Norderstedt. Hohe Baukosten, hohe Zinsen, neue Heizung: Experten sprachen in Norderstedt über dramatische Folgen für den Immobilienmarkt
Ukraine-Krieg, explodierende Baukosten, hohe Zinsen, neue Auflagen für Heizungen: Wer ein Haus in Norderstedt bauen oder kaufen will, hat es heute sehr viel schwerer als noch vor zwei Jahren. Und wer ein Haus sanieren will, auch. Wie ist unter diesen dramatisch veränderten Bedingungen bezahlbares Wohnen möglich, für alle Generationen? Und wie ist das Leben auf dem Land in Zukunft möglich? Darum ging es am Dienstag in Norderstedt.
Zu der Veranstaltung „Bezahlbares Wohnen und nachhaltige Wirtschaft“ hatte das Norderstedter Unternehmen Hausmann Immobilien Beratung eingeladen, ins Seminarhaus an der Ulzburger Straße. Rund 30 Zuhörer waren gekommen.
Haus kaufen Norderstedt: „Weinende Familien“ – weil der Traum vom Eigenheim platzt
Welche dramatischen Folgen die Situation derzeit für den Immobilienmarkt bedeuten, darüber berichtete Sven Peters. Er ist Vorstand der Vereinigen VR Bank eG, früher bekannt als Kaltenkirchener Bank. Peters sprach über den Zinsschocks seit Russlands Überfall auf die Ukraine.
„Innerhalb von wenigen Wochen hat sich der Traum vom Eigenheim für viele komplett zerschlagen“, sagte er. In den Banken säßen „weinende Familien“. Denn die Zinsen für die Tilgung eines Immobilienkredits hätten sich vervielfacht. Die hohe Inflation und gestiegene Baukosten hätten die Lage noch schlimmer gemacht.
Was sollen Menschen tun, die nicht gerade über ein besonders hohes Einkommen verfügen? Wie kann sich für die der Traum vom Haus doch noch erfüllen? Die große Lösung hatte Peters nicht parat, dafür aber mehrere Ratschläge.
Er beschrieb die Faktoren, die die Kreditwürdigkeit einer Familie beeinflussen. Wer zum Beispiel einen günstigen Kredit zur Finanzierung eines Autos habe, verschlechtere damit sein Schufa-Rating – und damit die Chance auf einen Hauskredit. Viele wüssten das nicht. Außerdem sei es besser, wenn es nicht nur einen, sondern mehrere Kreditnehmer gebe.
Der „gute, alte Bausparvertrag“ wird wieder wichtiger
Generell komme es sehr darauf an, den richtigen Finanzierungsberater zu finden. Außerdem riet er jedem angehenden Bauherren dringend dazu, sich auch selbst über aktuelle Finanzierungsmodelle zu informieren, etwa über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Außerdem sei der „gute, alte Bausparvertrag“ wieder ein sehr gutes Finanzierungsmodell, weil es vergleichsweise gute Zinsbedingungen biete. „Wer seinen Kindern oder Enkeln etwas Gutes tun will, schenkt ihnen einen Bausparvertrag.“
Auf den Zinsschock und die Folgen für den Immobilienmarkt ging auch Thorsten Hausmann ein, Geschäftsführender Gesellschafter des Unternehmens. „Früher hatten wir 100 Interessenten für eine Immobilie. Heute sind es acht. Und siebeneinhalb von denen bekommen keine Finanzierung!“, sagte er.
Hausmann: Ältere Menschen haben große Angst vor steigenden Wohnkosten
Die Folge: Manche Hausbesitzer bekämen ihre Immobilie schlicht nicht verkauft. Hausmann nannte ein weiteres Problem, dem er immer wieder begegne. Gerade ältere Menschen hätten nämlich Angst, wegen der hohen Energiekosten und auch wegen der neuen Auflagen für Heizungen nicht mehr in ihren Häusern bleiben zu können.
„Die fragen sich, wie lange sie sich ihre Häuser noch leisten können. Sie haben wirklich Angst vor unkalkulierbaren Risiken“, sagte er. Und ergänzte: „Ich habe sehr viele radikale Meinungen gehört von Leuten über 75. Aber die sind eigentlich nicht radikal. Das ist die Existenzangst!“
Hausmann betonte, dass er den Weg, klimaneutral zu werden, für richtig halte. „Aber man muss die Menschen mitnehmen.“
Hausmanns Vision: In dem „mitwachsenden Haus“ können mehrere Generationen leben
Er legte dann auch ein konkretes Konzept zur Lösung der Probleme vor. Dem Publikum stellte Hausmann seine Idee vom „mitwachsenden Haus“ vor, die er dann auch – mit mitgebrachten Holzklötzen – veranschaulichte.
Der Ansatz ist erst einmal radikal: Hausmann plädiert nämlich dafür, viele Häuser aus den 60er und 70er-Jahren, in denen oft Senioren leben, abzureißen. „Die sind energetisch nicht mehr renovierbar“, sagte er. Dann kommt das „mitwachsende Haus“ zum Tragen.
Große Grundstücke könnten so besser genutzt werden, sagt Thorsten Hausmann
Das Konzept soll auf den oft sehr großen Grundstücken realisiert werden. Nach dem Abriss des alten, ohnehin zu großen Hauses zieht das Senioren-Ehepaar in ein kleineres, aber energetisch günstigeres Tiny-House. Das ist dann ist eine von verschiedenen, möglichen Keimzellen für ein „mitwachsendes Haus“. Das könnte dann um weitere Module ergänzt werden – etwa für den Einzug eines jungen Paares, das noch keine Kinder hat. Kommt dann Nachwuchs, wird wieder um weitere Module ergänzt.
Auf dem Grundstück, auf dem einst nur das alte Einzelhaus stand, könnten viele solcher Tiny Houses, beziehungsweise „mitwachsender Häuser“ Platz finden, die dann nach Hausmanns Vorstellung auch Gründächer bekommen könnten. So lasse sich dann auch das Bauland sehr viel besser nutzen.
„Starre Bauvorschriften verhindern Umsetzung solcher Konzepte“
Hausmann forderte den Dialog mit „Querdenkern aus der Immobilienbranche“, um so etwas zu realisieren. Außerdem sei die Politik gefragt. Bisher verhinderten nämlich „starre Vorschriften in den Bauordnungen“ die Umsetzung solcher Konzepte.
Die Details seines Konzeptes erläuterte Hausmann später, als es nach den Vorträgen zu Gesprächen an die Stehtische ging. Ein Zuhörer merkte an, dass doch auch jetzt schon Grundstücke viel dichter bebaut würden, nach dem Abriss alter Häuser. „Das ist dann aber eine starre Bebauung, aus einem Guss. Warum soll man die Grundstücke immer gleich vollbauen?“, entgegnete Hausmann. Seine Vision eines Hauses sei viel flexibler, angepasst an Lebensphasen, und auch schneller zu realisieren.
Idee: Gemeinschaft auf dem Grundstück soll sich viele Kosten teilen
Durch die geringere Fläche und eine besonders energiesparende Konstruktion sei das „mitwachsende Haus“ auch kostensparend. Außerdem könne vieles an Nebenkosten gespart werden. Hausmann schwebt hier das Modell einer Haus- oder Grundstücksgemeinschaft vor, die sich viele Kosten teile, etwa die Müllgebühren. Und auch Aufgaben könnten geteilt werden, etwa die „Schnee- und Eisbeseitigung.“
Könnte die Idee einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft, die in Teilen der Norderstedter Politik sehr beliebt ist, bei der Realisierung des Konzepts nicht helfen? Hausmann glaubt das nicht. „Der Staat kann das nicht regeln, das wird nichts“, meint er. Stattdessen brauche es mutige Investoren und eine Vereinfachung des Baurechts.
Hans-Joachim Grote: Robotik und KI wird auch für Gemeinden auf dem Land wichtig
Auch Norderstedts ehemaliger Bürgermeister und Ex-Innenminister Hans-Joachim Grote war unter den Rednern. Grote ist heute Vorstand der Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft des Kreises Segeberg (WKS). Ihm ging es um die Frage, wie in Zukunft das Leben auf dem Land gestaltet werden sollte – besonders in den kleinen Gemeinden des Nordens.
„Wir haben in Schleswig-Holstein 1006 rechtlich eigenständige Gemeinden, bei 2,8 Millionen Einwohnern. In Nordrhein-Westfalen sind es 396 Gemeinden, bei 18 Millionen Einwohnern“, sagte Grote. Und fragte: „Kann jede Gemeinde in Zukunft allein alle Aufgaben bewältigen?“
Er redete aber keinen Fusionen oder Zusammenlegungen das Wort – aber es solle intensivere und bessere Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden geben, etwa wenn es um die Anwerbung von Fachkräften oder die Ansiedlung von Ärzten gehe. Hier hält er die Einrichtung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) für richtig.
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Grote sprach auch über die hohe Zuwanderung aus Hamburg in den Kreis. Die Region habe ein „Lageglück“, aber das gelte es zu gestalten. Wichtig sei es etwa, sich bei der digitalen Infrastruktur besser zu organisieren. Außerdem glaubt Grote, dass der Fachkräftemangel gerade auf dem Land bedeuten könnte, dass man stärker auf „Robotik und Künstliche Intelligenz (KI)“ setzen müsse, um bestimmte Aufgaben noch erledigen zu können.
Haus kaufen Norderstedt: Visionen gefordert – John F. Kennedy als Vorbild
Generell wünscht sich Norderstedts ehemaliger Bürgermeister mehr Offenheit für neue Lösungen – und eben auch für neue Technologien wie KI. Er betonte – in Abgrenzung von Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt – dass Visionen durchaus etwas Gutes seien.
Ohne Visionen entstehe nichts Neues – er nannte hier das Beispiel des ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy, der 1961 das Ziel ausgab, einen Menschen auf den Mond zu schicken. Grote: „Der wusste auch erst einmal nicht genau, wie das gehen soll. Aber er hat das Ziel formuliert. Und darauf kommt es an.“