Norderstedt/Kiel. Kommunen sollen unter anderem „brachliegende Flächen“ aufkaufen können. Fraglich nur, ob es solche Flächen überhaupt gibt.

Der Titel ist sperrig: „Baulandmobilisierungsgesetz“ heißt das, was jetzt in Kiel beschlossen wurde und schon am 9. Februar in Kraft treten soll. Das Gesetz soll greifen in Städten mit einem „angespannten Wohnungsmarkt“ – und zu diesen gehört Norderstedt. Die Stadt hat durch das Gesetz jetzt einige neue Möglichkeiten, um den Wohnungsbau zu fördern. Nur: Hilft das?

Aus Sicht der Landesregierung wird Abhilfe für ein drängendes Problem geschaffen. „Wir unterstützen Kommunen mit angespanntem Wohnungsmarkt dabei, ihrer Daseinsvorsorge gerecht zu werden und Wohnraum zu schaffen, den ihre Einwohnerinnen und Einwohner dringend benötigen“, sagte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU).

Norderstedt: Neues Gesetz aus Kiel – Bringt es mehr Wohnungen?

Zuvor hatte das Ministerium alle 1106 Städte und Gemeinden in Schleswig-Holstein unter die Lupe genommen und 67 Kommunen identifiziert, in denen der Wohnungsmarkt besonders „angespannt“ sei. Neben Norderstedt gehören im Kreis Segeberg auch Kaltenkirchen, Henstedt-Ulzburg, Bad Bramstedt, Bad Segeberg und Ellerau dazu.

Um das Problem anzugehen, bekommen diese Kommunen drei neue Möglichkeiten: Sie können ein gemeindliches Vorkaufsrecht ausweiten, um brachliegende Grundstücke zu kaufen. Sie können für bestimmte Grundstücke auch sogenannte Baugebote zur Wohnbebauung aussprechen. Und sie können jetzt auch von bestehenden Bebauungsplänen abweichen, um eine größere Anzahl von Wohnungen zu realisieren.

„In Zeiten knappen Wohnraums kann es nicht sein, dass potenzielle Bauflächen brachliegen“

Andreas Breitner, Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), findet das gut: „In Zeiten knappen Wohnraums kann es nicht sein, dass potenzielle Bauflächen brachliegen.“ Jetzt seien „die Kommunen an der Reihe, rasch ihre erweiterte Handhabe für den Bau bezahlbarer Wohnungen zu nutzen“, so Breitner, dessen Verband mehr als 400 Wohnungsgenossenschaften und Wohnungsgesellschaften vertritt.

Einfach loslegen, also? Wie wird die Sache vor Ort in Norderstedt gesehen, einer Stadt, die oft als Beispiel genannt wird, wenn es um das Fehlen von genügend günstigen Wohnungen geht? Auf die Frage, ob es aus Sicht der Stadt brachliegende Grundstücke gebe, bei denen man nun ein Vorkaufsrecht nutzen könne, antwortet Stadtsprecher Bernd-Olaf Struppek mit einem schlichten „Nein“.

„Kenne keinen Fall in Norderstedt, wo ein Grundstück brachliegt“

Nicht viel anders wird das in der Politik gesehen. „Ich kenne keinen Fall in Norderstedt, wo ein Grundstück brachliegt“, sagt der CDU-Fraktionschef Peter Holle. Auch Marc Muckelberg, Vorsitzender der Grünen-Fraktion: „Es sind keine großen Flächen vorhanden, die brachliegen und nicht schon einer anderen Planung unterliegen.“

Ganz ähnliche Antworten geben Nicolai Steinhau-Kühl (SPD) und Tobias Mährlein (FDP). Grundstücke, bei denen das greifen könnte, sind ihnen nicht bekannt. Aber immerhin: „Wir wollen die Verwaltung jetzt beauftragen, das noch einmal zu prüfen“, so Peter Holle.

Baugebote? „So etwas würde rechtlich angefochten werden“

Was ist mit dem zweiten Instrument, den „Baugeboten“? Marc Muckelberg, dessen Partei immerhin in Kiel mitregiert, ist skeptisch. „So etwas würde rechtlich angefochten werden. Und man verscherzt es sich dann auch mit den Investoren.“

Peter Holle betont, dass in Norderstedt ohnehin in allen Bebauungsplänen „Realisierungsfristen“ vorgesehen seien, innerhalb derer der Investor auch bauen müsse. Das betont auch Stadtsprecher Bernd-Olaf Struppek: „Damit gewährleistet die Stadt schon heute, dass der Wohnungsbau zügig umgesetzt wird.“

Abweichen vom B-Plan: Verwaltung will auch künftig zusammen mit Politik entscheiden

Bleiben Gebiete, für die es gar keinen Bebauungsplan gibt. Können hier Eigentümer per „Gebot“ zum Bauen von Wohnungen gebracht, also letztlich dazu gezwungen werden? Nicolai Steinhau-Kühl klingt auch hier skeptisch. „Wir müssten erst einmal schauen, wo das geht. Es müsste eine Einzelfallprüfung geben. Wie uns so etwas hilft, kann ich an der Stelle nicht einschätzen.“

Bleibt das dritte Instrument, das Abweichen von Bebauungsplänen. Theoretisch könnte die Verwaltung nach der bald geltenden Gesetzeslage so etwas sogar allein entscheiden, um mehr Wohnungen zu schaffen. Wie es heißt, hat die Verwaltung aber signalisiert, solche Dinge auch künftig zusammen mit der Politik zu entscheiden.

SPD-Politiker: „Einfach größer bauen, da fühlen die Bürger sich veralbert“

Und hier gibt es starke Vorbehalte dagegen, zu stark von B-Plänen abzuweichen. „Ein Bebauungsplan ist ja immer ein Kompromiss zwischen dem, was ein Investor möchte, und den Interessen und Einwendungen der Anwohner“, sagt Nicolai Steinhau-Kühl. Den könne man nicht mal so einfach ändern: „So etwas muss man vorsichtig angehen. Einfach größer bauen, da fühlen sich die Bürger veralbert.“

Auch Marc Muckelberg ist bei solchen Änderungen vorsichtig: „Es muss sich einfügen, der soziale Friede darf nicht gefährdet sein“, sagt er. Und Tobias Mährlein betont: „Bei solchen Dingen muss es Absprachen mit den Anwohnern geben.“

Grünen-Fraktionschef: „Denke, kurzfristig hat das keine Auswirkungen“

Peter Holle bezeichnet es als „interessante Möglichkeit“, im Einzelfall etwas vom bestehenden B-Plan abzuweichen, sagt aber auch: „Es darf nicht plötzlich ein großer Klotz neben Einzelhäuser gebaut werden.“

Unter dem Strich dürfte das „Baulandmobilisierungsgesetz“ in Norderstedt erst einmal wenig spürbare Auswirkungen haben. So sieht es auch Marc Muckelberg: „Ich denke, kurzfristig hat das keine Auswirkungen“, sagt er offen. Noch deutlicher wird Tobias Mährlein: „Für Norderstedt bringt das nichts, glaube ich.“ Nicolai Steinhau-Kühl bezeichnet das Gesetz als „Versuch, dass man mehr bauen kann“, nun müsse man erst einmal „Wissen zusammenfassen“, ob es vor Ort etwas bringen kann.

Hauptproblem: Finanzielle Situation, hohe Kosten für Handwerker und Baustoffe

Den Grund dafür, dass aktuell wenig gebaut wird, sieht er aber weniger im fehlenden Bauland. Sondern darin, dass sich „viele Bauunternehmen wegen der derzeitigen finanziellen Situation zurückhalten“. Ähnlich sieht es Marc Muckelberg: „Das Problem sind die hohen Kosten für Handwerker und Rohstoffe.“ Auch Tobias Mährlein sagt: „Wenn im Moment irgendwo nicht losgelegt wird, dann liegt das an den Kosten.“

Wie aber soll dann das offenkundige Problem gelöst werden, dass es zu wenige günstige Wohnungen in Norderstedt gibt? SPD und Grüne in Norderstedt haben durchaus einen Plan, den sie gern in die Tat umsetzen würden – aber der geht in eine ganz andere Richtung als das Gesetz aus Kiel und ist vor Ort auch umstritten.

Hier sind gerade 133 Mietwohnungen entstanden: Bauprojekt
Hier sind gerade 133 Mietwohnungen entstanden: Bauprojekt "Frederike" in Norderstedt. Allerdings sind schon viele Objekte vergeben.  © FMG | Claas Greite

Ein Ausweg? SPD und Grüne möchten städtische Wohnungsbaugellschaft gründen

Die Rede ist von der Gründung einer eigenen, städtischen Wohnungsbaugesellschaft. „Aus unserer Sicht würde sie als Baustein dazugehören, um zusammen mit den örtlichen Unternehmen das Problem anzugehen“, sagt Nicolai Steinhau-Kühl. So eine Gesellschaft könne „anders kalkulieren, muss nicht so eine hohe Rendite erwirtschaften wie private Unternehmen“.

Nur: In Norderstedt gibt es aktuell keine Mehrheit für so ein Vorhaben. „Wir als CDU sind klar dagegen“, sagt Peter Holle, für die FDP betont das auch Tobias Mährlein. Zur Begründung sagt Peter Holle: „Wohnungsbau ist eine Aufgabe, die weiterhin in die freie Wirtschaft gehört. Wir sehen es nicht als Aufgabe der Kommune an, Häuser zu bauen.“

Norderstedt: „Fehlbelegungsquote“ bei geförderten Wohnungen thematisieren

Holle betont, dass die Stadt ohnehin schon sehr viel unternehme, etwa mit der Maßgabe, dass bei Neubauten 50 Prozent geförderte Wohnungen realisiert werden müssen. Er führt aber auch ins Feld, dass es bei diesen Wohnungen eine „hohe Fehlbelegungsquote“ gebe. Also Fälle, in denen es Bewohnern mittlerweile finanziell so gut geht, dass sie eigentlich nicht mehr das Anrecht auf die staatlich festgeschriebene, niedrige Miete hätten und theoretisch anderen Platz machen müssten.

Laut Schätzungen, so Holle, liege diese Quote „bei 54 Prozent“. Im Zusammenhang mit dem Thema Knappheit bei günstigen Wohnungen sei das „ein Punkt, über den man auch einmal sprechen müsste“, sagt der Politiker.

Dass sich das Problem Wohnungsknappheit in Norderstedt je ganz besiegen lässt, glaubt Holle ohnehin nicht: „Der Druck aus Hamburg wird immer da sein.“ Ähnlich klingt Nicolai Steinhau-Kühl: „Komplett werden wir die Wohnungsprobleme nie lösen können.“