Hamburg. Bundesweite Initiative bekommt immer mehr Zulauf. Politiker und Verbände diskutieren, ob sich die Hansestadt anschließen soll.
Setzt sich womöglich bald in Deutschland die Idee durch, Tempo 30 in Städten zur Regelgeschwindigkeit zu machen – oder es zumindest auf einen größeren Teil der Hauptstraßen auszudehnen? Die Diskussion über diese Frage hat zuletzt deutlich an Fahrt aufgenommen.
Das liegt nicht nur an immer noch hohen Unfallzahlen, sondern auch an einer 2021 gestarteten Initiative deutscher Städte. Die im Juli von Aachen, Augsburg, Freiburg, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm gegründete Gruppe nennt sich „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ und setzt sich dafür ein, dass Städte und Gemeinden künftig frei entscheiden dürfen, wo und wann welche Geschwindigkeit angeordnet wird. Bisher ist dies auf Hauptstraßen nur unter besonderen Bedingungen möglich, etwa vor Kitas, Schulen oder Seniorenheimen.
Verkehr: Gilt bald nur noch Tempo 30 auf Hamburgs Hauptstraßen?
„Lebendige, attraktive Städte brauchen lebenswerte öffentliche Räume“, heißt es im Aufruf der Initiative. „Ein wesentliches Instrument zum Erreichen dieses Ziels ist ein stadtverträgliches Geschwindigkeitsniveau auch auf den Hauptverkehrsstraßen. Dort produziert der Autoverkehr in den Städten seine höchste Verkehrsleistung. Dort verursacht er aber auch die meisten negativen Auswirkungen – von den Lärm- und Schadstoffbelastungen für die dort lebenden Menschen über die Unfallgefahren bis zum Flächenverbrauch.“
Es sei lange bekannt, dass Tempo 30 „erhebliche positive Auswirkungen haben würde“, so die Initiatoren. Die Straßen würden sicherer, leiser und die Luft sauberer – und die „Leistungsfähigkeit des Verkehrs“ würde nicht eingeschränkt, vielmehr fließe er sogar besser. Zudem weisen die Initiatoren darauf hin, dass der Bundestag die sogenannte Vision Zero beschlossen hat – also das Ziel, dass es keine Verkehrstoten mehr geben und der Verkehr so organisiert werden soll, dass es bei menschlichen Fehlern nicht zu Todesopfern kommt. Auch dafür sei eine Reduzierung der Höchstgeschwindigkeiten nötig.
Bürgerschaft überweist Thema an Verkehrsausschuss
Mittlerweile haben sich der Initiative nach deren Angaben mehr als 170 Städte angeschlossen, darunter Frankfurt, Köln, Lüneburg, Saarbrücken, Stuttgart, Wolfsburg, Würzburg und zuletzt auch Berlin. Dabei lässt sich die Teilnahme nicht klar parteipolitisch zuordnen. Laut Initiatoren sind mittlerweile auch Dutzende Städte dabei, die von der CDU regiert werden.
Auch in Hamburg steht das Thema jetzt auf der Agenda. Einen Antrag der Linksfraktion, Hamburg solle der Initiative beitreten, hat die Bürgerschaft mit ihrer rot-grünen Mehrheit am Mittwoch nicht etwa abgelehnt – sondern in den Verkehrsausschuss überwiesen. Dort soll das Thema nun intensiver diskutiert werden.
Senat will mehr kommunale Verantwortung beim Straßenverkehr übernehmen
Der Senat teile das Ziel, „mehr kommunale Verantwortung im Rahmen des Straßenverkehrsgesetzes und der Straßenverkehrsordnung zu schaffen“, sagte Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) dem Abendblatt. „Der Beitritt Hamburgs zur Initiative wird Gegenstand der Beratungen im Verkehrsausschuss sein.“ Tjarks betonte zudem, dass auch die Hansestadt das Ziel verfolge, „die Zahl der Verkehrstoten auf null zu reduzieren, dies ist auch im rot-grünen Koalitionsvertrag verankert“. Eine „angemessene Geschwindigkeit im Straßenverkehr“ sei „ein wichtiger Beitrag, um dieses Ziel zu erreichen“, so Tjarks. „Auch deshalb haben wir beschlossen, die Einrichtung von Tempo 30 besonders vor Kitas, Schulen und weiteren sozialen Einrichtungen zu erleichtern. Aber auch weitere Aspekte wie Beschilderung, Verkehrsüberwachung, bauliche Gegebenheiten und Verkehrsprävention helfen, die Verkehrssicherheit für alle Teilnehmenden zu verbessern.“
Der Anteil von Tempo 30 sei in den vergangenen Jahren stetig gestiegen – „diesen Weg wollen wir in Hamburg weiter gehen“, so der Senator. Insgesamt sei Tempo 30 hier derzeit auf 59 Prozent der Straßen die Höchstgeschwindigkeit – aber nur auf vier Prozent der Hauptverkehrsstraßen.
Uneinigkeit der Fraktionen
Bei der Diskussion des Themas in Hamburg laufen die Trennlinien derzeit noch relativ klar entlang der Parteigrenzen. Während Grüne und Linke für einen Beitritt Hamburgs zu der Initiative plädieren, gibt sich die SPD beim Thema Tempo 30 etwas zurückhaltender – und CDU, AfD und FDP lehnen die Initiative ab. Der ADAC ist gegen einen Beitritt, FahrradClub ADFC und der FUSS e.V. als Interessenvertretung der Fußgänger sind dafür.
„Ein Geschwindigkeitslimit von Tempo 30 macht das Leben für alle sicherer, leiser und umweltschonender“, sagte Grünen-Verkehrspolitikerin Rosa Domm. Tempo 50 in der Stadt könne für Fußgänger, insbesondere Kinder und Senioren, ein tödliches Risiko darstellen. Autofahrer profitierten bei Tempo 30 von einem gleichmäßigen Verkehrsfluss und halbierten Bremswegen. Komme es trotzdem zu Unfällen, reduziere sich deren Schwere.
Auch SPD sieht Raum für mehr Tempo-30-Zonen
SPD-Verkehrspolitiker Ole Thorben Buschhüter wies darauf hin, dass die Ampel-Koalition im Bund die Forderung der Initiative aufgenommen habe, „Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung anzupassen, um den Ländern und Kommunen mehr Entscheidungsspielräume zu eröffnen“. Das wäre „ganz im Sinne Hamburgs“, so Buschhüter, „denn auch wir teilen die grundsätzlichen Ziele der Städteinitiative, allen voran die Vision Zero.“ In Hamburg gebe es Raum für mehr Tempo 30. „Auf Hauptverkehrsstraßen soll Tempo 50 aber die Regelgeschwindigkeit bleiben“, so der SPD-Politiker.
Linken-Verkehrspolitikerin Heike Sudmann forderte, Hamburg müsse der Initiative beitreten, die ein „Akt der Notwehr der Städte“ sei. Und die wies darauf hin, dass „auch bei Tempo 30 die Leistungsfähigkeit der Hauptverkehrsstraßen erhalten“ bleibe. Die Reisezeitverluste gegenüber Tempo 50 seien „gering bis gar nicht vorhanden.“ ADFC-Sprecher Dirk Lau sagte: „Tempo 30 rettet Leben, erhöht die Verkehrssicherheit für alle Menschen, reduziert Kfz-Lärm und sorgt für bessere Luft und weniger Stau. Wir fordern daher seit Langem die Umkehr der Regelgeschwindigkeit innerorts: Tempo 30 muss in der Stadt die Regel und Tempo 50 als Ausnahme begründet werden.“ Sonja Tesch von FUSS e.V. plädierte ebenfalls für „fast flächendeckendes Tempo 30“. Brüssel habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht, es gebe dort „weniger Unfälle und mehr nicht motorisierten Verkehr“.
ADAC positioniert sich gegen Vorschlag
ADAC-Sprecher Christian Hieff argumentiert gegen den Beitritt Hamburgs zur Initiative. Denn diese habe aus Sicht des ADAC letztlich das Ziel, Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit einzuführen – und das werde „Schleichverkehre durch sensible Wohngebiete provozieren, da die Zeitvorteile auf den Hauptverkehrsstraßen verloren“ gingen.
CDU-Verkehrspolitiker Richard Seelmaecker sagte, die Argumente der Initiative seien „überhaupt nicht belegt“. Es bestehe „keine Kausalität zwischen einer höheren Geschwindigkeit und einer höheren Unfallhäufung“. AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann betonte, dass „Autos mehr CO ausstoßen, wenn sie über lange Strecken 30 Kilometer pro Stunde fahren“. Und die FDP-Bürgerschaftsabgeordnete Anna von Treuenfels sagte: „Noch mehr Tempo 30 in der Stadt ist nicht sinnvoll, weder flächendeckend noch durch erweiterte regionale Zuständigkeit auf ausgewählten Hauptstraßen.“
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Damit sind Argumente und Positionen weitgehend ausgetauscht. Wie es in der Sache weitergeht, dürfte sich nun in den kommenden Sitzungen des Verkehrsausschusses der Bürgerschaft entscheiden.