Sülfeld. Bei Erforschung einer der gefährlichsten Infektionskrankheiten gilt im „Leuchtturmprojekt für Deutschland“ höchste Sicherheitsstufe.

Das weltweit modernste Forschungszentrum für Tuberkulose-Erkrankungen steht jetzt in Sülfeld auf dem Gelände des Forschungszentrums Borstel. Nach zweieinhalb Jahren Bauzeit und ebenso langer Planungsphase ist das sogenannte Nationale Referenz-Zentrum (NRZ) für Mykobakterien, wie die Krankheitserreger für Tuberkulose im Fachjargon heißen, eingeweiht worden.

13 Millionen Euro haben der Bund und das Land Schleswig-Holstein in den zweigeschossigen Kubus mit Holzfassade für 16 Laborarbeitsplätze der höchsten Sicherheitsstufe investiert. Die Lungenkrankheit Tbc, die Jahrtausende alt ist und an der jährlich immer noch 1,4 Millionen Menschen sterben, sei weiterhin eine der gefährlichsten Infektionskrankheiten überhaupt, sagte der NRZ-Leiter Prof. Florian Maurer bei der feierlichen Einweihung.

Tuberkulose-Forschungszentrum in Borstel ist „Leuchtturmprojekt“

Für Segebergs Landrat Jan Peter Schröder ist es ein „Leuchtturm-Projekt für die Gemeinde, den Kreis, das Land und ganz Deutschland“, was hier geschaffen wurde. „Wir als kommunale Familie sind stolz darauf.“ Dies sei „ein klares Statement“, dass Bund und Land weiterhin an dem Forschungszentrum festhielten, wo „im ländlichen Raum Forschungsarbeit auf Weltniveau“ betrieben werde.

Das sei wichtig für die Region und den Kreis Segeberg, der mit seinen Kliniken in Bad Segeberg, Bad Bramstedt und Henstedt-Ulzburg sowie den Medizinischen Versorgungszentren und Unternehmen in Norderstedt und eben Borstel seit vielen Jahren einen wirtschaftlichen Schwerpunkt in die medizinische Versorgung der Bevölkerung lege.

Darum sei es „ein schwerer Schlag“ für den Kreis Segeberg gewesen, als die Klinik auf dem Gelände des Forschungszentrums Borstel nach mehr als 70 Jahren zum Jahresende 2021 geschlossen wurde, wodurch 150 Mitarbeitende ihren Arbeitsplatz verloren, so der Kreisverwaltungschef.

Forschungszentrum Borstel:

Ute Teichert vom Bundesgesundheitsministerium nahm diesen Faden in ihrer Ansprache auf und versprach: „Wir werden diesen Standort weiter finanziell unterstützen.“ So wird in Wurfweite entfernt vom jetzt eingeweihten NRZ mit 720 Quadratmetern Nutzfläche noch das neue Respiratorium nach dem lateinischen Wort für Atmen gebaut, das noch einmal rund 60 Millionen Euro kosten wird und Ende nächsten Jahres fertiggestellt sein soll.

Dort entstehen auf vier Etagen Labore, Büros, Forschungseinrichtungen mit einer Gesamtfläche von 9000 Quadratmetern. 14 Forschungsteams mit 140 Beschäftigten könnten dann in modernsten Räumen und bester Technik neueste Grundlagenforschung für die Lungen- und Tbc-Medizin betreiben, kündigte Prof. Maurer an.

Ministerin Karin Prien lobt Arbeit des Forschungszentrums

Er selbst werde das nicht mehr vor Ort miterleben. Denn Maurer verlässt das Forschungszentrum im Sommer, wie Zentrumsleiter Prof. Ulrich Schaible mit Bedauern feststellte. Dabei hatte Maurer schon als junger Student in der Schweiz „von dem kleinen gallischen Dorf“ in Schleswig-Holstein geschwärmt, das international als das „Mekka“ der Tbc-Forschung gelte. Als er sich dann ein paar Jahre später hier vorstellte, sei er verwundert gewesen, mit welch‘ einfachen Verhältnissen hier Diagnostik betrieben werde, so Prof. Maurer. „Damit ist jetzt Schluss.“

Bildungs- und Wissenschaftsministerin Karin Prien freute sich, dass sie die Koalitionsverhandlungen in Kiel für diesen schönen Termin in Sülfeld schwänzen konnte. Diese Investitionen von mehr als 70 Millionen Euro in die modernste Tbc-Forschung sichere die Zukunftsfähigkeit des Forschungszentrums Borstel mit seinen jetzt noch 380 Mitarbeitenden ab, sagte sie.

Die Landesregierung sei „stolz darauf, diese Forschung hier in Schleswig-Holstein zu haben.“ In der Corona-Pandemie sei der gesellschaftliche Wert von Wissenschaft und Forschung gestiegen, sagte sie und zitierte den französischen Mikrobiologen Louis Pasteur mit dem Satz: „Gebt mir ein Labor, und ich verändere die Welt.“ Das wünsche sie sich jetzt auch für den Forschungsstandort Borstel mit seinen hochmodernen Labors.

In Borstel gilt in Laboren Sicherheitsstufe 3

Im jetzt fertiggestellten NRZ werden ab September, wenn endlich das letzte noch fehlende Sichtfenster einer Zwischentür in dem hermetisch abgeriegelten Labortrakt geliefert ist, etwa 20.000 Proben aus aller Welt nach Tbc und anderen Lungenkrankheiten untersucht. Dies geschieht künftig in einem mehrstufigen, abgesicherten Verfahren über verschiedene Eingangsklappen und schweren, panzerschrankartigen Stahltüren, erläuterten Projektleiterin Annette Diziol und Prof. Frank Petersen bei einem ersten Rundgang durch die Labore der Sicherheitsstufe S3.

Jeder Raum und jeder Arbeitsplatz stehe ständig unter Unterdruck, was verhindern soll, dass irgendein Keim nach außen dringen kann. Alle Forscherinnen und Forscher müssten wie auf Intensivstationen in Krankenhäusern durch extra Schleusen gehen, sich ausziehen und Schutzanzüge und Masken der FFP-3-Stärke oder Schutzhauben mit Filteranlagen an- und überziehen.

Jedes einzelne Material, das von außen komme, müsste durch eine Dekontaminationsschleuse, in der es eine dreiviertel Stunde lang mit Wasserstoff-Peroxid eine Desinfektionsdusche erhalte. Forschungslaboranten der Uni Graz hätten für das Forschungszentrum Borstel zudem eigens eine Notsprühanlage entwickelt, mit der jeder Raum sofort und schnell dekontaminiert werden könnte, wenn es erforderlich sein sollte, erklärte Anette Diziol. Alles sei gutachterlich begleitet geplant, in 3-D-Modellen simuliert und auf die Bedürfnisse zugeschnitten worden und erfülle damit die höchsten Sicherheitsstufen.

Tuberkulose: Bakterien entwickeln Widerstandskraft

In diesen Labors, die nun bald für Außenstehende nicht mehr zu betreten sein werden, werde Tbc-Diagnostik und vor allem auch Resistenzforschung betrieben, erklärte Prof Maurer. Denn was Tbc-Mykobakterien so gefährlich machte, sei ihre Widerstandskraft. Sie entwickelten, wenn sie die Lunge eines Menschen befallen hätten, schnell eine Resistenz gegen Antibiotika, sodass jeder vierte Todesfall auf der Welt aufgrund von Multiresistenz-Keimen heute Folgen einer Tuberkulose-Erkrankung seien.