Norderstedt. Nachdem Sören Rickert eine Gasnachzahlung nicht begleichen konnte, wurde ihm fristlos gekündigt. Auch die Stadtwerke halfen nicht.

Immer mehr Firmen in der Region geraten durch die hohen Energiepreise in eine existenzbedrohende Situation. Eine von ihnen ist das kleine Unternehmen ROT in Norderstedt, tätig im Bereich der Metallveredelung. Die Firma, schon angeschlagen durch zwei Jahre Corona-Krise, konnte in diesem Sommer eine Gasnachzahlung nicht mehr bezahlen. Der Vertrag wurde fristlos gekündigt, auch für den Strom.

Die Firma wollte zum Grundversorger wechseln – den Stadtwerken Norderstedt. Doch die wollten das kleine Unternehmen nicht beliefern. Gas- und Stromzufuhr wurden schließlich komplett abgestellt. Weil die Firma ROT zu ungewöhnlichen Maßnahmen griff und auch Hilfe von unerwarteter Seite bekam, kann das kleine Unternehmen den Betrieb derzeit aufrecht erhalten.

Energiekrise: Strom und Gas abgeklemmt – kleine Firma bangt um Existenz

Firmeninhaber Sönke Rickert führt seinen Gast in die Werkshalle. „Hier veredeln wir Maschinenbauteile, für größere und kleinere Kunden aus der Industrie. Teile werden von uns vernickelt, verzinkt oder verchromt, oder durch andere Prozesse geschickt“, sagt der 52-Jährige. Er gründete das Unternehmen, das mit vollem Namen „Rickert Oberflächentechnik e. K.“ heißt, im Jahr 2006 an diesem Ort. Doch die Pandemie und dann die Energiekrise brachten die Firma in schweres Fahrwasser.

„2019 hatte ich noch acht Angestellte. Jetzt sind es noch zwei. Und die arbeiten auch nur in Teilzeit“, sagt Rickert. Wie es dazu kam, schildert Rickerts Lebenspartnerin Petra Gebhardt, die auch bei ROT arbeitet und dort unter anderem für die Buchhaltung zuständig ist. „Während der Pandemie hatten wir einen Umsatzrückgang von 50 bis 60 Prozent. Man konnte einfach nicht mehr kalkulieren, weil überall die Produktion einbrach.“

„Die Nachzahlung konnte ich nicht bezahlen. Da wurde mir fristlos gekündigt.“

2021 stiegen dann plötzlich die Energiepreise. „Im Dezember waren die Gaspreise plötzlich doppelt so hoch wie noch im September. Und die Strompreise kletterten auch in die Höhe“, schildert die 54-Jährige. Sönke Rickert weiter: „Dann war unser Energieversorger insolvent. Wir sind dann zu einem neuen Unternehmen gewechselt. Aber da stiegen die Preise jeden Monat.“

Schließlich habe er eine Nachzahlung für die Gaslieferungen bekommen, in Höhe von 6000 Euro. „Das konnte ich nicht bezahlen. Und dann haben die mir fristlos den Gas- und auch den Stromvertrag gekündigt“, so Sönke Rickert.

Sein erster Gedanke war, zum Grundversorger zu wechseln – den Stadtwerken Norderstedt. Doch das Unternehmen weigerte sich, ROT per Vertrag mit Strom oder Gas zu beliefern. Die Stadtwerke wollten nur für eine Woche Strom liefern – und auch nur gegen Vorkasse. Weil sich auch kein anderer Versorger bereit fand, ROT zu beliefern, sollte danach die Strom- und Gaszufuhr abgestellt werden. „Wir haben die Norderstedter Stadtwerke regelrecht angebettelt, uns zu beliefern. Aber es half nichts. Uns wurde gesagt, wir sollen von weiteren Anfragen abzusehen“, sagt Petra Gebhardt.

Warum die Stadtwerke Norderstedt die Firma nicht als Kunden annahmen

Warum nahmen die Stadtwerke das notleidende Unternehmen nicht als Kunden an? Sprecher Oliver Weiß verweist dazu auf die Gesetzeslage. Das Unternehmen wird über einen Mittelspannungsanschluss mit registrierender Leistungsmessung mit Strom versorgt und unterliegt damit nicht den Regelungen der Grundversorgung, wie sie für Haushalte gelten. Faktisch bedeutet das, dass Privathaushalte prinzipiell versorgt werden müssen, das Unternehmen aber nicht. Ähnliches gilt für den Gas-Sektor.

Dennoch hätten die Stadtwerke natürlich trotzdem einen Vertrag mit ROT abschließen können. Warum das verwehrt wurde, beantwortet Oliver Weiß so: „Der Grundversorger vor Ort kann die Energiebelieferung ablehnen, wenn es für ihn aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar ist.“

Und warum kam es zu der kurzzeitigen Belieferung gegen Vorkasse? „Das war eine unternehmensinterne Entscheidung, um dem Unternehmen auf der Suche nach einem Energielieferanten zumindest vorübergehend die Belieferung mit elektrischer Energie zu ermöglichen“, sagt Oliver Weiß.

Sönke Rickert bekam Hilfe – von der Konkurrenz aus Lübeck

Gerade die elektrische Energie ist wichtig für ROT, da daran die Produktion hängt. Aber nach der einen Woche erschienen Mitarbeiter der Stadtwerke und klemmten die Stromzufuhr ab. „Ich konnte nichts mehr produzieren. Eigentlich wäre das mein Ruin gewesen“, sagt Sönke Rickert.

Doch er hatte unerwartetes Glück. Er bekam Hilfe - von der Konkurrenz. Der Geschäftsführer eines Lübecker Unternehmens, der Harry Maass Galvano- und Härtetechnik GmbH, hörte von Rickerts Notlage und bot ihm an, die Aufträge kostenlos in seinen Werkshallen fertigzustellen. „Das hat uns gerettet“, sagt Rickert.

Für das Energieproblem bahnte sich eine ungewöhnliche Lösung an

Zwei Wochen lang fuhr Sönke Rickert jeden Morgen nach Lübeck, mit einem Lieferwagen voller Metallteile. In der Zwischenzeit bahnte sich eine Lösung für das Energieproblem an. „Ein Freund erzählte mir davon, dass man Generatoren zur Stromerzeugung auch mieten kann“, sagt Rickert. Er kontaktierte die Firma Bredenoord – das niederländische Unternehmen verleiht Aggregate zur Stromversorgung und hat auch eine Niederlassung in Hamburg.

Sönke Rickert behilft sich aktuell mit einem geliehenen Generator zur Stromerzeugung.
Sönke Rickert behilft sich aktuell mit einem geliehenen Generator zur Stromerzeugung. © FMG | Claas Greite

Hinter der ROT-Werkshalle steht nun ein großer, transportabler Container – darin brummt ein Dieselmotor, der seit einiger Zeit den kompletten Strom für das Unternehmen liefert. Sönke Rickert ist regelrecht begeistert von dem System: „Der läuft wie ‘ne Eins und liefert genug Strom für die gesamte Produktion.“ Und der sei, die Leihgebühr und das Dieselöl eingerechnet, immer noch „viel billiger“ als Strom zu den aktuellen Tarifen der Versorger. Rickert möchte bei dem Prinzip bleiben und nun einen gebrauchten Generator erwerben, damit er künftig selbst seinen Strom erzeugen kann.

Und das ist er: der Dieselmotor, der aktuell die Produktion aufrecht erhält.
Und das ist er: der Dieselmotor, der aktuell die Produktion aufrecht erhält. © FMG | Claas Greite

Wie es der Firma jetzt geht? „Ich kann sie auf diese Weise über Wasser halten“, sagt Sönke Rickert. Die Gas-Nachzahlung an seinen alten Versorger konnte er noch immer nicht begleichen. Und in den Büros und Aufenthaltsräumen stehen Heizlüfter, weil die Heizungen kalt sind. Aber es gibt eine Perspektive. „Wir haben aktuell 40 Kunden. Und die Nachfrage ist da, zumal andere Unternehmen aus unserer Branche in den letzten Monaten aufgegeben haben“, sagt Rickert.

Energiekrise – Aufgeben ist keine Option: "Das ist meine Existenz"

Die Firma aufgeben, als Angestellte bei einem größeren Betrieb anfangen – Sönke Rickert und Petra Gebhardt könnten das machen, Angebote gab es. „Und vielleicht wäre das Leben dann auch einfacher“, sagt Sönke Rickert.

Eine Option ist das für ihn aber nicht. „Das hier ist meine Existenz. Das habe ich mir aufgebaut und will es nicht aufgeben!“, sagt er. Und so kämpfen die beiden weiter. „Manchmal fühlen wir uns von der Politik allerdings ein bisschen alleingelassen“, betont Petra Gebhardt noch. „Man hört Worte wie Doppel-Wumms und es ist von Hilfspaketen und Preisbremsen die Rede. Aber es wäre gut, wenn auch mal etwas davon ankommt.“