Norderstedt. Bürgerinitiative: Acht von zehn Flügen sind regelwidrig. Senat muss handeln. Wie nächtlicher Fluglärm reduziert werden kann.
„Bis Mitternacht müssen wir jetzt in Garstedt wieder häufiger den Krach der Flugzeuge ertragen, und am nächsten Morgen ab 6 Uhr schon wieder. Da leidet die Gesundheit, vor allem die der Kinder“, sagt Uwe Kühl vom Vorstand der Norderstedter Interessengemeinschaft für Fluglärmschutz. Der Fluglärm nehme deutlich zu, vor allem die Zahl der Nachtflüge sei gestiegen.
Die Bürgerinitiative für die Reduzierung der Belastungen des Luftverkehrs in Hamburg und Schleswig-Holstein (BAW) bestätigt Kühls Eindruck und spricht von einer deutlichen Zunahme der verspäteten Starts und Landungen nach 23 Uhr gegenüber gegenüber dem Vorjahreszeitraum und auch im Vergleich zu 2019. „Das zeigt, dass die Airlines die allzu laxe Auslegung der planfestgestellten Nachtflugbeschränkung am Hamburg Airport billigend in Kauf nehmen“, sagt René Schwartz von der BAW.
Fluglärm Norderstedt: Mehr Flugzeuge – Krach bis Mitternacht nimmt zu
Auch Reimer Rathje hat festgestellt, dass mehr verspätete Starts und Landungen die Nachtruhe stören. „Ganz schlimm sind die Maschinen der Marabu-Airline, sie landen fast immer zu spät“, sagt der Fraktionschef der WiN – die Initiative hatte sich vor allem gegründet um den Fluglärm über Garstedt zu bekämpfen und ist inzwischen zum festen Bestandteil der Norderstedter Politik geworden. Rathje unterstellt den Flughafen-Verantwortlichen in Hamburg, kein Interesse daran zu haben, den Umlandbewohnern mehr Ruhe zu gönnen.
Bisher seien alle Versuche gescheitert, die Belastung der Bürger durch Fluglärm in den sensiblen Tagesrandzeiten zu senken. Die BAW listet die Vorstöße auf:
- „10 Punkte-Plan“ der Hamburgischen Bürgerschaft vom April 2014
- „16 Punkte-Plan“ der Hamburgischen Bürgerschaft vom Januar 2015
- „Pünktlichkeitsoffensive“ der Flughafen Hamburg GmbH vom Mai 2016
- Entgeltnovellierung der Flughafen Hamburg GmbH vom Juni 2017
- Gewinnabschöpfungsverfahren der Hamburger Umweltbehörde vom März 2018
- Bearbeitungsgebühr der Hamburger Umweltbehörde vom Juli 2018
- „21 Punkte-Plan“ des Hamburger Senats vom September 2018
- „25 Punkte-Plan“ von Bund, Ländern und Luftverkehrswirtschaft vom Oktober 2018.
Fluglärm Norderstedt: „Keine Entlastung, nur Alibi-Veranstaltungen“
„Mein Eindruck nach drei Jahrzehnten Kampf gegen den Fluglärm: Hamburg tut nur so, als ob die Stadt etwas für uns Betroffene tut. Letztlich handelt es sich um Alibi-Veranstaltungen“, sagt Uwe Kühl, der bei vielen Aktionen dabei war und unter anderem 13.000 Unterschriften für weniger Fluglärm über Norderstedt und den anderen Umlandgemeinden gesammelt hat. Trotz der Frustration und Erfolglosigkeit fordert er dazu auf, „den Finger weiter in die Wunde zu legen“.
Dafür steht die BAW: „Acht von zehn nächtlich verspäteten Landungen und Starts am Hamburg Airport sind regelwidrig“, sagte BAW-Sprecher Schwartz. Vom Senat werde prinzipiell erst einmal „eine angebliche Unvermeidbarkeit der nächtlichen Verspätung angenommen“. Ob diese jedoch tatsächlich unvermeidbar sind oder ob es sich um eine bloße Schutzbehauptung der Airlines handelt, bleibe unklar.
„Billigflieger Marabu nutzt die laxen Hamburger Regelungen besonders dreist aus“
Der gesunde Menschenverstand sage einem, „dass Umlaufverspätungen vermeidbar sind, da die Airlines nach einem verspäteten Start frühmorgens noch genügend Zeit haben, im Laufe des Tages bis zur Nachtruhe am Hamburg Airport gegenzusteuern“, so Schwartz. Da nach Lesart der Umwelt- und Wirtschaftsbehörde allerdings 99 Prozent der nächtlichen Verspätungen „unvermeidbar“ sind, führe dies dazu, dass die Betriebszeit am Hamburg Airport klammheimlich um eine Zuschlagsstunde von 23 Uhr bis 24 Uhr erweitert werde.
Besonders „dreist“ seien die laxen Hamburger Regelungen zuletzt vom „Billigflieger Marabu“ ausgenutzt worden, so Schwartz. Bei Marabu vergehe „kaum ein Betriebstag, an dem kein Flieger Verspätungen von mehr als einer Stunde aufweist“. Daher fordert die BAW den Hamburger Senat auf, den Begriff „unvermeidbar“ erschöpfend definieren und in der Flughafenordnung rechtsverbindlich verankern zu lassen.
Lange Wartezeiten an der Sicherheitskontrolle Ursache für verspätete Flüge
Die Aussage der BAW, die Zahl der verspäteten Flüge habe zugenommen, treffe so pauschal nicht zu, sagt Flughafen-Sprecherin Janet Niemeyer. Laut Flughafenstatistik lagen die Werte für März (48 Starts und Landungen nach 23 Uhr) und April (41) auf oder knapp unter dem Niveau von 2019. Trotz des Luftwaffenmanövers Air Defender lagen auch die Werte im Juni (81) unter denen von 2019. Die BAW bleibt bei ihrer Kritik und hält die Zahl der verspäteten Flüge nach wie vor für zu hoch.
„Maßgebliche Ursache für die hohe Anzahl der Verspätungsflüge im Mai (119) waren die fast täglichen, außergewöhnlich hohen Wartezeiten von über 45 Minuten an der zentralen Passagiersicherheitskontrolle“, sagt Niemeyer. Das habe einen „Dominoeffekt“ auf die Folgeprozesse wie Boarding-Zeiten und Gepäckbe- und -entladung ausgelöst. Dieser Zeitverlust habe dann im Laufe des Tages nicht immer aufgeholt werden können.
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Seitdem der Flugbetrieb nach Corona wieder angelaufen ist, gebe es Unregelmäßigkeiten, die am Standort Hamburg allein nicht kompensiert werden könnten. „Aufgrund des Ukraine-Krieges gibt es Einschränkungen im Luftraum, so das Umwege geflogen werden müssen“, sagt die Flughafensprecherin.
Jede Verspätung nach 23 Uhr werde von der Hamburger Umweltbehörde geprüft, die Airlines müssten alle Angaben zur Tagesrotation des Flugzeugs liefern. Wenn eine Verspätung vermeidbar gewesen wäre, würden Bußgeld und Gewinnabschöpfungen verhängt.