Norderstedt. Pflegeheim in Norderstedt beschäftigt ukrainische Frauen. Die Herausforderungen – und warum Moderatorin Bettina Tietjen dort war.
Olha Herbut hält das Mikrofon fest umklammert in ihren Händen. Sie steht auf einer kleinen Bühne im Innenhof des Seniorenpflegeheims „Steertpogghof“ in Norderstedt. Die Balkone sind mit bunten Luftballons geschmückt. Die Bewohner sitzen mit ihren Familien im Garten. Die 39-Jährige spricht am Sonnabend beim Sommerfest der Einrichtung zum ersten Mal vor so vielen Menschen. Und dann auch noch auf Deutsch.
„Ich bin mit meiner Tochter und meinem Hund nach Deutschland gekommen. Meine Mutter blieb in der Ukraine. Sie ist Soldatin. Wir haben Glück, dass wir vor Flugzeugen, Explosionen und dem Tod fliehen konnten“, sagt die Ukrainerin. Ihre Worte liest sie von einem Zettel ab. Sie lernt erst seit einem Monat Deutsch, kann die Sprache aber schon gut verstehen. „Wir sind dankbar für die Hilfe und Arbeit“, sagt sie und beendet ihre kurze, emotionale Rede.
Pflege: Ukrainerinnen arbeiten im Seniorenheim – und halten emotionale Rede
Vier ukrainische Frauen arbeiten seit knapp zwei Monaten im Haus „Steertpogghof“. Zunächst absolvierten sie ein Praktikum, inzwischen haben sie alle einen Arbeitsvertrag unterschrieben und werden nach Tarif bezahlt. Doch die Behörden haben ihnen den Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt alles andere als leicht gemacht, wie Einrichtungsleiterin Kirsten Krause berichtet. „Die Ukrainerinnen wollten arbeiten und nichts passierte. Alles war ein riesengroßes Problem.“
Krause hat extra die befreundete Fernsehmoderatorin Bettina Tietjen zum Sommerfest eingeladen, um in einem Talkformat über die Corona-Zeit und die Hürden der Integration der Ukrainerinnen unterhaltsam zu erzählen. Tietjen und Krause kennen sich seit elf Jahren. Tietjens Vater war zwei Jahre lang Bewohner in einem Pflegeheim in Harburg, das Krause damals leitete.
Bettina Tietjen moderiert Talkrunde beim Sommerfest in Norderstedt
In ihrem Buch „Unter Tränen gelacht“ hat die Moderatorin der „NDR Talk Show“ über die Demenzerkrankung ihres Vaters geschrieben. „In dieser Zeit haben Kirsten und ich uns gut kennengelernt. Sie ist sehr engagiert, idealistisch und eine Menschenfreundin“, sagt Tietjen.
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Gisela Bader ist ebenfalls Teil der Talkrunde und sitzt Tietjen auf einem roten Sofa gegenüber. Sie hatte die Idee, ukrainische Frauen an Pflegeeinrichtungen zu vermitteln. 30 Jahre lang hat sie Pflegeassistenten im Berufsbildungszentrum (BBZ) in Norderstedt ausgebildet. Seit vergangenem Jahr ist die 64-Jährige Pensionärin.
Seit dem der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist, engagiert sie sich ehrenamtlich in der Bücherei für geflüchtete Kinder. Dabei wurde sie immer wieder von Müttern angesprochen, die Arbeit suchten. „Die Frauen wollten sich nicht mehr 24 Stunden am Tag mit dem Krieg in ihrer Heimat beschäftigen“, sagt Bader.
Ukrainische Arbeitskräfte: Deutsche Behörden erschweren Integration
Da ihr Herz immer noch für die Pflege schlägt und Seniorenheime dringend Personal suchen, entschied sie sich gemeinsam mit der Integrationsbeauftragten der Stadt, Heide Kröger, ein Projekt ins Leben zu rufen. Sie telefonierte verschiedene Pflegeeinrichtungen in Norderstedt ab. Mit Kirsten Krause fand sie schnell eine Leiterin, die sich von der Idee, Ukrainerinnen zu beschäftigen, begeistern ließ.
Doch die deutsche Bürokratie hat sie vor etliche Probleme gestellt: bei der Unterbringung der Frauen. Beim Erlernen der deutschen Sprache. Bei der Eingliederung in die Arbeitswelt. „Von unseren Behörden haben wir immer nur gehört: Das geht nicht. Aber so können wir unsere Welt nicht verändern“, sagt Gisela Bader. „Wir hatten zeitweilig das Gefühl, dass sie gar nicht wollten, dass Ukrainerinnen hier arbeiten.“
Sogar das Schwimmen brachte Pflegeheim den Ukrainerinnen bei
Doch Bader und Krause blieben hartnäckig. Sie ließen die Frauen in freien Zimmern im „Steertpogghof“ wohnen. Olha Herbut, die in der Ukraine Biologie und Chemie auf Lehramt studierte, zog für zwei Monate mit ihrer zwölfjährigen Tochter und ihrem Hund in die Senioreneinrichtung ein. Nach zwei Monaten mietete sie eine heruntergekommene Wohnung an, Bader half ihr bei der Renovierung. Kirsten Krause brachte den Frauen das Schwimmen bei.
Auch organisierten sie eigenständig Sprachunterricht für die Ukrainerinnen. Dank einer großzügigen Spende des Lions Club Norderstedt Neo von 1500 Euro können sie zehn Stunden pro Woche neben der Arbeit Deutsch lernen.
Pflege: Norderstedter Leiterin möchte von Politik gehört werden
„Wir möchten von der Politik gehört werden“, sagt Kirsten Krause, die seit 36 Jahren in der Pflegebranche tätig ist. Sie hat sich von der Pflegehelferin bis zur Einrichtungsleiterin hochgearbeitet. Zum Sommerfest hat Krause alle Norderstedter Parteien eingeladen. „Schade, dass sich alle gedrückt haben. Das wäre eine Chance gewesen, zu zeigen, wie wir die Pflege mit Kräften aus dem Ausland besser absichern können.“
Künftig möchte sie noch mehr Ukrainerinnen in den „Steertpogghof“ integrieren. „Die Mitarbeiter freuen sich alle, dass sie hier sind“, sagt Krause. Am Ende sind sie es auch, die die Rede von Olha Herbut und Tatjaha Prosko, einer weiteren ukrainischen Pflegekraft, am lautesten bejubeln. „Vielen Dank, Frau Krause, dass sie uns die Möglichkeit gegeben haben, zu arbeiten. Danke an meine Kollegen für ihre Hilfe. Ich wünsche allen Frieden“, sagt Prosko mit zitternder Stimme ins Mikrofon.