Norderstedt. Am Sonnabend öffnet das Chinarestaurant Yu ein letztes Mal. Nach 50 Jahren endet eine Ära. Besitzerin erwartet viele Tränen.
An diesem Sonnabend bereitet Shin-Hong „Jonny“ Yu mit Sohn Franky zum letzten Mal in der Küche seines Chinarestaurants Yu in Norderstedt das Essen zu. Seine Frau Ingrid wird es ein letztes Mal ihren Gästen überreichen. „Das wird ein Tag voller Tränen. Ich bin froh, wenn er vorbei ist. Es haben sich so viele Menschen zum Abschied angekündigt“, sagt sie.
Schon in den vergangenen Tagen sind viele Stammgäste vorbeigekommen, um sich von der Familie Yu zu verabschieden. Der runde Tisch im Eingangsbereich neben dem Tresen ist prall gefüllt mit Geschenken. Bunte Blumensträuße stehen in Vasen. Davor sind Dankeskarten aufgestellt. Nach fast 50 Jahren schließen die Yus ihr chinesisches Restaurant an der Ohechaussee.
Restaurant Norderstedt: „Ein Lebenswerk geht zu Ende“ – Familie Yu nimmt Abschied
Damit bricht Norderstedt eine Institution weg – die für viele viel mehr war als ein Restaurant. Das Lokal war ein Ort, an dem sich die Gäste ihre Sorgen von der Seele reden konnten. An dem sie sich so wohl wie in ihrem eigenen Wohnzimmer fühlten.
„Eine Frau sagte einmal, sie hätte das Gefühl, sie säße bei sich zu Hause in der Essecke“, erzählt Ingrid Yu mit einem Lächeln im Gesicht. Von manchen Gästen wurden sie und ihr Mann „Mama Yu“ und „Papa Yu“ genannt.
Seit Beginn der Corona-Pandemie wurde nur noch außer Haus verkauft
Die Familie hat seit Beginn der Corona-Pandemie ihr Restaurant nie wieder geöffnet. Obwohl die Zeit der Lockdowns längst vorbei ist, verkauft sie nur Essen außer Haus. Die Gäste klingeln und holen es an der Eingangstür ab.
„Meinem Mann fehlt ein Teil der Lunge“, erklärt Ingrid Yu. Die Angst, sich mit Corona anzustecken und schwer zu erkranken, ist aus ihrer Sicht einfach zu groß. Doch auf Dauer können die Yus nicht davon leben, ihre Gerichte nur zum Abholen anzubieten.
Nachfolger für Chinarestaurant ist bereits gefunden – kein Asiate
Schweren Herzens suchten sie einen Nachfolger für ihr Chinarestaurant. „Künftig wird es hier keine asiatische Küche mehr geben“, sagt Ingrid Yu. Mehr verrät die 64-Jährige noch nicht. Das will sie dem neuen Besitzer überlassen.
An der Fensterscheibe des Lokals hängt ein Plakat. Darauf hat Sohn Franky etliche Namen von Stammgästen aufgelistet. Es sind bestimmt mehr als 300 Stück. Nicht alle seien ihm eingefallen. Häufig wisse man zwar genau, was die Gäste essen und trinken würden – aber nicht, wie sie mit vollem Namen heißen.
Norderstedt: In vergangenen Tagen sind viele Tränen geflossen
Die Familie möchte danke sagen. Schon in den vergangenen Tagen sind viele Tränen geflossen – sowohl bei Ingrid Yu als auch bei ihren Gästen. „Ich habe nicht erwartet, dass sie auch weinen werden. Manche haben sich überhaupt nicht mehr eingekriegt“, erzählt sie.
Mit einem jungen Mädchen, das immer nach der Schule kam, um sich seinen Bratreis abzuholen, lag sie sich in den Armen. „Wir haben beide geweint“, sagt sie. Während sie von dem Erlebnis berichtet, füllen sich ihre Augen wieder mit Tränen. Dann erzählt sie von einer anderen Frau. „Sie kommt schon seit ihrem siebten Lebensjahr zu uns. Jetzt ist sie 55. ,Was soll ich bloß ohne euch machen?‘, hat sie mich gefragt.“
Einmal machte Shin-Hong Yu einem Gast sogar Gulasch
Ingrid Yu bewegt es sehr, mit wie viel Liebe sich ihre Gäste von ihr verabschieden. Allerdings hat die gebürtige Flensburgerin, die seit 1980 in Norderstedt lebt, ihnen jahrelang auch so viel mehr gegeben als nur leckeres Essen.
Ein Gast habe einmal von dem Gulasch seiner verstorbenen Frau geschwärmt, das er so gern noch einmal essen würde. „Dann hat mein Mann ihm Gulasch und Kartoffeln gemacht“, sagt Ingrid Yu, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
Familie Yu hat drei Gästebücher voll mit lieben Worten
Für einen anderen, über 80-jährigen Stammgast hat sie Wäsche gewaschen und Steckrüben gekocht. „Er hat gesagt, dass es wie bei seiner Mutter geschmeckt habe. Das war für mich das schönste Kompliment.“ Ingrid Yu könnte Tausende solcher Geschichten erzählen.
Auf dem Tisch breitet sie drei Gästebücher aus. Das erste hat die Familie angelegt, als das Chinarestaurant 1997 von Langenhorn nach Norderstedt umgezogen ist. „Die Menschen haben so liebe Worte gefunden“, sagt Yu. Um sich zu bedanken, hat sie jedem Gast einen Brief geschrieben und nach Hause geschickt.
Tochter Juliane fällt es ebenfalls schwer Chinarestaurant loszulassen
Das zweite Buch hat sich mit Worten von Gästen aus der Zeit in Norderstedt gefüllt. Ingrid Yu blättert die Seiten durch. An einigen bleibt sie hängen und erzählt eine Anekdote. Das dritte Gästebuch legt sie nun zum Abschied aus.
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„Ein Lebenswerk geht zu Ende“, sagt Tochter Juliane (42). Auch ihr fällt es schwer, das Restaurant ihrer Eltern loszulassen. Sie verbindet viele Erinnerungen damit. „Ich bin hier aufgewachsen. Das war mein Zuhause“, sagt sie.
So traurig sie auf der einen Seite ist, freut sie sich auch über all die schönen Jahre und den herzlichen Abschied, der ihrer Familie nun bereitet wird. „Besser hätte es nicht sein können“, sagt sie und wirft einen Blick auf den Tisch mit all den liebevollen Geschenken.
Norderstedt: „Jonny“ Yu wird zum ersten Mal nach 50 Jahren freien Tag haben
Bis Sonnabendabend müssen sie allerdings weggeräumt sein. Dann möchte Ingrid Yu noch ein letztes Mal mit ihrer Familie an ihrem Lieblingsplatz im Restaurant sitzen. Ihre Kinder, Enkelkinder und Schwester werden da sein, um sie zu unterstützen. „Wir haben am ersten Tag alle zusammen eröffnet. Jetzt schließen wir auch alle gemeinsam“, sagt Tochter Juliane.
Ihrer Mutter Ingrid steht dieser Moment bevor. „Wenn wir abends die Tür abschließen, wird es schlimm“, befürchtet sie. Drei Tage später muss die Familie den Schlüssel an die Vermieterin abgeben. Dann wird ihr Mann „Jonny“ (74) zum ersten Mal nach 50 Jahren einen freien Tag haben. All die Jahre über hatte das Lokal von montags bis sonntags geöffnet.
Ingrid Yu atmet tief durch. „Wo sich eine Tür schließt, öffnet sich ja bekanntlich eine neue“, sagt sie und lächelt.