Norderstedt. Fast die Hälfte der Radfahrer fährt an der Ulzburger Straße verbotenerweise auf dem Gehweg. Wie die Stadt dagegen vorgeht.

Anstatt wie vorgeschrieben auf der Fahrbahn der Ulzburger Straße zu fahren, radelt eine ältere Dame mit ihrem Fahrrad auf dem Gehweg – auf der falschen Seite. Polizist Moritz Lorey hält sie an. Die Norderstedterin reagiert genervt und uneinsichtig. Lorey bittet um ihren Ausweis, nimmt die Personalien auf und verordnet ein Verwarnungsgeld in Höhe von 55 Euro.

„Was meinen Sie, was ich für ein Angstgefühl habe, wenn ein Lastwagen hinter mir fährt“, rechtfertigt die Frau ihr Verhalten. Außerdem sei sie schon oft von Autofahrern beschimpft worden, wenn sie auf der Straße gefahren sei. Der Polizist kennt die Angst der Radfahrer und kann sie nachvollziehen. Die Ulzburger Straße ist 2015 zwischen der Waldstraße und dem Glashütter Weg zur 30er-Zone umgestaltet worden. Eine extra Markierung für Radler gibt es nicht. Auto- und Radfahrer sollen sich den Bereich, der als „Meilenstein“ bekannt ist, teilen.

Norderstedt: „Habe Angstgefühl“ – Radler fahren lieber auf dem Gehweg

Doch viele Radler fahren lieber auf dem Gehweg, weil ihnen die Straße nun zu schmal ist. Sie fürchten sich vor Fahrzeugen, die zu dicht an ihnen vorbeisausen könnten. Fußgänger beschweren sich hingegen über die Fahrradfahrer auf ihren Wegen. Seit Jahren muss dieser für etwa eine Million Euro modernisierte Straßenabschnitt Kritik einstecken. Am Dienstag hat die Stadt Norderstedt deswegen gemeinsam mit der Polizei einen Aktionstag unter dem Motto „Ein Gehweg ist kein Radweg!“ am „Meilenstein“ durchgeführt.

Die Polizisten Michael Mozarski, Florian Kuhn und Moritz Lorey (von links) haben Radfahrerinnen und -fahrer angehalten, die verbotenerweise auf dem Fußweg entlang der Ulzburger Straße in Norderstedt gefahren sind.
Die Polizisten Michael Mozarski, Florian Kuhn und Moritz Lorey (von links) haben Radfahrerinnen und -fahrer angehalten, die verbotenerweise auf dem Fußweg entlang der Ulzburger Straße in Norderstedt gefahren sind. © Annabell Behrmann

Elf Polizisten standen verteilt an der Ulzburger Straße und suchten immer wieder das Gespräch mit Radfahrern, die verbotenerweise auf dem Fußweg fuhren. „Diskussionen gibt es immer“, sagt Moritz Lorey. „Die Menschen rechtfertigen, warum sie so handeln oder wälzen die Schuld auf die Autofahrer ab. In der Regel lenken sie aber ein.“

Fahrradfahren auf dem Gehweg: Strafen bis zu 100 Euro möglich

Wenn sich die Radfahrenden einsichtig zeigen, belässt der Polizist es bei einer mündlichen Verwarnung. Bei Diskussionen müssen sie 55 Euro zahlen – sollte der Radfahrer zuvor auch noch einen Fußgänger behindert haben, wird ein Verwarnungsgeld in Höhe von 70 Euro fällig. Sollte er eine Person gefährdet haben, muss er 80 Euro blechen. Kommt es sogar zu einem Unfall, muss er mit einer Strafe von 100 Euro rechnen. „Würden wir alles durchgehen lassen, fährt die Radfahrerin morgen wieder auf dem Gehweg“, meint Lorey.

Norderstedts Radverkehrsplanerin Christine Haß möchte die Fahrradfahrerinnen und -fahrer sensibilisieren und darauf hinweisen, dass es für sie ungefährlicher ist, auf der Straße statt auf dem Gehweg zu fahren. „Dort können die Autofahrer sie viel besser sehen. Auf der Ulzburger Straße hat es noch nie einen Unfall im Radverkehr gegeben“, sagt Haß.

Norderstedter beschweren sich über umgestaltete Ulzburger Straße

Immer mal wieder gebe es Beschwerden bei der Stadt oder der Polizei wegen des umgestalteten „Meilensteins“. Aber eine Zählstation auf Höhe der Bäckerei Nitt zeigt, dass inzwischen immerhin 60 Prozent der Fahrradfahrer auf der Straße fahren. „Es ist besser geworden“, sagt Haß zufrieden, weiß aber gleichzeitig, dass es immer Radler geben wird, die vorzugsweise den Fußgängerweg nutzen.

Polizeihauptkommissar Steffen Hartung, der den Aktionstag am Dienstag begleitete, gibt Tipps, um Menschen auf dem Fahrrad die Angst zu nehmen, die Ulzburger Straße zu befahren. „PKW-Fahrer müssen 1,5 Meter Abstand beim Überholen halten. Weil die Straße in diesem Bereich so schmal ist, hat er keine Chance, an dem Radfahrer vorbeizukommen. Dieser kann also ruhig selbstbewusster in der Mitte fahren.“

2021 gab es in Norderstedt 139 Verkehrsunfälle mit Radfahrern

Im vergangenen Jahr hätte es laut Steffen Hartung 139 Verkehrsunfälle mit Beteiligung eines Fahrradfahrers in Norderstedt gegeben – 120 Radler seien dabei verletzt worden. Allerdings: In 87 Fällen seien sie selbst schuld und Unfallverursacher gewesen. „Radfahrer sind immer die Schwächeren“, sagt Hartung. Besonders häufig komme es an Einmündungen zu Unfällen, wenn Radler auf der falschen Straßenseite fahren und Autofahrer sie übersehen würden.

Aus Sicht von Joachim Brunkhorst hat die Umgestaltung der Ulzburger Straße „Vorbildcharakter“. „Auf diese Weise sollten weitere Straßen in Norderstedt umgebaut werden“, meint der ehemalige Radverkehrsbeauftragte des Kreises Segeberg. Der „Meilenstein“ sei die Rettung der ansässigen Kaufleute gewesen. „Untersuchungen haben gezeigt, dass die Geschäfte mehr Umsatz machen, wenn sie an einer ,langsamen 30er-Zone‘ anstatt an einer Durchfahrtsstraße mit Parkplätzen liegen.“

Radfahrer können bewerten, wie viel Spaß Fahren in Norderstedt macht

Brunkhorst weist darauf hin, dass der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) ab September wieder seinen Fahrrad-Klimatest durchführt. Unter www.fahrradklima-test.adfc.de können Radlerinnen und Radler bewerten, wie viel Spaß ihnen das Fahrradfahren in ihren Städten und Gemeinden macht.