Norderstedt. Fibromyalgie trieb Mone Wilke zur Verzweiflung. Dann krempelte sie ihr Leben um und ging Waldbaden. Heute hilft sie anderen.

Der Schmerz kommt schleichend. Erfasst zunächst einzelne Körperregionen. Dann setzt er sich fest. Von Kopf bis Fuß. Und bleibt. Die mentale Erschöpfung ist längst da. Mone Wilke kann nicht mehr. Sie bricht zusammen. Mutlos, kraftlos, hilflos. Diese starke selbstbestimmte Frau – ein Totalausfall.

Elf Jahre ist das her. Ihre chronischen Schmerzen erinnern Mone Wilke täglich daran. Doch die Norderstedterin hat in der Zeit „danach“ ihren ganz eigenen Weg gefunden, ihr Krankheitsbild Fibromyalgie zu akzeptieren, die damit verbundenen Herausforderungen zu lindern und das Leben neu für sich zu entdecken.

Achtsamkeit: „Die Krankheit hat mir gezeigt, was gut für mich ist!“

Die Natur hat der 53-Jährigen dabei geholfen. Jetzt hilft Mone Wilke anderen. Die Lehrerin für meditatives Naturerleben und Achtsamkeit führt Menschen durch den Wald. Dazu zählen auch Menschen, die Ähnliches durchlebt haben wie sie. Menschen mit Burnout. Mit chronischen Erkrankungen. Darüber will ich mehr wissen und treffe mich mit ihr im Rantzauer Forst, in ihrem Freiraummobil. Ein nach Mone Wilkes Vorstellungen gebauter Wohnwagen, den sie für ihre Naturcoachings nutzt und für unser Gespräch am Waldesrand geparkt hat.

Die große schlanke Frau mit den kurzen hellen Haaren fängt an zu erzählen. Von ihrer Kindheit, die geprägt ist von Freiheit und Natur. „Ich liebte es, draußen zu sein. Flüsse, Wiesen und Wälder zu erkunden“, sagt sie. „Meine Großeltern bewohnten ein Schloss in Probsteierhagen. Das hatte einen großen Schlossgarten und für mich eine unglaubliche Magie. Es war ein Ort, an dem ich mich verwurzeln konnte und tiefes Glück empfand.“

Immer dieses Gefühl, nicht zu genügen

Mone Wilke im Wohlfühlort Rantzauer Forst bei Norderstedt.
Mone Wilke im Wohlfühlort Rantzauer Forst bei Norderstedt. © Bianca Bödeker

Nach der Fachhochschulreife studiert Mone Wilke Ökotrophologie und Gesundheitstourismus. Arbeitet in unterschiedlichen Sparten. Hochengagiert, jedoch stets mit dem Gefühl, nicht genug zu leisten, nicht zu genügen. Sie macht eine Fortbildung nach der anderen. Saugt immer mehr Wissen auf. „Ich war und bin ein neugieriger Mensch. Wenn ich etwas Interessantes entdecke, will ich da sofort tiefer eintauchen. Doch dann wurde das immer mehr und mehr“, sagt sie.

„Ich verzettelte mich komplett, war von Tag zu Tag gestresster und hatte nur noch diesen Tunnelblick. Ich fühlte mich eingeengt, litt unter permanenter Anspannung und massiven Schlafstörungen. Hinzu kam die Sorge um meine Frau. Sie leidet an Multiple Sklerose, einer chronischen Erkrankung des Zentralnervensystems.“

Weichteilrheuma: Schmerzen am ganzen Körper

Zu der mentalen Erschöpfung kommen die körperlichen Schmerzen. „Im ersten Jahr hatte ich immer mal wieder schmerzfreie Phasen. Bis sich die Schmerzen festsetzten, dauerhaft und überall.“ Was Mone Wilke zu dem Zeitpunkt vielleicht schon ahnt, werden die Ärzte später diagnostizieren: Die einst so agile Frau ist an Fibromyalgie erkrankt.

Fibromyalgie, auch als Weichteilrheuma bekannt, bedeutet übersetzt Faser-Muskel-Schmerz. Und dieser breitet sich dauerhaft im gesamten Körper aus, ist wie bei Mone Wilke oft gekoppelt mit Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Erschöpfung und Morgensteifigkeit. Rund zwei Prozent der Deutschen sind davon betroffen, darunter 80 Prozent Frauen zwischen 40 und 60 Jahren.

Unendliche Traurigkeit – und Tränen ohne Ende

Einen Baum zu umarmen hilft, zu entspannen und zu gesunden..
Einen Baum zu umarmen hilft, zu entspannen und zu gesunden.. © Bianca Bödeker

Fibromyalgie ist keine entzündliche Erkrankung, sondern in erster Linie eine Störung der Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung, deren Ursache noch ungeklärt ist. Vermutet wird eine Kombination aus genetischer Veranlagung und verschiedenen psychischen, sozialen und biologischen Einflüssen.

Damit blicken wir wieder zu Mone Wilke. Und zu dem Tag vor elf Jahren, an dem nichts mehr geht. „Es war zu Hause. Ich spürte eine unendliche Traurigkeit, konnte nicht mehr aufhören zu weinen. Mein gesamtes Nervensystem brach zusammen. Ich war komplett handlungsunfähig, konnte nur noch sitzen und vor mich hinstarren“, sagt sie.

Schlüsselerlebnis: „Ich muss nicht immer funktionieren!“

Mone Wilke ist am tiefsten Punkt ihres Lebens angelangt. Verzweifelt und voller Ängste. Doch Aufgeben ist für sie keine Option. Sie sucht Hilfe – bei ihrer Hausärztin und später bei ihrer Psychotherapeutin. „Die sagte zu mir: ‚Frau Wilke, Sie dürfen krank sein.‘ Das war mein Schlüsselerlebnis – mir endlich selbst eingestehen zu dürfen, auch mal schwach zu sein und nicht immer nur funktionieren zu müssen.“

Auf Anraten der Ärzte entschließt sich Mone Wilke zu einer Therapie. Sie besucht für sieben Wochen eine ambulante Tagesklinik für Psychosomatik. Lernt Entspannungstechniken, wie die progressive Muskelentspannung nach Jacobsen. Muskeln entspannen und anspannen ist die Grundlage dieser Methode, die von Edmund Jacobson, einem amerikanischen Arzt, entwickelt wurde.

Heilsame Kraft des Waldes senkt Stresshormone

Er fand heraus, dass seelische Erkrankungen mit einer Anspannung der Muskeln in Verbindung stehen können. Deren gezielte Entspannung wiederum verringerte bei seiner Entdeckung die Aktivität von Nerven, zugleich nahm auch die psychische Anspannung ab.

„Ich habe schnell gespürt: Das ist eine Entspannungs-Methode, die mir hilft“, sagt Mone Wilke. „Ich habe sie täglich trainiert, bin viel im Wald spazieren gegangen und habe ein Naturseminar besucht. Ich besann mich darauf, was schon als Kind für mich wesentlich war: Freiheit, Bewegung, Ruhe, Entschleunigung - und die Natur. Ich begann, ihre heilsame Kraft für mich wiederzuentdecken.“

Waldbaden fördert die Gesundheit – schon nach einer Viertelstunde

Das Moos spüren – und lernen, sich selbst wieder zu spüren.
Das Moos spüren – und lernen, sich selbst wieder zu spüren. © Bianca Bödeker

Eine heilsame Kraft, die sogar wissenschaftlich erwiesen ist: Ein Aufenthalt im Wald, so der Bundesverband Waldbaden im nordrhein-westfälischen Minden, kann gesundheitsfördernd sein für Körper, Geist und Seele. Und das sogenannte Waldbaden wahre Wunder bewirken. Bereits eine Viertelstunde im Wald reduziert die Stresshormone und senkt den Blutdruck.

Waldbaden ist gut für die Herzgesundheit, fördert die Schlafqualität und stärkt das Immunsystem. Der Ursprung des Waldbadens liegt übrigens in Japan und heißt hier Shinrin-Yoku. Das bedeutet so viel wie Eintauchen in den Wald. Im Land der aufgehenden Sonne wird seine entspannende Wirkung bereits seit Beginn der 1980er Jahre wissenschaftlich erforscht.

Im Wald lernen, sich wieder zu spüren

Weiter Blick - wohlige Seele.
Weiter Blick - wohlige Seele. © Bianca Bödeker

„So ist mein Herzenswunsch entstanden, mein Leben komplett umzukrempeln und meine Erfahrungen an andere Menschen weiterzugeben“, sagt Mone Wilke. Sie bildet sich weiter in den Bereichen Naturcoaching, Achtsamkeit, Meditation, mentale Techniken und Entspannung. Kombiniert daraus Methoden und Übungen, die ihren Kunden inmitten der Natur helfen sollen, den Wald mit dem Herzen zu entdecken und dabei alle fünf Sinne zu beleben.

„Wenn Sie das Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen und Sehen bewusst in der Natur trainieren, haben Sie die Chance, sich wieder zu spüren und besser zu fühlen. Entweder aus einem Heilungsprozess heraus, oder um generell Ihre Gesundheit zu stärken“, sagt Mone Wilke, während wir ein paar Schritte durch den Rantzauer Forst gehen.

Achtsamkeit: „Krankheit hat mir gezeigt, was gut für mich ist“

Wir erreichen einen Platz im Wald, den sie regelmäßig aufsucht. Auf ihm steht eine Fichte, die umgeben ist von Moos. „Oft lehne ich mich an den Baum, greife mit den Händen in das Moos und rieche daran“, sagt Mone Wilke. „Es ist für mich ein sehr kraftvoller Ort, an dem ich mich beschützt fühle, durchatmen und entspannen kann. Hier komme ich runter an Tagen, in denen ich mal wieder zu viel gearbeitet habe, mich erschöpft fühle und im schmerzhaften ‚Fibronebel‘ bin.“

Ihre körperlichen Schmerzen und ihre kognitive Erschöpfung konnte Mone Wilke so in den vergangenen Jahren auf ein Minimum reduzieren. „Fibro ist mein Glückskompass“, sagt sie heute. „Die Krankheit hat mir gezeigt, was gut für mich ist. Und die Natur leitet mich, genau hinzuschauen, zu reflektieren. Früher dachte ich, meinem Schmerz hilflos ausgeliefert zu sein. Ich habe gelernt, dass ich mit meiner Achtsamkeit mein Schmerzempfinden dauerhaft senken und so neue Lebensqualität gewinnen kann. Das empfinde ich als großes Geschenk.“