Kreis Segeberg. Müllentsorger konnte 2023 noch keinen einzigen Gebührenbescheid an 70.000 Kunden verschicken. Langsam geht das Geld aus.
Die beispiellose EDV-Panne beim Wegezweckverband (WZV) des Kreises Segeberg nimmt kein Ende. Jetzt werden die 65.000 privaten und die 2400 gewerblichen Kunden in den 94 Städten und Gemeinden des Kreises Segeberg ohne Norderstedt wohl frühestens im September ihre ersten Gebührenbescheide für das Jahr 2023 erhalten. Das musste die Geschäftsführung vor den Kommunalpolitikern im WZV-Hauptausschuss und in der Verbandsversammlung einräumen.
Zuletzt hatte es geheißen, die Bescheide kommen vielleicht im Mai. Ob die Panne im September behoben sein wird, ist alles andere als sicher. Auf Nachfrage des Hamburger Abendblatts wird dazu kein konkreter Termin genannt. „Wir können aktuell keinen belastbaren Termin nennen, zu dem die Gebührenbescheide versandbereit sein werden“, teilt WZV-Sprecherin Annika Trimpert mit.
Kreis Segeberg: EDV-Panne beim WZV: Digitales Chaos bei den Müllgebühren
Die Auszahlung der Löhne und Gehälter an die rund 300 Beschäftigten des Zweckverbandes, der neben der Abfallentsorgung auch für die Straßenunterhaltung in den 94 Gemeinden zuständig ist, sei aber nicht gefährdet, betont die WZV-Sprecherin.
„Aktuell verfügt der WZV noch über ausreichende liquide Mittel“, teilt Annika Trimpert mit. „Der laufende Geschäftsbetrieb inklusive der Auszahlung der Gehälter ist auch ohne die Aufnahme von Krediten bis in das dritte Quartal hinein gesichert.“ Um auf mögliche, gegen Ende des dritten Quartals entstehende Engpässe kurzfristig reagieren zu können, habe sich der WZV „aus Gründen der kaufmännischen Vorsicht“ durch seinen Hauptausschuss von den Kommunalpolitikern vorsorglich die Aufnahme eines Kassenkredits in Höhe von zehn Millionen Euro bewilligen lassen.
Jedes Quartal fehlen dem WZV 10 Millionen Euro in der Kasse
Diese zehn Millionen Euro entsprächen dem „vorübergehenden Einnahmendefizit“ eines jeden Quartals, so die WZV-Sprecherin weiter. Das hieße also, dass dem WZV in diesem Jahr bereits fast 20 Millionen Euro in der Kasse fehlen. Die Abfallwirtschaft sei der größte Geschäftsbereich des WZV und mache etwa drei Viertel des Gesamtumsatzes aus, teilt die WZV-Sprecherin weiter mit. Für den bewilligten Kredit müsse aber das Unternehmen bereits Bereitstellungszinsen zahlen, heißt es.
Das Malheur im Abrechnungssystem des WZV ist hausgemacht und selbstverschuldet. Der Verband hatte nach langer und sehr kontrovers geführter Diskussion zum Jahreswechsel 2022/23 von der bisherigen Abfallentgelt-Ordnung auf die Gebührensatzung umgestellt. Dadurch würde die Umsatzsteuer entfallen und der WZV könnte ein bis zwei Millionen Euro im Jahr einsparen, warb Verbandsvorsteher Peter Axmann für die neue Gebührenerhebung.
Kassenkredit sichert die Liquidität des Müllentsorgers des Kreises Segeberg
Zugleich wurde ein neues Gebührenberechnungsmodell eingeführt, das beim WZV „trennt aktiv“ genannt wird, und deren Kosten für die Kunden sich an der Anzahl der Entleerungen der Restabfalltonnen orientieren. So wird für jedes Grundstück ein Festbetrag von 60 Euro für jede Wohneinheit im Jahr erhoben. Hinzu kommt für jede Leerung einer 120-Liter-Tonne ein Betrag von 8,25 Euro. Bei vierwöchiger Entleerung wären das mit Grundgebühr und Bioabfalltone (46,56 Euro für 120 Liter) für eine vierköpfige Familie jetzt insgesamt 312,81 Euro im Jahr an Abfallgebühren.
Davon hätte ein so beschriebener Haushalt jetzt fast die Hälfte noch nicht gezahlt, weil ihm noch kein Gebührenbescheid zugeschickt werden konnte. Das gleiche gilt für alle anderen Haushalte mit größeren oder kleineren Tonnen oder auch anderen Entleerungsintervallen.
Das genaue Problem scheint noch nicht ermittelt zu sein. Der WZV befinde sich „auf dem Weg der Digitalisierung“, beschreibt es WZV-Sprecherin Annika Trimpert. „Da zahlreiche Verwaltungsvorgänge in der Vergangenheit mit unwirtschaftlich hohem manuellem Aufwand durchgeführt werden mussten und einige der verwendeten Programme weder in der Lage waren, die Anforderungen beim Wege-Zweckverband adäquat abzubilden noch sich integrativ vernetzen ließen, wurde die Einführung eines zeitgemäßen ERP-Systems notwendig.“
Bei Umstellung des Systems kam es zu „unerwarteten Herausforderungen“
Für die Bereiche Abfallwirtschaft und Finanzen soll dieses System „zukünftig zu einer Verschlankung der Vorgänge und damit zu einer Prozessoptimierung führen“, teilt sie mit. „Während der Implementierung der neuen Software ist es jedoch zu unerwarteten Herausforderungen gekommen, welche noch nicht umfänglich beseitigt werden konnten. Dadurch konnten noch keine Bescheide generiert werden.“
- Müllabfuhr: Peinliche IT-Panne bringt WZV in finanzielle Schieflage
- Gebührenbescheide für die Mülltonne mit Chip verzögern sich
- WZV beschließt umstrittenes Gebührenmodell für den Müll
Die neue Software funktioniert also nicht und hat offenbar das gesamte Einnahmesystem des WZV lahmgelegt. Eine Umstellung zurück auf das alte EDV-System sei aber aus lizenzrechtlichen Gründen nicht mehr möglich und auch nicht gewollt, hieß es von der WZV-Leitung in den Verbandsgremien. „Ohne Netz und doppelten Boden haben die einfach im laufenden Verfahren die Pferde gewechselt“, wundert sich ein Verbandsmitglied.
Schmalfelds Bürgermeister Klaus Gerdes, der dem WZV-Hauptausschuss vorsitzt, sagt: „Es wäre schön, wenn das neue System laufen würde. Aber die Behebung des Fehlers ist nicht so einfach.“ Immerhin sei die Liquidität des Unternehmens mit dem bewilligten Kredit vorerst gesichert.
Kreis Segeberg: Bürgermeister Köppen rät zu freiwilligen Abschlagszahlungen
Ralf Martens, Bürgermeister von Ellerau und Vorsitzender der WZV-Verbandsversammlung, sieht die Schuld eindeutig bei der beauftragten Software-Firma, die angeblich seit 25 Jahren im Geschäft sei, aber das Problem nicht in den Griff kriege. „Das ist schon ärgerlich und eine unglückliche Situation für den WZV.“ Die Softwarefirma vertröste den WZV immer wieder aufs Neue, ohne dass die Zusagen eingehalten würden, sagt Martens.
Bad Segebergs Bürgermeister Toni Köppen zeigt Verständnis für die Problematik: „Man ist sehr bemüht beim WZV, eine Lösung für das Problem zu finden“, ist sein Eindruck. Es sollte jetzt aber alles daran gesetzt werden, den Kunden so schnell wie möglich mitzuteilen, wie hoch ihre Abfallgebühren ausfallen, fordert Köppen. Kunden, die jetzt höhere Zahlungen fürchten, wenn sie erst spät im Jahr darüber informiert werden, rät er, von sich aus Abschlagszahlungen an den WZV zu entrichten. Das sei durchaus möglich, sofern die Kunden dies wünschten.