Norderstedt. FDP, Linke und Freie Wähler in Norderstedt werfen der Landesregierung vor, einen Anschlag auf die Demokratie zu planen.
Die einen sprechen von einem Anschlag auf die Demokratie. Die anderen von einer notwendigen Reform, um Entscheidungsprozesse in Kommunalparlamenten effektiver und für die ehrenamtliche Politik zumutbarer zu machen.
Die Kieler Regierungskoalition plant, die Mindestgröße für Fraktionen in größeren Gemeindevertretungen und Kreistagen hochzusetzen, um eine Zersplitterung in Grüppchen zu verhindern. Künftig sollen Kommunen mit Gemeindevertretungen von 31 oder mehr Mitgliedern selbst entscheiden dürfen, ob Fraktionsstatus schon ab zwei oder erst ab drei Menschen besteht. Die geplanten Änderungen sollen schon für die kommende Kommunalwahl am 14. Mai 2023 gelten.
Kommunalpolitik: „Machtpolitische Spielchen“: Aufstand der kleinen Fraktionen
„Gerade in Städten mit mehreren Kleinstfraktionen dauern – ausgelöst durch eine Vielzahl zu behandelnder Anträge und Wortbeiträge – Sitzungen oft bis in die späten Abendstunden.“ Das belaste die ehrenamtlichen Mandatsträger erheblich, argumentiert Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack.
In Norderstedt ist die Stadtvertretung mittlerweile auf acht Fraktionen angewachsen. Und gleich vier davon bestehen aus nur zwei Stadtvertretern: FDP, Freie Wähler, Die Linke und die AfD. Sie alle könnten also wichtige parlamentarische Privilegien verlieren, falls der Gesetzentwurf der Landesregierung beschlossen wird und sich in der Stadtvertretung Norderstedt eine Mehrheit findet für die Veränderung des Fraktionsstatus.
CDU und Grüne planten ein „undemokratisches Vorhaben“
Die Fraktionen von FDP, Die Linke und Freie Wähler haben sich nun zusammengetan und eine Resolution gegen die Änderung der Gemeindeordnung formuliert. Sie wollen diese in der Sitzung der Stadtvertretung am Dienstag, 1. November, zum Beschluss vorlegen – und sie hoffen, dass eine Mehrheit des Parlamentes sie unterstützt, auch die Fraktionen von CDU und Grünen.
„Das ist ein echter Anschlag auf die Demokratie in unseren Kommunalparlamenten. Hier findet Demokratieabbau statt“, teilen die drei Fraktionsvorsitzenden Tobias Mährlein (FDP), Miro Berbig (Die Linke) und Thomas Thedens (Freie Wähler) mit. „Fraktionen sind ein wichtiges Instrument der politischen Teilhabe und der Repräsentation des demokratischen Bürgerwillens.“ Die drei fordern die Landesregierung auf, von dem „undemokratischen Vorhaben“ abzurücken.
Fraktionsstatus sichert politische Gestaltungsmacht in den Ausschüssen
Was genau der Verlust des Fraktionsstatus bedeutet, das umreißt Miro Berbig (Die Linke). Zum einen sei da der Verlust der Infrastruktur. Ohne Fraktionsstatus gibt es kein Büro für die politische Arbeit im Rathaus. Es werde auch keine Fraktionssekretärin oder -sekretär mehr finanziert (1500 Euro netto/Monat). Außerdem fielen 1400 Euro jährlich an Zuwendungen der Stadt weg, für Fortbildungen, Medien und fraktionsinterne Ausgaben.
„Doch viel gravierender ist der Verlust des Stimmrechtes in den politischen Fachausschüssen“, sagt Berbig. Denn dort werde die eigentliche Arbeit der Kommunalpolitik geleistet. „Ohne Fraktionsstatus hat man auch kein Recht, im Aufsichtsrat der städtischen Gesellschaften zu sitzen. Und man kann keine bürgerlichen Mitglieder benennen, die für die Partei in den Gremien mitarbeiten.“ Der enorme Arbeitsaufwand der ehrenamtlichen Politik sei aber als Zweierteam kaum zu schaffen.
Acht Fraktionen – die Stadtvertretung sei trotzdem nicht langsamer
Tobias Mährlein (FDP) mag die Argumente von CDU und Grünen in Kiel für den Plan für Norderstedt nicht gelten lassen. „Es ist hier nicht so, dass Entscheidungsprozesse durch acht Fraktionen in der Stadtvertretung langsamer wären oder dass wir bis in die Puppen tagen müssen.“ Mammutsitzungen, etwa bei den Haushaltsberatungen, gehörten in Norderstedt der Vergangenheit an. „Heute wird in den Ausschüssen gute Vorarbeit geleistet.“
Natürlich sei die Meinungsbildung und Mehrheitsfindung mit acht Fraktionen schwieriger geworden, sagt Miro Berbig. „Aber das ist ein allgemeiner politischer Trend. Das muss man aushalten in der Demokratie. Im Übrigen hängt auch viel von den handelnden Personen ab.“ Es gebe große, aber schlecht organisierte Fraktionen. Und kleine, effektiv aufgestellte. Die Größe sei letztlich nicht entscheidend. Außerdem hänge viel davon ab, wie gut eine Verwaltung die Zusammenarbeit mit der Politik pflege – oder eben nicht.
Nachwuchs für kleine Parteien kaum noch zu begeistern
Beide Fraktionsvorsitzenden fragen sich außerdem, wie man Nachwuchs für die kommunalpolitische Arbeit gewinnen soll, wenn man ihnen als kleine Fraktion noch nicht mal die bürgerliche Mitarbeit anbieten könne. Es sei schwer geworden, Kandidatinnen und Kandidaten für die Kommunalwahl zu finden. „Da mutet es sehr merkwürdig an, dass gerade zu diesem Zeitpunkt CDU und Grüne in diesem Land auf die Idee kommen, den Menschen, die sich aktiv an der Demokratie beteiligen wollen, bei ihrer Tätigkeit in den Gemeindevertretungen Rechte abzusprechen.“
CDU und Grünen werfen Berbig, Mährlein und Thedens „die blanke Ausübung von Macht“ vor. „Diese Art von machtpolitischen Spielchen schaden der Demokratie enorm. Und bei der Abstimmung über unsere Resolution in der Stadtvertretung am 1. November wird es sehr interessant sein, zu beobachten, ob CDU und Grüne in Norderstedt bereit sind, freiwillig auf Macht zu verzichten“, sagt Tobias Mährlein.
Kommunalpolitik: Grüne zeigen ihre „Doppelmoral“
Besonders die „Doppelmoral“ von Bündnis 90/Die Grünen sei sehr beachtlich. „Waren sie es doch, die seinerzeit zusammen mit der Partei Die Linke die 5-Prozent-Hürde auf kommunaler Ebene in Schleswig-Holstein vor dem Bundesverfassungsgericht beklagt hatten und dort im Jahre 2006 auch Recht bekommen hatten“, sagt Miro Berbig. „Jetzt, wo die Grünen sich in höheren Prozentebenen befinden, wollen sie durch die Hintertür für Fraktionen eine 6- bis 7-Prozent-Hürde einführen. Würden sie das wohl auch noch fordern, wenn sie selber davon betroffen wären?“
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Selbstverständlich nicht, denkt auch Sven Wendorf von der AfD. Zwar hat ihn keiner der anderen Fraktionen gefragt – aber er unterstützt die Resolution. „Gerade auf kommunaler Ebene sollte im Sinne der demokratischen Teilhabe eine starke Bürgerbeteiligung gewährleistet sein. Wählervereinigungen und kleine Parteien müssen auch eine Chance erhalten, das Leben in ihren Kommunen mitzugestalten; dazu gehört die Mitarbeit in Ausschüssen und Arbeitskreisen, der damit verbundene Informationsfluss sowie natürlich auch die personelle und finanzielle Ausstattung der Fraktionen.“
Miro Berbig mahnt jene, die am Fraktionsstatus rütteln, an eine mögliche weitere Folge bei einer Veränderung zu denken. „Es könnte dazu kommen, dass sich kleine Fraktionen auf kommunaler Ebene zu Wählergemeinschaften zusammenschließen.“ Entstehen würde so Fraktionen „von beachtlicher Stärke“, die aber aufgrund ihrer politischen Diversität kaum noch berechenbar für die übrigen Fraktionen seien. Dann werde die Mehrheitsfindung im Zweifel noch schwieriger und langwieriger.