Norderstedt. Abendblatt-Artikel zum Verkehr in der Stadt sorgt für breite Diskussion. Dabei überschritten manche die Grenze zur Hetze.

Tempo 30, flächendeckend in Norderstedt – eine Idee, die keine Autofahrerin und keinen Autofahrer kalt lässt. Und die bei manchen sogar wirkt, wie das rotes Tuch auf den Stier in der Arena.

Im Abendblatt berichteten wir über die Ortsgruppe des Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND). Die Umweltaktivisten hatten im Ausschuss für Stadtentwicklung und Verkehr die Stadt und die Politik dazu aufgefordert, der kommunalen Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ beizutreten.

Verkehr: „Ja zu Tempo 30 in Norderstedt – aber pro Achse!“

Tempo 30 gilt aus Lärmschutzgründen heute schon auf einem Teil der Poppenbüttleler Straße in Norderstedt.
Tempo 30 gilt aus Lärmschutzgründen heute schon auf einem Teil der Poppenbüttleler Straße in Norderstedt. © Wolfgang Klietz

Der gehören schon über 260 Gemeinden und Städte in Deutschland an. Ziel ist es, dass Kommunen selbst entscheiden können, wo sie in ihren Stadtgrenzen Tempo 30 einrichten können. Und dass nicht mehr, wie bisher, Bund oder Land das Begehren abnicken müssen.

So weit, so gut. Der BUND äußerte allerdings in diesem Zusammenhang auch die Auffassung, wonach Tempo 30 in allen Wohngebieten und am besten flächendeckend in der Stadt eingeführt werden sollte, auch auf den Hauptverkehrsachsen. Wobei bezweifelt wurde, ob das jemals umsetzbar sein werde.

Wie begründet die Zweifel sind, zeigte sich in den Reaktionen auf den Artikel. Das Abendblatt hatte gefragt: Auf welchen Straßen in Norderstedt sollte Tempo-30 gelten? Und auf welchen Straßen auf keinen Fall?

Norderstedt: Verkehrsfluss und mehr Parkplätze seien viel wichtiger

Abendblatt-Leser Helmut Böschen antwortete, dass er „eine flächendeckende Tempo-30-Zone in Norderstedt“ für unsinnig halte. „In Norderstedt gibt es bereits in und an den erforderlichen Straßen und Stellen wie Kita, Schulen und Seniorenheimen ausreichend 30er Zonen“ Außerdem gebe es eine ausreichende Verkehrsüberwachung. Das Problem im Norderstedter Verkehr sei ein anderes: der Verkehrsfluss müsse besser werden. „Ferner sind mancherorts nicht ausreichend Stellplätze für Autos vorhanden!“

Leserin Doris Mir Ghaffari hält Tempo 50 für die angemessene Geschwindigkeit in den Städten. In Bezug auf den BUND befindet sie: „Wir haben es hier mit Machtfantasien politischer Aktivisten zu tun, die aus ideologischen Gründen versuchen, die Mobilität der Bevölkerung einzuschränken und ihr das Leben noch schwerer zu machen.“

Tempo 30? Einfach Zäune vor Schulen und Altenheimen bauen

Die Radarsäule überwacht die Tempo-30-Zone vor de Schule an der Niendorfer Straße in Garstedt.
Die Radarsäule überwacht die Tempo-30-Zone vor de Schule an der Niendorfer Straße in Garstedt. © Christopher Herbst

Leser Rainer Bolz macht aus seiner Ablehnung jedweder Verlangsamung des Verkehrs in der Stadt keinen Hehl. „Wenn Kinder oder cerebral Eingetrübte die Verkehrslage nicht richtig einschätzen können: Es besteht die Möglichkeit, Zäune vor jeder Schule, Altenheimen, Krankenhäusern aufzubauen!!! Wir benötigen besser ausgebaute Straßen und kostenfreie Parkplätze, eine Fahrradsteuer für Radwege mit einer Zwangshaftpflichtversicherung. Sollen etwa 80 jährige noch mit dem Rad fahren? Tempo 30 Ja, aber nur pro Achse.“

Auf Nachfrage ergänzt er, dass ein physikalisches Gesetz besage: wenn der Durchfluss vergrößert werden soll, muss der Querschnitt vergrößert werden. „Übertragen Sie das jetzt einmal auf unser Verkehrschaos. Der Mittelstand wird durch linksgrün verblendetere Verkehrspolitik behindert. Ist eigentlich bekannt, dass viele Unternehmen ihre Kalkulationen so gestalten, dass gut 1000 Euro für Mitarbeiter an Bußgeldern jährlich zu entrichten sind? Somit zahlt jeder Gutmensch der Waren einkauft, inklusive mäßig bezahlte Beamte, letztlich unsere Strafmandate mit.“

Flächendeckende Tempo 30, weil es zu viele Raser gibt? „Geistiger Kreisverkehr!“

In der öffentlichen Norderstedter Facebook-Gruppe „Wir, mein Norderstedt“ entfesselte sich eine lebhafte Diskussion mit über 100 Kommentaren, nachdem jemand den Link zum Abendblatt-Artikel gesendet hatte. Dabei überschritten allerdings einige Kommentierende die Grenzen des guten Geschmacks, manche sogar jene zur Hetze.

„Was für eine bekloppte Idee! Habt ihr keine anderen Probleme? Kümmert euch lieber um erneuerbare Energie! Wer will sich da wieder eine goldene Statue bauen? Genau so idiotische Idee wie der Boulevard in der Ulzburger Straße!“, schrieb eine Frau.

„Die Umweltverbände gehören verboten“

Ein Mann äußerte: „Als Argument für flächendeckende 30 km/h-Zone wird angeführt, dass schon jetzt nachts mit 70 oder 80 Sachen auf der Ulze rumgebrettert! wird. Mit so einer Forderung und Begründung an die Öffentlichkeit zu treten, ist ja geistiger Kreisverkehr.“

Unsachliche und beleidigende Kommentare gab es ebenso: „Das können sich nur die scheiß Grünen ausdenken. Sorgen eh nur für Chaos und machen das Land kaputt“, äußerte ein Mann.

Norderstedt: Frau sieht Waffengewalt als Lösung des Problems

Ein anderer: „Vielleicht sollten diese Dummköpfe ihre Entscheidungen mal vorher überlegen und nicht immer diesen grünen Ideen hinterherlaufen. Man sollte die gesamten Umweltverbände (diese sogenannten Weltverbesserer) verbieten. Die zerstören uns.“

Noch heftiger trieb es eine Frau auf die Spitze. Sie habe im Abendblatt-Artikel eine „Werbung für die Lösung des Problems“ entdeckt. Dazu postete sie mehrere lachende Smileys. Im Online-Artikel war eine Anzeige für die Online-Beantragung des kleinen Waffenscheins montiert.

Abendblatt-Leser signalisieren auch Zustimmung für die Idee

2018: Norderstedts Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder hängt gemeinsam mit einem Mitarbeiter des Betriebsamtes auf der Poppenbütteler Straße eine Beschränkung der Tempo-30-Zone auf 22 bis 6 Uhr auf.
2018: Norderstedts Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder hängt gemeinsam mit einem Mitarbeiter des Betriebsamtes auf der Poppenbütteler Straße eine Beschränkung der Tempo-30-Zone auf 22 bis 6 Uhr auf. © Burgmayer

Sachlich blieb ein anderer Norderstedter: „Durch Tempo 30 auf den Hauptverkehrsadern des innerstädtischen Straßennetzes erhöhen sich die Reisezeiten erheblich, insbesondere zu verkehrsarmen Zeiten, wie sonn-, feiertags und auch nachts. Dadurch verlieren sie ihre Attraktivität.“

Von den Abendblatt-Lesern gab es allerdings auch Zustimmung für die Forderung, mehr Tempo-30-Zonen einzurichten. „Ich bin sowohl mit dem Auto, mit dem Fahrrad und zu Fuß in Norderstedt unterwegs. Ich bin für flächendeckendes Tempo 30 in Norderstedt. Aber insbesondere in Bereichen wo Kinder unterwegs sind ist diese Maßnahme überfällig“, schreibt Leser Michael Gotthardt.

Fußgänger und Radfahrer müssen sich in Norderstedt „hinten anstellen“

„Auf der Segeberger Chaussee wird morgens häufig viel zu schnell gefahren, bei Rot über die Ampeln ist keine Seltenheit. Fußgängerampeln gibt es hier kaum. Und die, die da sind, schalten sehr langsam. Als Fußgänger, als Radfahrer und als Vater von Schulkindern eine Zumutung.“ In Norderstedt habe man das Gefühl, dass Autos vor allem kämen und Fußgänger und Radfahrer sich hinten anstellen müssten. Gotthardt: „Tempo 30 wäre ein erster Schritt, eine andere Denkweise zu fördern und die Stadt lebenswerter zu gestalten.“

Einen Kompromiss schlägt Leser Jochen Plambeck vor: „Deutschlandweit Tempo 40 in allen geschlossenen Ortschaften. Ohne jede Ausnahme. Da könnten alle mitgehen, von den Ökos bis zum ADAC und der FDP.“ Dem Umweltschutz wäre gedient, der Lärm würde geringer, schreibt Plambeck. „Man bräuchte keine Schilder mehr aufzustellen. Der Kfz-Verkehr würde trotzdem noch fließen und HVV-Busse müssten nicht mehr hinter Fahrrädern hinterherschleichen, weil deren Fahrer nicht mehr befürchten müssten beim Überholen der Radfahrer eine Geschwindigkeitsübertretung begehen zu müssen.“

Verkehr in Norderstedt: ADFC will ebenfalls generell Tempo 30

Mit „Dialogdisplays“ versuchte die Stadt Norderstedt Autofahrer dazu bringen, Tempo 30 einzuhalten
Mit „Dialogdisplays“ versuchte die Stadt Norderstedt Autofahrer dazu bringen, Tempo 30 einzuhalten © Stadt Norderstedt

Außerdem meldeten sich die Ortsgruppen aus Norderstedt/Quickborn des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) sowie des Verkehrsclub Deutschland (VCD) zu Wort. Man unterstütze die Überlegungen, flächendeckend oder zumindest außerhalb von Hauptstraßen Tempo 30 einzuführen. „Das wäre ein erster Schritt, die verschiedenen Mobilitätsformen hinsichtlich der jeweiligen Geschwindigkeiten einander ein Stück anzunähern.“

Tempo 30 könnte zu mehr Sicherheitsgefühl bei Radfahrern und Fußgängern beitragen. Die gefühlte Unfallgefahr sei nach wie vor ein Hauptkriterium, an dem der Umstieg vom Auto aufs Rad scheitere.

Der ADFC fordert, die bisherige Regelung umzukehren: Generell in der Stadt Tempo 30 und Tempo 50 nur an Hauptstraßen, die entsprechend beschildert werden. Das spare Schilder für Tempo 30-Zonen. Dazu müsste allerdings die Straßenverkehrsordnung geändert werden.