Norderstedt. Fast 50 Jahre führte das Ehepaar ein Chinarestaurant mit Leib und Seele. Ende März schließt es. Das sind die bewegenden Gründe.
Im Eingangsbereich des Chinarestaurants Yu stehen gepackte Kartons. Die Tische sind nicht eingedeckt. Das sind sie schon seit fast drei Jahren nicht mehr. „Hier haben die Gäste immer gern gesessen“, sagt Inhaberin Ingrid Yu und streicht mit der Hand über den runden Tisch neben dem Tresen. Sie lächelt. Die 63-Jährige erinnert sich gern an all die schönen Jahre, die ihre Familie hier erlebt hat. Umso schwerer fällt ihr das Loslassen.
Nach fast 50 Jahren schließt das chinesische Restaurant an der Ohechaussee. Damit verliert Norderstedt eine Institution. Seit Beginn der Corona-Pandemie verkaufen die Yus nur noch Essen außer Haus. Obwohl die Zeit der Lockdowns in weite Ferne gerückt ist und sie ihr Lokal längst wieder öffnen dürften, empfangen sie ihre Gäste nur an der Haustür. „Meinem Mann fehlt ein Teil der Lunge“, erklärt Ingrid Yu. Die Angst, sich mit Corona anzustecken und schwer zu erkranken, ist einfach zu groß.
Norderstedt: „Uns blutet das Herz“ – Familie Yu muss Lebenswerk aufgeben
„Wir haben uns die Frage gestellt, was uns wichtiger ist: Geld zu verdienen – oder die Gesundheit meines Mannes.“ Ihre Entscheidung fiel klar aus. Das Ehepaar ist seit fast 43 Jahren verheiratet. Liebe liegt in ihrem Blick, wenn sie von den Kochkünsten ihres Mannes schwärmt. „Kochen ist sein Leben“, sagt sie. Shin-Hong „Jonny“ Yu (74) steht währenddessen in der Küche und hackt Gemüse. Ein Brutzeln ist zu hören. „Für ihn ist es sehr hart, damit aufzuhören. Er weiß noch nicht, was er jetzt machen soll.“
Mit 14 Jahren hat der gebürtige Chinese in Hongkong eine Ausbildung zum Koch begonnen. Drei Jahre später wanderte er nach Deutschland aus. Mit seinem Vater gründete er 1975 einen Restaurantbetrieb am Langenhorn Markt, der am 8. Februar 1997 neu in Norderstedt an der Ohechaussee eröffnete. Auf den Tag genau, 26 Jahre später, haben die Yus das Ende ihres „Kindes“, wie sie es nennen, schriftlich besiegelt. Sie schließen. „Uns blutet das Herz. Das ist unser Lebenswerk“, sagt Ingrid Yu.
Chinarestaurant: Essen außer Haus war auf Dauer nicht wirtschaftlich
Aber auf Dauer war es einfach nicht wirtschaftlich, Essen nur zum Abholen anzubieten. „Die Einnahmen durch Getränke und Nachtische fehlten natürlich“, sagt die Restaurantbesitzerin, die in Flensburg geboren ist, aber schon seit 1980 in Norderstedt lebt. So haben sie schweren Herzens beschlossen, ihr Restaurant aufzugeben. Ein Vierteljahr haben sie für diese Entscheidung gebraucht. „Wir haben immer Auswege gesucht. Aber es war der richtige Zeitpunkt, um die Reißleine zu ziehen.“
Die Gesundheit von „Jonny“ Yu war zwar der Hauptgrund für das Ende. Aber nicht der einzige. „Corona hat uns den Garaus gemacht“, sagt Ingrid Yu. Die Hilfe vom Staat zurückzuzahlen, habe ihnen das Genick gebrochen. Hinzu kamen die gestiegenen Strom- und Gaspreise. „Mein Mann kocht auf einem Gasherd. Das ist nicht gerade billig.“
Die Yus hatten keine Angestellten und haben Laden selbst geschmissen
Die Yus haben keine Angestellten. Sie haben den Laden all die Jahre über ganz alleine geschmissen – als Familie. „Jonny“ Yu und Sohn Franky standen in der Küche – Ingrid Yu hat die Gäste bedient, die Gläser gespült, sogar die Tischdecken gemangelt. „Wir haben den Laden nicht verlassen, bevor nicht alles tipptop war. Selbst wenn wir manchmal erst um 2 oder 3 Uhr nach Hause gekommen sind“, sagt sie.
Für die Gäste waren die Yus so viel mehr als nur Restaurantinhaber. Von manchen wurden sie „Mama Yu“ und „Papa Yu“ genannt – weil es so familiär bei ihnen im Lokal war. „Eine Frau sagte einmal, sie hätte das Gefühl, sie säße bei sich zu Hause in der Essecke“, erzählt Ingrid Yu und lacht.
Ingrid Yu hatte für ihre Gäste immer ein offenes Ohr
Sie wusste genau über ihre Gäste Bescheid: Wann deren Kinder eingeschult wurden, welche Krankheiten sie hatten und welche Sorgen sie plagten. Die Norderstedterin hatte stets ein offenes Ohr für sie. „Zu uns kamen auch viele ältere Leute, die allein waren. Ich habe versucht, ihnen Mut zu geben.“ Wenn ein Gast mit schlechter Laune hereingekommen sei, „dann habe ich es meistens geschafft, dass er mit einem Lächeln wieder ging“.
Die Gäste hätten entsetzt auf das Aus des Chinarestaurants reagiert. „Viele waren schon bei uns, als sie selbst noch Kinder waren. Inzwischen sind sie erwachsen geworden und kommen mit ihren eigenen Kindern zum Essen. Wir sind alle zusammen alt geworden“, sagt Ingrid Yu. All das wird ihr sehr fehlen. „Ich danke unseren Gästen, dass sie auch in dieser schweren Zeit zu uns gehalten haben.“
Nachfolger für Norderstedter Restaurant gibt es bereits
Ihre neun Jahre alte Enkelin Junis hat vorgeschlagen, dass Opa doch einfach zu Hause weiterkochen solle. Die Gäste könnten dann durch das Küchenfenster ihr Essen abholen. Ingrid Yu schmunzelt über diese Idee. „Nein, das machen wir nicht“, sagt sie kopfschüttelnd. „Unser Zuhause ist unsere Oase.“
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Einen Nachfolger für ihr Restaurant haben die Yus bereits gefunden. Künftig wird es an der Ohechaussee keine asiatische Küche mehr geben. Mehr verrät Ingrid Yu noch nicht, das will sie dem neuen Besitzer überlassen. „Wir wünschen ihm, dass er genauso tolle Gäste hat wie wir“, sagt sie.
Norderstedt: Am 25. März ist der letzte Tag – danach ist Schluss
In den vergangenen Jahrzehnten hat die Familie bis auf Heiligabend durchgearbeitet. Das Lokal hatte jeden Tag geöffnet, von montags bis sonntags. Nun kochen sie am 25. März zum letzten Mal ihre chinesischen Spezialitäten. „Uns ist nicht nach Feiern. Wir sind sehr traurig über das Ende. Das wird ganz schlimm für uns“, sagt Ingrid Yu. Ihre positive Art, mit der sie so vielen Gästen jahrelang Freude bereitete, hat sie trotzdem nicht verloren. „Jetzt kommt ein neues Kapitel!“, sagt sie entschlossen.