Norderstedt. Rücksichtsloser Umgang mit der Gesundheit der Menschen? Welche Einschränkungen des Flughafens die Kritiker noch fordern.

Es sind in den meisten Fällen Norderstedter Bürgerinnen und Bürger, die nach 23 Uhr vom Krach startender oder landender Flugzeuge auf dem Hamburger Flughafen aus den Betten gerissen werden. Zwar gilt seit den 1970er-Jahren eine Nachtflugbeschränkung von 23 Uhr bis 6 Uhr, die bereits eine Stunde kürzer ist als die gesetzliche Nachtruhe-Regel von 22 bis 6 Uhr. Doch die wird immer wieder ausgesetzt.

Spektakulär zuletzt, als am Montagmorgen, 15. August, gegen 0.24 Uhr, das größte Passagierflugzeug der Welt, der A380 der Airline Emirates, über Norderstedt hinwegdonnerte. Spätestens da war allen knapp 3400 von Fluglärm in Norderstedt akut betroffenen Bürgerinnen und Bürgern klar, dass es mit der in der Corona-Pandemie lieb gewonnenen Flugruhe über der Stadt vorbei war.

Flughafen Hamburg: Bündnis gegen Fluglärm fordert: „Keine Starts nach 23 Uhr!“

„­­­­­Seit der Aufhebung von Coronabeschränkungen im Luftverkehr steigen die Belastungen durch Fluglärm in Hamburg drastisch“, teilte am Donnerstag Martin Mosel, Sprecher des Bündnis luftverkehrskritischer Hamburger Bürgerinitiativen und Vereine gegen Fluglärm, mit. „Die hohe Anzahl an Flugbewegungen führt besonders in der Zeit der gesetzlichen Nachtruhe nach 22 Uhr zu einer auffällig systematischen Missachtung der Regeln zum Schutz der Bevölkerung.“

Zusammen mit den Umweltverbänden BUND Hamburg und der Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF) fordert das Bündnis nun vom Hamburger Senat ein Sofortprogramm zum Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm.

Scharfe Kritik an der Hamburger Politik für ihre „Tatenlosigkeit“

Mosel kritisiert die Tatenlosigkeit der Politik scharf: „Trotz Festschreibung im Planfeststellungsbeschluss und der mittlerweile viele Punkte umfassenden Pläne von Politik und Flughafen, ist es bis heute nicht gelungen, den innerstädtischen Flughafenbetrieb so zu regulieren, dass die Vorschriften zum Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm eingehalten werden.“

Die „eigentlich selbstverständliche Nachtruhe“, so Mosel, sowie ein rücksichtsvoller Umgang mit den Nachbarn und Betroffenen seien am Hamburger Flughafen „Fremdworte“. Im Zusammenspiel mit den Fluggesellschaften verfolge der Flughafen in Hamburg rücksichtslos den Wachstumskurs wie in der Zeit vor Corona, zulasten der Gesundheit der Anwohner.

Bündnis gegen Fluglärm: Klare Kriterien für die Verspätungsregel

Das Bündnis möchte nun erreichen, dass die Verspätungsregel nach 23 Uhr verändert wird. Zwar hatte die Fluglärmschutzbeauftragte Hamburgs, Gudrun Pieroh-Joußen noch Anfang Juli gemeinsam mit Norderstedts Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder, als Vorsitzende der Fluglärmschutzkommission (FLSK), die ausufernden Verspätungen am Hamburger Flughafen kritisiert und von Politik und Verwaltung in Hamburg eine Änderung der Verspätungsregel gefordert.

Doch nur wenig später gab Pieroh-Joußen den Start des A380 über Norderstedt frei – weil dieser wegen eines Sandsturms in Dubai verspätet angekommen war und unbedingt noch in der Nacht habe starten müssen, weil ein kranker Passagier ausgeflogen werden musste. Mosel sieht nun die Glaubwürdigkeit von Pieroh-Joußen beschädigt.

Keine Starts mehr nach 23 Uhr - kategorisch

Das Bündnis will die Aufhebung der „Genehmigungsfiktion“ erreichen und dass Einzelausnahmegenehmigungen – wie die für den A380 der Emirates – nur noch anhand eines festen Kriterienkataloges ausgestellt werden. Kategorisch soll es außerdem keine Starts mehr nach 23 Uhr geben, mit Ausnahme medizinischer Hilfsflüge, Notfälle und Flüge hoheitlicher Stellen.

Und auch das für Norderstedt wichtigste Reizthema soll mehr Beachtung finden: Die aus Sicht der Fluglärm-betroffenen ungerechte Bahnbenutzungsregel (BBR), die immer noch den Löwenanteil der Starts und Landungen über Norderstedt abwickelt. Das Bündnis fordert hier transparente und unabhängige „Kontrollmechanismen“.

Flughafen Hamburg: Weniger Slots, damit keine Verspätung durch Überlastung entsteht

Im Übrigen will das Bündnis, dass die Slots am Hamburger Flughafen in der Betriebszeit von 6 bis 23 Uhr angepasst und reduziert werden, damit Verspätungen wegen Luftraum- oder Flughafenüberlastung vermieden werden.

„Der Kurs des Hamburger Senats in seiner Flughafenpolitik ist ein existenzgefährdender Irrweg“, sagt Mosel. „Der Senat kann als Mehrheitseigner die Geschäftsführung unter Michael Eggenschwiler korrigieren. Warum der Senat diese Trumpfkarte nicht spielt, ist umwelt- und gesundheitspolitisch völlig unverständlich. Er ignoriert die ständig steigenden Belastungen und lässt den gesundheitlichen Druck auf die Bevölkerung durch Lärm und fehlenden Schlaf fahrlässig zu.“