Quickborn. Vor 105 Jahren explodierte ein Sprengstoffwerk in Quickborn-Heide. Über 400 Menschen starben. Nun wird auf dem Grundstück gebaut.

Es ist eines der ungewöhnlichsten und historisch besonders belegten Neubaugrundstücke in der Norderstedter Nachbarschaft: Zwei Investoren aus Bönningstedt und Hasloh, Enno Gebensleben und Eckhard Stapelfeld, wollen das rund drei Hektar große Gelände der ehemaligen Sprengstoffwerke Thorn und Glückauf in Quickborn-Heide nahe Friedrichsgabe für 42 neue Wohneinheiten erschließen. 26 Einfamilienhäuser, zwei Doppelhäuser und zwölf Sozialwohnungen sollen errichtet werden. Und das auf Grund und Boden mit einer unheimlichen Geschichte: Denn hier, am Ende der Theodor-Storm-Straße, starben vor 105 Jahren im ersten Weltkrieg durch eine plötzliche und gewaltige Explosion vermutlich 400 der damals 2000 Mitarbeiterinnen des Sprengstoffwerkes.

In einem Buch des Historikers Friedrich Trimborn findet sich die Geschichte des Sprengstoffwerkes: Danach stellte bereits seit 1891 in der Quickborner Heide eine Fabrik Jagd- und Exerziermunition her. Ein Jahr später errichtete die Firma Thorn ein Werk für Sprengstoffe. 1904 kamen dann die Hamburger Explosivstoffwerke Glückauf hinzu, die zusammen mit den anderen Werken zu Beginn des Ersten Weltkriegs in den Norddeutschen Sprengstoffwerken aufgingen. Zeitweise arbeiteten dort mehr als 2000 Menschen.

Es war das schwerste Unglück der deutschen Sprengstoffindustrie

Eine historische Postkarte der Sprengstoffwerke Glückauf Quickborn.
Eine historische Postkarte der Sprengstoffwerke Glückauf Quickborn. © Geschichtswerkstatt Quickborn

Kurz vor sieben Uhr kam es am 10. Februar 1917 auf dem Gelände der Firma Thorn zur Explosion. Es soll die bis dahin gewaltigste Explosion in Schleswig-Holstein gewesen sein und das schwerste Unglück der deutschen Sprengstoffindustrie. Als mögliche Ursachen gelten ein plötzlicher Wetterwechsel, der zur Entladung statischer Energie führte, Sabotage oder – wohl am wahrscheinlichsten – unsachgemäßer Umgang mit schlecht gemischten und daher instabilen Sprengstoffen.

Ein Zeitzeuge (Brief aus dem Privatarchiv Robert Heins) berichtete von einer furchtbaren Erschütterung in der Region um die Explosion. Hunderte Verletzte rannten, „teils halb verrückt geworden“, durch den Ort und „schrien nach ihrer Mutter oder sonst einem Angehörigen.“

Das Chaos nach der Explosion überrollte die Region

Der kleine Bahnhof im nächstgelegenen Ort Ellerau war völlig überfüllt mit Verletzten. Die Region wurde von dem entstandenen Chaos völlig überrollt, aber man half und improvisierte tapfer: Bauern aus

Die Lage des Sprengstoffwerks in Quickborn-Heide.
Die Lage des Sprengstoffwerks in Quickborn-Heide. © HA Grafik | Frank Hasse

Quickborn, Ellerau, Renzel, Ulzburg und Friedrichsgabe brachten die Verletzten mit ihren Fuhrwerken in die Krankenhäuser; die Feuerwehr rückte aus Hamburg an. Nach neueren Recherchen der Quickborner Geschichtswerkstatt sollen auf einen Schlag bis zu 400 Menschen, fast ausschließlich Frauen, ums Leben gekommen sein.

„Es war gerade Schichtwechsel, was die hohe Zahl der Opfer erklärt“, sagt Irene Lühdorff von der Geschichtswerkstatt. Mindestens 107, vielleicht aber auch mehr Leichname wurden in einem Massengrab auf dem Quickborner Friedhof beigesetzt. Ein Mahnmal auf dem alten Friedhof in der Quickborner Innenstadt gedenkt ihrer. Wie viele Opfer völlig zerfetzt wurden und wie viele der Verletzten in Krankenhäusern oder Lazaretten starben, ist nicht genau bekannt. 103 Leichen seien bis zur Unkenntlichkeit verbrannt gewesen, schreibt der Quickborner Heimatforscher Jürgen Hühnke. Noch eine Woche später habe man weitere Leichen in der Umgebung gefunden. Die Reste der Munitionsfabriken wurden Anfang 2011 abgerissen; das seit 1917 unbebaute, teilweise als Verkehrsübungsplatz genutzte Areal ist jetzt also Bauerwartungsland.

Die Sanierung des Baugrunds wird für die Investoren sehr aufwendig

Die Investoren Enno Gebensleben (l.) und Eckhard Stapelfeld wollen das Gelände der früheren Sprengstoffwerke in Quickborn-Heide für 42 neue Wohneinheiten aufwendig erschließen.
Die Investoren Enno Gebensleben (l.) und Eckhard Stapelfeld wollen das Gelände der früheren Sprengstoffwerke in Quickborn-Heide für 42 neue Wohneinheiten aufwendig erschließen. © Burkhard Fuchs

Es ist eine sehr aufwendige und teure Erschließung für diese seit Jahrzehnten weitgehend brachliegende Industriefläche, die nach dem Krieg als Schrott- und Müllplatz diente und von Autowerkstätten genutzt wurde. Daher rührt auch die erhebliche Bodenbelastung, die jetzt gutachterlich begleitet und vom Kreis Pinneberg beaufsichtigt dazu führt, dass das gesamte Gelände von Gehölzen befreit und vollständig oberflächig abgetragen wird.

30.000 Tonnen belastete Erde werde ausgetauscht, die „erhöhte Konzentrationen für Blei und Benzo(a)pyren als bewertetes Parameter der Stoffgruppe der Polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK) aufweisen“, teilt die Kreisverwaltung dazu mit. „Im Ist-Zustand geht nach derzeitiger bodenschutzrechtlicher Einstufung keine Gefahr von dem Gelände in der Theodor-Storm-Straße in Quickborn aus“, betont Kreissprecherin Katja Wohlers.

Ein eigens dafür angefertigtes Gutachten schätzt die Sanierungskosten dafür allein auf rund 1,4 Millionen Euro. Die Stadtverwaltung hat dafür den Bebauungsplan 56 erarbeitet, dessen Einzelheiten zurzeit in den städtischen Gremien beraten werden. „Ein wesentliches Entwicklungsziel für den Stadtteil Quickborn-Heide Ost ist laut rechtskräftigem Flächennutzungsplan (2001) die Abrundung und der teilweise Umbau des Stadtteils zu einem qualitativ anspruchsvollen Wohnstandort mit geringen Bebauungsdichten“, heißt es dazu in der Begründung.

80 Kaufinteressenten gibt es für die Häuser auf der Fläche bereits

Zudem soll entlang des Awo-Kindergartens Zwergenvilla, der an das Baugrundstück grenzt, eine neue Rad- und Fußwegverbindung in Nord-Süd-Richtung angelegt werden. 1000 Quadratmeter ihres Baugrundstücks stellen die Investoren der Stadt kostenfrei zur Verfügung, um dort weitere Kita-Plätze zu schaffen. Die verkehrliche Anbindung wird über die Theodor-Storm-Straße erfolgen, die hier als Sackgasse endet. Die beiden Investoren Gebensleben und Stapelfeld, die sich mit Bauprojekten auskennen, mussten einen langen Atem haben. Bereits im Jahr 2013 hatten sie das Gelände der früheren Munitionsfabrik vom damaligen Eigentümer erworben.

Um es wie jetzt geplant mit einem neuen B-Plan zu erschließen, sei sehr viel Überzeugungsarbeit in Verwaltung und Politik notwendig gewesen, sagt Unternehmer Stapelfeld. „Der Vorbesitzer hatte offensichtlich sehr viel verbrannte Erde hinterlassen.“ Ihre ursprüngliche Planung, bis zu 100 neue Wohneinheiten zu schaffen, wurde im Laufe der Gespräche auf die jetzt geplanten 42 reduziert. Die Grundstücksgrößen sollen zwischen 540 und 920 Quadratmetern liegen.

Die Grundstückspreise dürften sich aufgrund der hohen Erschließungskosten jenseits von 600 Euro je Quadratmeter bewegen, erklären die Investoren. Ende des Jahres sollen die ersten Grundstücke verkauft werden, kündigt Mitinvestor Gebensleben an. „80 Kaufinteressenten gibt es bereits.“

Die Häuser würden keinen Erdgasanschluss erhalten, sondern sollen mit Luftwärme- oder Erdwärmepumpen beheizt werden. Die historische Mauer, die das gesamte Gelände umschließt, wird abgetragen.