Norderstedt. Manfred Ertel liest aus seinem Krimi, der an die Barschel-Affäre angelehnt ist. Der Ex-„Spiegel“-Reporter deckte den Skandal auf.
Der Fall hat vor genau 35 Jahren die Nation erschüttert: Der damalige Ministerpräsident Schleswig-Holsteins wird tot in einer Badewanne in einem Genfer Hotel aufgefunden. Ob Suizid oder Mord – darüber gibt es bis heute unterschiedliche Ansichten. War Uwe Barschel auch in illegale Waffengeschäfte verstrickt? Reiste er für heimliche Schäferstündchen in die DDR? Was wussten Parteifreunde und Regierungsmitglieder? Diese Fragen hat Es-„Spiegel“-Redakteur Manfred Erteil zu einem scharfen Cocktail zusammengemixt und daraus einen Kriminalroman gemacht.
Manfred Ertel, der einige Jahre in Norderstedt gewohnt hat, kommt am Dienstag, 13. September, in die Stadtbücherei Norderstedt-Mitte, um aus seinem Polit-Thriller „Akte B. Wenn die Möwen tiefer fliegen“ zu lesen. Was die Zuhörer erwartet: Eine spannende Geschichte, erzählt von einem Mann, der damals mit am Rad der Ereignisse gedreht hat und nicht unmaßgeblich für aufklärende Momente in dieser Skandalgeschichte gesorgt hat.
Barschel-Affäre: Sex-Tourismus, Waffenschmuggel und der lange Arm der Stasi
Vorweg: Natürlich liegt dem Buch „Akte B.“ die Geschichte von Uwe Barschel zugrunde – aber der Name fällt in keiner Zeile, auf keiner Seite. Im Buch von Manfred Ertel ist stets vom „MP“ die Rede. „Ich wollte kein Barschel-Buch schreiben, sondern einen Kriminalroman“,sagt der Autor, der heute in Hamburg lebt und mit der ehemaligen Grünen-Politikerin Krista Sager verheiratet ist. Der Autor wollte sich nicht anfechtbar machen, weil immer noch viele Vorkommnisse der damaligen Zeit in einer Grauzone verborgen sind.
Der „MP“ trägt natürlich die Züge des damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten. Und Manfred Ertel macht auch keinen Hehl daraus, dass er diesen Uwe Barschel kannte. Ziemlich gut kannte. Als Leiter des Kieler „Spiegel“-Büros führte er oft Gespräche mit Uwe Barschel, gelegentlich sogar Privatgespräche. Er besuchte Barschel nach dessen Flugzeugabsturz am Krankenbett. All das hat er in seinen Polit-Thriller einfließen lassen.
War die nette Seite des Ministerpräsidenten nur vorgetäuscht?
Sehr detailliert beschreibt er diese Gespräche im Buch und lässt sie geschickt in die Handlung einfließen. Heute, mit 35 Jahren Abstand, bezeichnet Manfred Ertel den damaligen Ministerpräsidenten als einen „sehr klugen, sehr eloquenten und sehr machtbewussten Mann, der auch emphatisch und ein Kumpeltyp sein konnte“. Ertel hat nie herausbekommen, ob diese nette Seite des Politikers vorgetäuscht war oder nicht.
Die U-Boot-Affäre der Kieler Regierung – die Howaldtswerke-Deutsche Werft GmbH hatten U-Boot-Pläne illegal nach Südafrika geliefert – beschäftigte den Deutschen Bundestag von 1988 bis 1990. „Für die Medien war Barschels Art der Machtpolitik ein gefundenes Fressen“, sagt Manfred Ertel. „Viele Dinge liefen damals an der Nahtstelle zur moralisch-ethischen Legalität.“ Uwe Barschel sei das Auge des Sturms gewesen.
In die Hauptfigur sind die Charaktere etlicher Politiker eingeflossen
Mit dem „MP“ hat Manfred Ertel eine zeitgeschichtliche Figur kreiert, in die nach seinen Angaben Charaktere etliche Politiker eingeflossen sind. Der Roman spielt auf zwei zeitlichen Ebenen: Einerseits werden die Machenschaften des „MP“ vor dreieinhalb Jahrzehnten beleuchtet, andererseits im Jahre 2016, als zwei Juristinnen in Hamburg mit der zurückliegenden Geschichte konfrontiert werden und versuchen, nach all den Jahren Licht in das gefährliche Dunkel zu bringen. Denn die Mutter der einen Freundin, Jule, hatte, wie sich im Laufe der Handlung herausstellte, als DDR-Frau Chantal ein intimes Verhältnis mit dem „MP“ – und zwar in den Monaten vor Jules Geburt...
Manfred Ertel selbst taucht in dem Buch als Magazin-Journalist Lundberg auf. Der beobachtet unter anderem, wie der „MP“ in einem Warnemünder Hotel mit Chantal im Arm in einem Fahrstuhl verschwindet. Realität oder Fiktion? Der Autor wusste, wovon er schreibt, denn er konnte auf eigene Beobachtungen zurückgreifen: „Das war aber nicht Barschel, sondern ein anderer deutscher Politiker.“
Die Sex-Affären deutscher Politiker in der DDR waren ein offenes Geheimnis
Tatsächlich sei es damals ein offenes Geheimnis gewesen, dass bundesdeutsche Politiker Sex-Affären in der DDR hatten. Immerhin ist das fiktive Verhältnis zwischen Chantal und dem „MP“ ein entscheidendes Element, um die Handlung des Buches voranzutreiben und bis in das Jahr 2016 nachwirken zu lassen. Deutlich wird auch, wie lang der Arm der Stasi auch nach Abwicklung der DDR noch war und welcher Gefahr sich Menschen aussetzten, die gegen alte Machen- und Seilschaften rebellierten.
Der frühere „Spiegel“-Autor gehörte damals mit zum Investigationsteam des Magazins, das viele dunkle Geheimnisse um Uwe Barschel aufdeckte. So war Manfred Ertel zum Beispiel in Südafrika, um dort auf einer Werft zu recherchieren und mit einem Waffenhändler zu sprechen. Einen wirklichen Beweis, ob Barschel und andere Politiker maßgeblich daran beteiligt waren, deutsche Waffen illegal über die DDR nach Südafrika und andere Länder zu verschiffen, gab und gibt es in der Realität nicht. „Wir haben aber viele skurrile Indizien zutage gefördert.“
Manfred Ertel hat lange in den Stasi-Archiven recherchiert
Um sich selbst Klarheit zu verschaffen, hat Manfred Ertel viele Tage in Stasi-Archiven gesessen und „Berge von Akten“ gesichtet, um für sein Buch zu recherchieren. Ein Jahr lang hat er schließlich daran gesessen, um einen Kriminalroman auf zeitgeschichtlichem Fundament zu schreiben. Die Leser erfahren nebenbei auch einiges über den Arbeitsalltag eines „Spiegel“-Journalisten, über Zeit- und Termindruck und die daraus resultierenden privaten Probleme.
Manfred Ertel liest aus seinem Polit-Thriller „Akte B. - wenn die Möwen tiefer fliegen“, am Dienstag, 13. September, in der Norderstedter Stadtbücherei-Mitte, 19.30 Uhr. 8 Euro Eintritt, mit Büchereikarte 7 Euro.