Norderstedt. Alle Unterkünfte sind belegt. Doch wöchentlich kommen neue Menschen. Verwaltung steht vor unangenehmen Entscheidungen.
Es ist fast genau ein halbes Jahr her, dass Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder und Sozialdezernentin Katrin Schmieder schon einmal in dieser Form zur Pressekonferenz ins Rathaus geladen hatten. Mit ernsten Gesichtern, unter dem Eindruck des damals erst wenige Wochen andauernden russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Jetzt, im Herbst, ist ein Ende der Kämpfe nicht in Sicht, die völkerrechtswidrige Annexion von vier ukrainischen Gebieten verschärft die Situation.
Auch für die Menschen, die aus dem osteuropäischen Land geflohen sind oder fliehen müssen. Für Norderstedt, wie für viele andere Städte und Gemeinden, ist die Herausforderung weiterhin immens: Die große, auch menschliche, Bereitschaft, die Vertriebenen aufzunehmen, trifft auf immer geringere Kapazitäten.
Flüchtlinge: Norderstedt kommt an seine Grenzen – Sporthalle als Lösung?
Elke Christina Roeder beschönigt da nichts. „Wir sind voll“, das habe sie auch der Landesregierung gesagt. „Es sind mehr Menschen als 2015.“ Sie konkretisiert: „Es ist mitnichten so, dass nur Menschen aus der Ukraine als Geflüchtete in unsere Stadt kommen. Denken Sie an die Ortskräfte aus Afghanistan. Oder die Menschen aus den anderen Krisengebieten in der Welt.“
Ungefähr 2100 Menschen, Kriegsflüchtlinge oder Asylbewerber aus anderen Gründen, sind derzeit in Norderstedt. Davon sind rund 800 aus der Ukraine – aber 500 leben in privaten Unterkünften, bei Familienangehörigen, Freunden oder anderen Bürgern, die sich schon vor Monaten dazu bereit erklärten, Wohnungen oder Häuser zu vermieten. Auch jetzt gibt es noch regelmäßig Immobilienbesitzer, die sich im Rathaus melden und Wohnraum anbieten.
„Aber in jeder Woche kommen 20 bis 50 neue Menschen, die wir zugewiesen bekommen und die wir unterbringen müssen“, so die Oberbürgermeisterin. Und das wird immer komplizierter. „Die Situation ist einmalig für Norderstedt“, sagt Katrin Schmieder. „Wir verspüren den Druck. Ein Hotel haben wir vollständig belegt, wir sind dabei, ein weiteres anzumieten.“
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Anfang dieser Woche gab es 85 freie Plätze – weil in den Unterkünften zusammengerückt wird. „Nachverdichtung“, nennt das Schmieder etwas technisch. Unter Hochdruck werden weitere Lösungen gesucht – und auch gefunden. Die Adlershorst-Wohnungen am Harksheider Markt stehen solange zur Verfügung, bis dort der Abriss beginnt. Vielleicht also auch noch im Frühjahr 2023. Der Neubau des „Norderstedter Modells“ neben der Feuerwache Friedrichsgabe ist quasi fertig – der erste Mietvertrag soll an diesem Wochenende unterzeichnet werden.
Hier wurden im Auftrag der Entwicklungsgesellschaft 26 geförderte Wohnungen geschaffen – zur Hälfte für Geflüchtete, zur Hälfte für andere Gruppen, die es aus vielerlei Gründen schwer haben, auf dem Wohnungsmarkt fündig zu werden. Ein zweites „NoMo“ mit 38 Wohnungen entsteht im Garstedter Dreieck, wird aber erst 2023 fertig sein.
An mehreren Standorten gibt es Containerbauten – oder sie werden errichtet
Am Aurikelstieg wurden im Frühjahr zwei sogenannte „Mobilbauten“ in Betrieb genommen (für rund 40 Personen). Vier weitere werden derzeit am Harkshörner Weg/Kringelkrugweg gebaut (für rund 80 Menschen), die ersten zwei Gebäude sollen noch in diesem Jahr bezugsfertig sein. Neben der bestehenden Unterkunft an der Lawaetzstraße ist eine Fläche für ebenso vier Container vorgesehen – hier müssen zunächst Bodenarbeiten stattfinden.
Die wegen ihres schlechten Zustandes eigentlich nicht mehr gewollte Unterkunft in der ehemaligen Schule Fadens Tannen kann in dieser Zeit nicht geschlossen werden. „Wir brauchen diese Räumlichkeiten dringendst“, so Elke Christina Roeder.
Reicht das? Die ernüchternde Erkenntnis: eher nicht. Und so bereiten Roeder und Schmieder die Bevölkerung auf eine Entscheidung vor, die im Frühjahr noch vermieden konnte: die Belegung einer Sporthalle des Schulzentrums Süd. Hier waren seinerzeit bereits Betten aufgestellt worden, ehe sich die Lage zeitweise entspannte. Man sei kurz davor, diese Notlösung zu aktivieren. „Das schlägt mir auf den Magen“, so Elke Christina Roeder.
Eine Sporthalle des Schulzentrums Süd könnte als Not-Unterkunft dienen
Das würde Einschränkungen für den Schulsport und die Sportvereine bedeuten. „Wir sind beiden Schulleitern im Schulzentrum Süd sehr dankbar, dass sie es so mitmachen. Das empfinde ich als Luxus.“ Was dort möglich ist, lässt sich aber nicht auf andere Hallen übertragen, da hier teilweise die infrastrukturellen Voraussetzungen nicht optimal sind.
Denn wer hier wohnt – ob nun für zwei, drei Tage oder gezwungenermaßen etwas länger, benötigt angemessene sanitäre Einrichtungen, Aufenthaltsbereiche und Speiseräume. Dass weiterhin nicht geklärt ist, ob und wie Kommunen bei der Vollverpflegung finanziell unterstützt werden, ärgert die Stadt.
Norderstedt fordert: Die Landesunterkünfte müssen wieder geöffnet werden
Und nicht nur das. Elke Christina Roeder wiederholt öffentlich, was mehrfach schon auf anderen Kanälen gesagt wurde. „Ich würde mich freuen, wenn das Land seine großen Landesunterkünfte, die ja vorhanden sind, wieder aufmacht, um Menschen würdig unterzubringen.“ Sie verweist auch auf die leerstehende frühere Klinik in Borstel, die vom Kreis über Monate genutzt worden war.
Personell wird im Rathaus Verstärkung gesucht. Im Personalplan des beschlossenen Nachtragshaushalts ist eine zweite Stelle im Stab der Integrationsbeauftragten Heide Kröger enthalten, die nun ausgeschrieben wird. Trotzdem bereitet man sich auf weitere schwierige Monate vor. Elke Christina Roeder macht sich keine Illusionen. „Es kommt jetzt die kalte Jahreszeit. Die größten Flüchtlingsströme kommen erfahrungsgemäß im Winter.“