Norderstedt. Änderung des Kommunalrechtes fordert in Norderstedt politische Opfer: Wer mit wem Politik machen will – und mit wem nicht.
Die Kommunalwahl am 14. Mai hat Norderstedt die mit 57 Stadtvertreterinnen und Stadtvertretern größte und mit neun Parteien und Wählergemeinschaften vielfältigste Stadtvertretung der Stadtgeschichte beschert. Doch noch vor der konstituierenden Sitzung des höchsten politischen Gremiums am 27. Juni kommt nun durch Fusionen von Parteien und Wählergemeinschaften einiges in Bewegung.
Die Freien Wähler gehen mit ihren beiden Mandaten in der Wir in Norderstedt-Fraktion (WiN) auf. Und – noch erstaunlicher – die beiden Vertreter der Partei Die Linke schlüpfen unter die Fittiche der SPD-Fraktion in Norderstedt. Während sich die Freien Wähler und WiN nun folgerichtig WiN/FW-Fraktion nennen wollen, tauchen die Linken nicht im Namen der SPD auf – sie gruppieren sich als Fraktionsmitglieder unter.
Norderstedt: Stadtvertretung – SPD schluckt Linke, WiN die Freien Wähler
Hintergrund für die Fusionen sind die umstrittenen Veränderungen des Kommunalrechts, die von der schwarz-grünen Mehrheit im Landtag im März beschlossen wurden. Neben Einschnitten bei Bürgerbegehren ging es dabei vor allem um die Gemeindevertretungen. Bestehen sie aus mehr als 31 Mitgliedern, braucht es ab sofort drei statt zwei Mandate, um Fraktionsstatus zu erlangen.
In Norderstedt kann man nun beobachten, zu was diese Entscheidung führt: Da Linke und Freie Wähler mit ihren jeweils zwei Mandaten ohne Fraktionsstatus sich angesichts der Fraktionen von CDU, SPD, Grünen, WiN, AfD und FDP marginalisiert sehen, suchen sie nun ihre politische Zukunft als Teil starker Fraktionen.
Umstrittene Änderung des Kommunalrechtes in Kiel
„Die Freien Wähler haben uns angesprochen“, sagt WiN-Fraktionschef Reimer Rathje. Schnell habe man bei vielen politischen Themen Übereinstimmung gefunden. Strittige Punkte habe es keine gegeben. „Und aus unserer Sicht erreichen wir mit der Fusion ein sehr wichtiges Ziel: Die AfD kann in keinem Ausschuss zwei Sitze erlangen.“
Dazu wäre es nämlich ohne die Fusion gekommen. 15 Sitze habe jeder Ausschuss: Fünf Sitze gingen immer an die CDU, jeweils drei an SPD und Grüne und ein Sitz an die FDP. WiN und AfD, mit ihren jeweils fünf Mandaten, hätten einen Ausschusssitz sicher – und der dann verbleibende 15. vakante Sitz hätte dann für jeden Ausschuss zwischen den beiden Fraktionen ausgelost werden müssen.
WiN wollte vor allem die AfD in den Ausschüssen verhindern
„Das kann nicht sein, dass die AfD am Ende in wichtigen Ausschüssen zwei Sitze hat“, sagt Rathje. Er wollte nicht erleben, dass die AfD zum Mehrheitsbeschaffer oder -verhinderer wird. „Deswegen mussten wir uns als demokratische Wählergemeinschaften zusammenraufen und diese Fusion beschließen.“
Rathje betont, man wolle gemeinsame Arbeit in den Ausschüssen und der Stadtvertretung leisten, aber die jeweilige Eigenständigkeit erhalten. „In der Norderstedter Politik wird durch diese abgestimmte Kooperation ein Ausbremsen von Entscheidungen aufgrund zahlreicher Einzelstimmen vermieden, gleichzeitig bleiben aber auch die Wählerstimmen der Freien Wähler für die politische Arbeit erhalten“, sagt Rathje.
Freie-Wähler-Chef Thedens zieht sich zurück
Der langjährige Fraktionschef und Gründer der Freien Wähler Norderstedt, Thomas Thedens, wird indes nicht mehr in der Stadtvertretung sitzen. „Die Arbeit in Landesvorstand, Kreistag und Stadtvertretung war mir etwas zu viel geworden“, sagt Thedens. So entschied er sich, die Norderstedter Politik in die Hände der Stadtvertreterinnen Julia Glagau und Kathrin Meyer zu legen. Er selbst wird noch im Kreistag wirken.
Das schlechte Abschneiden der Linken bei der Kommunalwahl hat die Partei in Norderstedt und im Kreis Segeberg erschüttert. Nach „unsachlicher und zum Teil ehrabschneidender Kritik“ aus den eigenen Reihen, trat der Kreisvorstand zurück, mit Stadtvertreter Miro Berbig an der Spitze.
Fraktionschef Berbig (Die Linke) schmeißt hin – und wird Datenbeauftragter der Stadt
Der sieht auch das Experiment Die Linke in Norderstedt als gescheitert an. „Wir haben nicht mal mehr unsere 1000 Stimmen bekommen, sondern nur noch 700. Man sieht uns nicht in der Stadt – das muss man sich dann eingestehen, auch wenn es bitter ist“, sagt Berbig.
Für sich zog er die Konsequenz, sich komplett aus der Parteiarbeit zu verabschieden. Stattdessen wechselt er quasi die Seiten – von der Stadtvertretung in die Stadtverwaltung. Berbig, bislang selbstständiger IT-Kaufmann, ist jetzt zum neuen Datenschutzbeauftragten der Stadt Norderstedt berufen worden. Ein pikanter Schritt: Denn Berbig war in der Stadtvertretung auch immer einer der größten Kritiker von Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder und vieler ihrer Entscheidungen.
Fedrowitz (SPD) begrüßt, dass „Linke näher an die SPD heranrücken“
Die Linke in Norderstedt besteht nach Berbigs Abgang noch aus den Stadtvertretern Christine Bilger und Norbert Pranzas – und die werden nun ordentliche Mitglieder der SPD-Fraktion, wie Stadtvertreterin Katrin Fedrowitz sagt. „Als Kreisvorsitzende freue ich mich ganz besonders, dass Die Linke wieder näher an uns heranrückt“, sagt Fedrowitz. „Wir gewinnen zwei engagierte und fachlich kompetente Stadtvertreter hinzu.“
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Nun kommt es in Norderstedt so, wie es Ex-SPD-Parteichef Oscar Lafontaine im Bund immer gefordert, der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner favorisiert und Ex-Linken-Chef Bernd Riexinger immer als Schnapsidee abgetan hat – die Fusion von SPD und Die Linke.
Landesverfassungsgericht muss über Klagen entscheiden
Widerstand bei den Sozialdemokraten in Norderstedt gab es nicht, sagt Fedrowitz. „Bei den meisten Themen sind wir eng beieinander, die Entscheidung ist mit großer Mehrheit gefallen.“ Wie und ob sich die Fusionen in der Zusammenarbeit in den nächsten Jahren bewähren wird, das stehe auf einem anderen Blatt. In der Kommunalpolitik gebe es ja ständig Veränderungen: Manche Politiker schieden wegen Krankheit oder Belastung im Job aus, andere wegen politischen Differenzen.
„Spannend wird es allerdings sein, wie die Klagen ausgehen“, sagt Fedrowitz. FDP und SSW haben beim Landesverfassungsgericht Klage gegen das von der Koalition verabschiedete neue Kommunalrecht eingereicht. Wenn das Gesetz außer Kraft gesetzt würde, dann müsste man die gerade fusionierten Fraktionen der Stadtvertretung wieder auseinanderklamüsern. „Wir als SPD haben uns ja auch klar gegen das Gesetz ausgesprochen“, sagt Fedrowitz. „Es benachteiligt die kleinen Fraktionen.“