstedt mit dem Anspruch, eine nachhaltige Stadt zu sein und noch mehr zu werden, seinen Beitrag zum Insektenschutz leisten. Pionier im Rathaus war Jürgen Hanika. Nachdem er in den Ruhestand gegangen ist, hat es sich nun Nachfolgerin Freya Simonsohn zur Aufgabe gemacht, den Insekten in der Stadt eine möglichst lebenswerte Heimat zu schaffen.

Zusammen mit Michelle Leine, Koordinatorin für Biodiversität im Rathaus, setzt sich Freya Simonsohn dafür ein, dass möglichst viel von der Artenvielfalt erhalten bleibt. Dafür muss sich städtisches Grün in Blühflächen verwandeln. Auf diesen Flächen wächst alles, was Insekten lieben: Blumen mit offenen Blüten, in die die Tiere hineinfliegen können. Dazu zählen gelber und blauer Eisenhut, gemeine Akelei, wilde Malve, Wiesensalbei, große Fetthenne, Wiesenflockenblume, gewöhnlicher Hornklee, wilder Majoran und andere Kräuter wie Lavendel, Oregano oder Thymian, die ausreichend Nektar und Pollen bieten.

Artenschutz: Die Zahl der Bienenweiden in Norderstedt wächst

Freya Simonsohn ist immer auf der Suche nach geeigneten Nahrungsquellen für die Insekten. „Als die Stadtwerke eine Fernwärmeleitung an den AKN-Gleisen gelegt haben, haben wir dort gleich Blühflächen mit regionalem Saatgut anlegen lassen“ sagt die Fachfrau, die ihren Bachelor in Umwelt- und Naturwissenschaften sowie einen Master in Landschaftsökologie aufweisen kann und als Wespen- und Hornissenberaterin zertifiziert ist.

75.000 Quadratmeter Norderstedt sind inzwischen Nahrungsgebiet für Bienen, Hummeln und Schmetterlinge, eine Fläche, die etwa zehn Fußballfeldern entspricht, und die vom Team des Betriebsamtes gepflegt wird. Angesichts von gut 5800 Hektar Stadtgebiet klingt das eher bescheiden, aber: „Wir dürfen nicht vergessen, dass ein großer Teil der städtischen Fläche versiegelt ist“, sagt Freya Simonsohn.

Gras bleibt nach dem Mähen liegen, die Insekten können sich verkriechen

Doch zu den Blühflächen kämen viele Wiesen hinzu, die die Stadt verpachtet habe. Hier kommt neben dem Anlegen von Bienenweiden eine zweite Maßnahme zum Einsatz, die die Vielfalt der Arten erhalten soll: „Das Gras bleibt nach dem Schnitt eine Weile liegen, so dass sich die Insekten verkriechen können. Dann wird es abgeräumt, um der Fläche auf die Dauer Nährstoffe zu entziehen. Viele unserer heimischen Wildpflanzen bevorzugen nährstoffarme Standorte“, sagt die Insektenbeauftragte. Die Wiesen würden nicht komplett gemäht, Grasstreifen blieben als Rückzugsort für Käfer und Co stehen.

Vor gut sechs Jahren hat sich Norderstedt dem Kampf gegen das Artensterben verschrieben und eine Biodiversitätsbeauftragte eingestellt. Seitdem hat sich das Stadtbild verändert: Die Kübel mit den bunten Blumen beispielsweise auf dem Mittelstreifen der Rathausallee sind verschwunden. Die Mittelinseln der Verkehrskreisel sind mit Stauden bepflanzt – pflegeleicht und ebenfalls beliebt bei Bienen und ihren Artgenossen.

Engagierte Bürger und Bürgerinnen pflegen freiwillig Beete entlang von Straßen

Es gibt mehr als 30 engagierte Bürger und Bürgerinnen, die eine Grünpatenschaft übernommen haben und ganz freiwillig Baumscheiben oder Beete entlang von Straßen und Gehwegen pflegen und bepflanzen. Zusammengerechnet sorgen die Stadtgärtnerinnen und -gärtner dafür, dass 1300 Quadratmeter in der Stadt nicht einfach nur grün, sondern ökologisch wertvoll bepflanzt werden.

Und dazu kommen auch noch jene, die quasi als „Grün-Guerilla“ ganz ohne offizielle Grünpatenschaft Hand anlegen und städtische Flächen aufwerten, ihr Engagement aber nicht offiziell machen. Auch in den Privatgärten wandelt sich das Bild, gepflegte Rasenflächen weichen Wildblumenwiesen. Fledermauskästen hängen in Bäumen, Insektenhotels werden aufgestellt.

Wildbienen: Die meisten leben solitär wie alleinerziehende Mütter

Etwa 560 Wildbienenarten gibt es in Deutschland, die meisten leben solitär und kümmern sich allein um die Nachkommen.
Etwa 560 Wildbienenarten gibt es in Deutschland, die meisten leben solitär und kümmern sich allein um die Nachkommen. © dpa | Christian Charisius

Freya Simonsohn hält diese Nisthilfe für sinnvoll, gerade als pädagogisches Mittel, um Kindern und Jugendlichen Insekten näherzubringen. Die meisten der 560 Wildbienenarten lebten im Boden, bauten ihre Nester an offenen Stellen im sandigen Boden. Diese Brutkammern, in denen die Wildbienen den Großteil des Jahres leben und sich vom Ei zum erwachsenen Tier entwickeln, gebe es zwar auch im Garten. „Aber natürlich leben die meisten Wildbienen außerhalb von Siedlungsgebieten“, sagt die Insektenretterin.

Und sie lebten überwiegend solitär, wie alleinerziehende Mütter. „Sie kümmern sich allein um die Nachkommen, deswegen würden sie uns auch nicht angreifen, weil sie es sich nicht erlauben können, dass ihnen etwas passiert“, sagt Freya Simonsohn. Und sie leben gefährlich: Der Bienenwolf, der zu den Grabwespen gehört, überfällt Honigbienen, lähmt sie mit seinem Giftstachel und befördert sie in seine Bruthöhle, wo sich die Larve über Wochen von der noch lebenden Biene ernährt.

Artenschutz:Wie Norderstedts neue Insektenbeauftragte die Bienen rettet

Dieser leicht gruselige Ausflug in die Welt der Insekten ist eher die Ausnahme im beruflichen Alltag von Freya Simonsohn, die schon als Kind von der Natur fasziniert war und auch gern und gut fotografiert, was ihr dort in den Blick gerät. Sie ist entweder in der Stadt unterwegs, um die Nahrungsquellen für die Insekten zu vergrößern, oder sie ist als Beraterin gefragt.

„Gerade erst sorgten sich Eltern auf einem Spielplatz und sagten, im Baum hingen 100 Raupen, womöglich die gefährlichen Eichenprozessionsspinner“, erinnert sich Norderstedts Insektenbeauftragte. Doch auch hier konnte sie Entwarnung geben, es handelte sich um ungefährliche Tierchen, die Raupen des Eichenwicklers, eines grünen Schmetterlings. Wer Fragen rund um Insekten hat, kann sich an Freya Simonsohn wenden.