HA Genf/Kiel/Bonn - Uwe Barschel ist tot. Der ehemalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein ist gestern in dem Genfer Hotel "Beau-Rivage" im Bad seines Einzelzimmers leblos aufgefunden worden. Die Nachricht ist in der Bundesrepublik mit Bestürzung und Entsetzen aufgenommen worden.

Die Umstände des Todes des

CDU-Politikers waren bis Mitternacht noch ungeklärt. Dann verbreitete die Deutsche Presse- Agentur aus "zuverlässiger Quelle" in Genf, daß beim Tode Barscheis "ein Fremdverschulden oder eine Gewalttat völlig ausgeschlossen" sei.

Erste Gerüchte, Barschel habe sich erschossen, waren von der Genfer Polizei schon am frühen Abend zurückgewiesen worden. Er habe voll angekleidet mit dem Oberkörper in der mit Wasser gefüllten Badewanne gelegen; sein Körper habe keinerlei Anzeichen äußerer Gewaltanwendung aufgewiesen. Es sei kein Brief gefunden worden. Noch am Abend war die Leiche obduziert worden. Das vollständige Ergebnis soll heute bekanntgegeben werden.

Rätselhaft sind die Hintergründe, die Barschel nach Genf gebracht haben könnten. Ursprünglich hatte er gestern abend von seinem Urlaubsort auf Gran Canaria nach Kiel zurückkehren sollen, um heute vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß auszusagen. In dem Ausschuß wird schweren Vorwürfen gegen Barschel nachgegangen, er habe seinen politischen Kontrahenten bespitzeln lassen.

Die Warnung der Familie

Nach verschiedenen Quellen, so der Illustrierten "Stern" und den "Kieler Nachrichten" , war der ehemalige Ministerpräsident bereits am Sonnabend nachmittag um 15.10 Uhr mit dem Iberia-Flug Nr. 554 in Genf eingetroffen. Er war allein, trug einen hellen Regenmantel und hatte nur einen kleinen Aktenkoffer bei sich. Auf dem Flughafen soll er sich gegen 17 Uhr mit einem Informanten aus Frankfurt getroffen haben. Schon am Donnerstag hatte er in einem Fernschreiben an die CDU-Fraktion in Kiel von möglichen neuen Informationen gesprochen, die ihn entlasten könnten.

Mit einem Taxi war er dann in das bekannte Genfer Hotel gefahren und hatte das Zimmer - 280 Franken (340 Mark) die Nacht bezogen. Nachtportier Ramush sagte dem Hamburger Abendblatt, Barschel habe das Haus dann nicht mehr verlassen und auch keinen Besuch empfangen.

Den "Kieler Nachrichten" zufolge hatte Barschel nach dem geheimnisvollen Treffen und offenbar vom Hotel aus seine auf Gran Canaria zurückgebliebene Frau, seinen bei Genf lebenden Bruder - dort halten sich Barschels Mutter und seine Kinder auf - und seine Schwester in Kiel angerufen. Er habe mitgeteilt, das Gespräch habe sich gelohnt. Er habe einen entspannten und erleichterten Eindruck gemacht, zitiert die Zeitung. Familienangehörige sollen ihn aber vor weiteren Ermittlungen gewarnt haben.

Nach Angaben der "Welt" bezog sich diese Warnung offenbar auf Pläne Barschels, sich noch einmal mit einem Unbekannten zu treffen, der ihm angeblich ein Foto überreichen sollte, das ihn entlasten könne. Das Foto soll nach NDR-Informationen den Medienreferenten Pfeiffer zeigen, der die Affäre ins Rollen gebracht hatte, und eine zweite Person, durch die völlig neue Zusammenhänge aufgedeckt würden.

Zur Stimmungslage Barschels sagte gestern sein Kieler Rechtsbeistand Professor Erich Samson, sein Mandant habe bei einem Telefongespräch am Donnerstag, also noch vor dem angeblichen Genfer Treffen, sehr bedrückt gewirkt.

Versuche von zwei "Stern"-Reportern, Barschel am späten Sonnabend im Hotel zu erreichen, waren gescheitert. Nach einem Bericht ihrer Redaktion in Hamburg wollten sie den Polltiker dann gestern ohne Anmeldung im Hotel aufsuchen. Als sie um 12.30 Uhr vor dem Zimmer 317 im "Beau- Rivage" eintrafen, fanden sie die Tür unverschlossen. Sie betraten das unaufgeräumt wirkende Zimmer und fanden Barschel über der Badewanne hängend. Sie informierten die Hotelleitung, die ihrerseits die Pollzei benachrichtigte.

Zahlreiche Polltiker äußerten sich fassungslos über den Tod Barschels und drückten vor allem der Familie ihr Mitgefühl aus. Frau Freya Barschel erhielt die Todesnachricht am Urlaubsort telefonisch vom amtierenden Ministerpräsidenten Henning Schwarz.

Der CDU-Bundesvorsitzende und Bundeskanzler Helmut Kohl wurde von Regierungssprecher Friedhelm Ost in seinem Haus in Oggersheim informiert. Ost sagte später, der Kanzler habe die Nachricht - zu diesem Zeitpunkt wurde noch von einem Selbstmord Barscheis gesprochen - kaum fassen können. Helmut Kohl sei "zutiefst erschüttert über diese menschliche Tragödie".

Pause im Kieler

Untersuchungsausschuß

Der Kieler Oppositionsführer Björn Engholm (SPD), der im Wahlkampf Zielscheibe der behaupteten Nachstellungen Barscheis gewesen sein soll, sagte, die Nachricht habe ihm tief erschüttert. "Mein Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen", sagte er. Er ergänzte: "Ein solch schreckliches Ereignis sollte allen Mahnung dafür sein, darüber nachzudenken, wie wir künftig politisch miteinander umgehen sollten."

Der frühere Medienreferent Barschels, Reiner Pfeiffer, sagte, auch er sei "tieferschüttert", doch habe er von seinen Anschuldigungen nichts zurückzunehmen. In einem Interview mit "Radio Hamburg" sagt er unter dem Eindruck der Selbstmord-Gerüchte, Barschel habe gesehen, daß das von ihm aufgebaute "Lügengebäude" abbröckele. Er habe keinen Ausweg mehr gewußt und in "Torschlußpanik" gehandelt. Er habe nie damit gerechnet, daß Barschel "seine Famllie um den Preis einer politischen Karriere aufgeben würde" .

Pfeiffer behauptete, er habe versucht, über Freunde mit Barschel Verbindung aufzunehmen, "um ein Vier-Augen-Gespräch zu arrangieren". Dies sei "relativ

brüsk" abgelehnt worden. "Wenn dieses Vier-Augen-Gespräch stattgefunden hätte - davon war und bin ich überzeugt -, hätte er diesen Schritt nicht getan."

Vor dem Verlagshaus des "Spiegel" in der Hamburger Ost- West- Straße versammelten sich am Abend junge Menschen. Sie zündeten Kerzen an und breiteten Zeitungen aus, in denen über Barschel berichtet worden war.

Eine einzige Entscheidung fiel gestern in Kiel: Bis zur Beisetzung des Mannes, der vor zehn Tagen noch Ministerpräsident war, wird der Untersuchungsausschuß, der die Affäre um Barschel klären soll, pausieren. Zumindest soll es keine öffentliche Beweisaufnahme geben.