Norderstedt. Am Harkshörner Weg haben Autos künftig freie Fahrt. Politik streitet sich über Mobilitätswende. Argumente der Kontrahenten.

Wer es ernst meint mit der Mobilitätswende in Norderstedt, der muss mit alten Gewissheiten in der Stadtentwicklung brechen. Also bei der Erschließung neuer Wohngebiete nicht nur an das Auto, Stellplätze und Tiefgaragen denken, sondern auch an autofreie Zonen, gute Anbindung an Busse und Bahnen, Raum für Fahrräder, Car-Sharing und E-Mobilität. Doch es zeigt sich, dass dieser Prozess in der Stadt zunehmend umstritten ist. Wer allzu forsch die Alternativen zum Auto propagiert, stößt schnell auf den Widerstand derer, die das Gefühl haben, man wolle sie bevormunden und ihnen vorschreiben, auf das Auto zu verzichten.

Aktuell entzündet sich dieser Konflikt im geplanten Wohngebiet am Harkshörner Weg im Norden der Stadt. Mehr als 500 Wohneinheiten für 1000 Neubürgerinnen und Neubürger sollen hier entstehen. Nun wurde das Mobilitätskonzept für das Wohngebiet im Stadtentwicklungsausschuss beschlossen. Grob gesagt standen drei Varianten zur Wahl: Komplett konventionell, also freie Fahrt für Autos und Parkplätze für jede Wohneinheit – und zwei Alternativen mit weniger und sehr viel weniger Parkplätzen, dafür Quartiersgaragen.

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Doch die forschen, autoreduzierenden Alternativen hatten im Ausschuss keine Chance. Eine Mehrheit aus acht von 14 stimmberechtigten Politikerinnen und Politikern im Ausschuss stimmte für die konventionelle Planung. CDU, Wir in Norderstedt (WiN), FDP, AfD und Freie Wähler setzen am Harkshörner Weg auf das Auto als Mobilitätskonzept, SPD, Grüne und Die Linke hätten gerne die Alternativen bevorzugt.

Das neue Wohngebiet am Harkshörner Weg (Mitte), begrenzt vom Stammgleis im Norden und der Ulzburger Straße im Westen.
Das neue Wohngebiet am Harkshörner Weg (Mitte), begrenzt vom Stammgleis im Norden und der Ulzburger Straße im Westen. © Stadt Norderstedt

Susan de Vrée, grünes Mitglied des Ausschusses für Stadtentwicklung, machte ihrem Ärger darüber in einer Mitteilung. Luft. „Wieder einmal wurde sich von den sogenannten bürgerlichen Parteien nicht an den Beschluss der Stadtvertretersitzung im Oktober 2019 gehalten, nachdem alle Beschlüsse unter der Maßgabe nachhaltiger Klima- und Umweltpolitik zu treffen sind“, sagt de Vrée. „Damit wurde einmal mehr eine echte Wende in der Norderstedter Klima- und Mobilitätspolitik blockiert und an alten, überholten und den heutigen Ansprüchen an klimagerechte Wohngebiete völlig unangemessenen Strukturen störrisch festgehalten.“

Harkshörner Weg: Radikalstes Konzept hatte keine Chance

Dass es keine Mehrheit für das radikalste Konzept der Stadtverwaltung mit dem Titel „Mobilitätswende“ gab, bei dem nur noch 85 Stellplätze für die Anwohnenden zur Verfügung gestanden hätten, damit hatte de Vrée gerechnet. Obwohl sie es gut gefunden hätte, weil weniger Autostellplätze eben auch mehr unversiegelte Grünfläche, barrierefreie Fuß- und Radverkehrsanlagen und eine „hervorragender Anbindung an den ÖPNV“ bedeutet hätten. „Nein, die sogenannten bürgerlichen Parteien konnten sich nicht einmal zu dem von der Verwaltung vorgeschlagenen Konzept ‚Autoreduziertes Wohnen‘ durchringen.“ Dabei hätte es immerhin 300 Stellplätze und eine Quartiersgarage im Viertel gegeben.

Auch der eindringliche Appell der Jugendlichen vom Kinder- und Jugendbeirat für die Berücksichtigung dieser Alternativen sei von CDU, FDP, WiN, FW und AfD ignoriert worden, sagt de Vrée. „Der konservative Block hat in den letzten Monaten schon einige zukunftsweisende Projekte abgewürgt, nach der Verhinderung des Fahrradparkhauses in Garstedt ist der Harkshörner Weg eine weitere vertane Großchance für Norderstedt.“

Für die CDU geht Stadtentwicklung auf absehbare Zeit nicht ohne Auto

Im „konservativen Block“ regt sich Widerstand gegen diese Sicht der Dinge. „Ich bin ja immer gerne für Öko-Projekte und wehre mich nicht generell gegen die Mobilitätswende – aber das muss schon ins Umfeld passen, und die Infrastruktur muss stimmen“, sagt Petra Müller-Schönemann, Stadtvertreterin der CDU. Das Wohngebiet am Harkshörner Weg sei gänzlich unpassend für autofreie Experimente, so die CDU-Stadtvertreterin. „Wir sind da oben einfach noch nicht so weit. Wir wissen nicht, ob oder bis wann die U- Bahn in den Norden verlängert wird.“ So lange reiche es als Alternative zum Auto nicht aus, nur einen Mini-Bus durchs Viertel fahren zu lassen und auf den Linienbus an der Ulzburger Straße zu verweisen. „Wir können die Leute nicht zwingen, auf das Auto zu verzichten!“

In ihrer Vision für das Viertel sei das Auto nicht wegzudenken. „Da werden Familien hinziehen wollen. Und wer mehr als ein Kind hat, der weiß, das man ständig von Pontius zu Pilatus mit ihnen fahren muss. Und – machen wir uns nichts vor – das bleibt doch meistens an den Frauen hängen. Die können das nicht mit dem Bus erledigen, die brauchen ihr Auto und den Stellplatz vor der Tür!“ Mit einem weitaus besseren ÖPNV-Netz in innenstadtnahen Bereichen seien autofreie Konzepte super. „Aber in Norderstedt werden wir auf absehbare Zeit nicht auf das Auto verzichten können – und auch Elektro- oder Wasserstoffautos müssen irgendwo abgestellt werden“, sagt Müller-Schönemann.

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Tobias Mährlein von der FDP konnte sich so gar nicht für die autofreien Konzepte am Harkshörner Weg erwärmen. „Wie soll das in der Praxis eigentlich laufen, wenn es für drei Reihenhäuser umgerechnet nur einen Stellplatz geben würde: Sollen die Leute dann losen, wer da parken darf?“ Aus seiner Sicht stecke hinter den autofreien Konzepten und in der Argumentation der Befürworter von Grünen, SPD und Linken, jede Menge Ideologie und Verbotspolitik.

„In der Realität würde das dann doch so aussehen, dass die Leute mit ihren Autos an der Harkshörner Weg ziehen und diese schließlich in der benachbarten Strandkorbsiedlung abstellen. „Diese Befürchtungen gibt es bei den Anwohnenden dort, und wir sollten sie ernst nehmen“, sagt Mährlein.