Norderstedt/Kiel. Richter warteten im Gerichtssaal in Kiel. Doch der ehemalige Drogenkurier schaffte es mit dem Motorroller nicht bis nach Kiel.

Mitglieder der Norderstedter „Koks-Taxi“-Bande standen am Montag erneut vor dem Landgericht in Kiel. Denn der Bundesgerichtshof (BGH) hatte das Urteil des Kieler Gerichts gegen die Bande teilweise als fehlerhaft aufgehoben. Am Montag sollte eine andere Strafkammer erneut gegen zwei der ursprünglich fünf Angeklagten verhandeln.

Doch dann stoppte ein Verkehrsunfall die Wiederauflage des spektakulären Drogenverfahrens. Die Prozessbeteiligten warteten am Montagmorgen vergeblich im Verhandlungssaal auf älteren der beiden Angeklagten. Der 57-jährige Drogenkuriers der Koks-Taxi-Bande war auf dem Weg zum Kieler Landgericht mit dem Motorroller verunglückt. Sei Anwalt Christopher Braun konnte über Art und Schwere der Verletzungen keine Angaben machen. Das Gericht vertagte sich auf den 12. September.

Landgericht Kiel: „Koks-Taxi-Bande“ – Angeklagter verunglückt am Prozesstag

Der Verunglückte war der „Senior“ der Bande, die vor zwei Jahren im Kreis Segeberg einen Lieferdienst für Drogen nach dem Vorbild eines Pizza-Service betrieben hatte. Nachdem die Koks-Taxi-Bande im Dezember 2021 aufgeflogen war, wurde der nach Jobverlust verschuldete Vater zweier Kinder im Oktober 2022 vom Landgericht zu drei Jahren und zehn Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.

Wie ein Gerichtssprecher auf Nachfrage mitteilte, war der 5. Strafkammer bei der Formulierung des rund 70-seitigen schriftlichen Urteils ein Fehler unterlaufen. Dort sei versehentlich die Tatsache als strafschärfend gewertet worden, dass die Drogen in Umlauf gekommen seien. Doch dieser Umstand, so der BGH, sei bereits im Tatvorwurf beinhaltet und dürfe nicht zusätzlich strafschärfend gewertet werden. Es könne im Urteil lediglich strafmildernd gewertet werden, wenn Drogen nicht an den Konsumenten geraten wären.

Bundesgerichtshof beanstandete eine Formulierung im Urteil

Der nur geringfügig vorbestrafte Fahrer aus Henstedt-Ulzburg hatte laut Urteil in acht Fällen Konsumenten auf Bestellung mit Drogen frei Haus versorgt. Die fehlerhafte Strafzumessung betrifft auch einen zweiten Angeklagten. Der 41-jährige Hamburger galt als „rechte Hand“ des Bandenchefs. Im ersten Prozess war er nach neuntägiger Verhandlung zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Die milde Strafe begründete das Gericht mit der Kronzeugenrolle, die der umfassend geständige Angeklagte gespielt hatte.

Laut Urteilsbegründung des Vorsitzenden Carsten Tepp hatte der 41-Jährige sofort nach der Festnahme „ein Musterbeispiel an Aufklärungshilfe“ geleistet. Dies trug ihm in der Szene den Ruf eines „Verräters“ ein. Nach Angaben seiner Verteidigerin Nicola Toillie war er in U-Haft isoliert, wurde von Mitgefangenen geschnitten und befürchtete Vergeltungsaktionen.

Kronzeuge des Prozesses gilt als „Verräter“ in der Drogenszene

Beide Angeklagte können im zweiten Prozess mit einer weiteren leichten Strafmilderung rechnen. Das Ergebnis der Beweisaufnahme sei vom BGH nicht infrage gestellt worden, teilte ein Sprecher mit. Es gehe nur noch um die Strafzumessung. Dafür hatte das Landgericht denn auch nur einen Prozesstag angesetzt.

Laut Anklage hatte zwischen Mai und Dezember 2021 „ein etwa vierstelliger Kundenstamm“ das Angebot der Koks-Taxi-Bande in Anspruch genommen. Bis zu zehn Zusteller belieferten die Konsumenten damals mit Kokain, Amphetaminen und Cannabis auf Bestellung.

Norderstedt: 183.000 Euro mit dem Ausliefern von Drogen verdient

Nach dem Vorbild eines Pizza-Service lieferten die Kuriere den Stoff in vorgepackten Portionen á 50 Euro im Pkw frei Haus. Auf Zuruf per WhatsApp kam ein Fahrer mit Kokain, Cannabis, Amphetaminen oder Ecstasy-Pillen vorbei.

Der einschlägig vorbestrafte Chef (26) der „Koks-Taxi“-Bande wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Er hatte den Zustelldienst und den Nachschub organisiert, so das Gericht. Durch den Drogenverkauf soll er mindestens 183 000 Euro eingenommen haben. Diese Summe wurde vom Staat als Wertersatz eingezogen. Das Treiben der Bande war der Polizei im Frühjahr 2021 nicht lange verborgen geblieben. Bald lief der im Raum Norderstedt gestartete Lieferservice unter staatlicher Aufsicht ab. Im Prozess hatten alle fünf Angeklagte Geständnisse abgelegt. Ihre Kooperationsbereitschaft wertete das Gericht strafmildernd.