Bad Segeberg. Zwar werden nun erstmals öffentliche Führungen am Kalkberg angeboten. Doch der Ausfall der Spiele bleibt für Segeberg ein Desaster.
Wo sonst die Indianer auf dem Kriegspfad sind, herrscht jetzt absolute Ruhe. Winnetou und Old Shatterhand müssen sich nicht mit arglistigen Widersachern abmühen. Sie können ihre Freizeit genießen: Die Karl-May-Spiele, die eigentlich am 27. Juni beginnen sollten, mussten für dieses Jahr coronabedingt abgesagt werden. Ganz verzichten müssen die Fans allerdings nicht: An zwei Tagen in der Woche bietet die Kalkberg GmbH erstmals in der Geschichte der Karl-May-Spiele öffentliche Führungen hinter den Kulissen an.
90 Minuten auf den Spuren von Winnetou – dabei verraten die Stadtführer viele Geheimnisse rund um die Karl-May-Spiele: Welche geheimen Gänge und Winkel gibt es hinter den Kulissen? Wo halten sich die Schauspieler in den Pausen auf? Wie klappt es, dass alle rechtzeitig auf die Bühne reiten oder laufen, obwohl hinter den Kulissen kein Wort zu verstehen ist? Viele Fans mögen die Führungen als einen Trost für die ausgefallene Saison ansehen, aber für Bad Segeberg ist das Corona-Aus der Karl-May-Saison mehr als ein Imageschaden.
Einen Totalausfall hatte es während der Karl-May-Ära bisher noch nie gegeben
Michael Flatt (67) zum Beispiel ist seit 66 Jahren am Kalkberg zu Hause: Schon als Baby war er dabei, wenn seine Eltern oben, am Rande des Freilichttheaters, ihren Imbiss öffneten und die Besucher der Karl-May-Spiele mit Brat- oder Currywurst und Pommes frites versorgten. Was 1954, als die Karl-May-Spiele gerade mal zwei Jahre alt waren, zaghaft begann, wurde im Laufe der Jahrzehnte eine Lebensaufgabe: 1993 übernahm Michael Flatt den Imbiss von seinen Eltern und beschäftigte 60 Saisonkräfte. In diesem Jahr bleibt die Imbiss-Klappe geschlossen: keine Spiele, keine Würstchen. Für den Imbissunternehmer Flatt eine wirtschaftliche Katastrophe, aber nicht nur für ihn: Eine ganze Region leidet, weil Winnetou und Old Shatterhand den Kampf gegen die Feinde im Wilden Westen nicht austragen dürfen.
In den 68 Jahren seit Beginn der Karl-May-Ära in Bad Segeberg mussten Aufführungen wegen starken Regens immer mal wieder abgebrochen werden, aber einen Totalausfall hatte es bisher noch nie gegeben. Weil die Festspiele im Laufe der Jahrzehnte zu einem wichtigen wirtschaftlichen Faktor in Bad Segeberg und Umgebung geworden sind, haben sich die Unternehmer darauf verlassen: Wenn oben am Kalkberg die Apachen durch die Prärie reiten, explodieren unten in der Stadt die Umsätze. Bis zu 400.000 Besucher kommen pro Saison, von denen viele vor oder nach den Aufführungen Geld in Geschäften, Gaststätten und Hotels lassen. Hinzu kommen etwa 60.000 Besucher der Open-Air-Konzerte, die an den drei Wochenenden vor Beginn der Karl-May-Proben stattfinden.
Viele Geschäftsleute sind in Sorge
Bürgermeister Dieter Schönfeld, der zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Karl-May-Spiele ist, teilt die Sorgen vieler Geschäftsleute, die normalerweise von den Spielen profitieren: „Die Corona-Krise hat menschlich und wirtschaftlich gravierende Konsequenzen. Die Karl-May-Spiele sind der touristische Motor des gesamten Segeberger Ferienlandes.“ Auch die Stadt Bad Segeberg profitiert von den Spielen, weil der Überschuss in den Stadthaushalt fließt – in den vergangenen Jahren waren das jeweils knapp über eine Million Euro.
Marlis Stagat, Sprecherin des Unternehmensverbandes in Bad Segeberg, hat erkannt, dass viele Geschäftsleute der Innenstadt in „ein großes emotionales Loch“ gefallen sind, als die Spiele abgesagt werden mussten. „Alle identifizieren sich mit den Karl-May-Spielen und profitieren ja auch davon.“ In der Fußgängerzone wurden Stadtgärten angelegt, um den Besuchern der Stadt trotzdem etwas zu bieten. Von Ende Mai bis Mitte Juni hatte der Segeberger Unternehmerverein „Wir für Segeberg“ auf dem Parkplatz von Möbel Kraft erstmals das „Auto-KuKi“ installiert: Autokino und Konzerte von Künstlern aus der Region – mit gutem Erfolg. Aber ein Ersatz für die Karl-May-Spiele, das wissen die Veranstalter, konnte das nicht sein. „Echte Sorgen mache ich mir um die gastronomischen Betriebe“, sagt Marlis Stagat.
Absage der Spiele ein Desaster
Lutz Frank, Vorsitzender der Kreisgruppe des Deutschen Hotel-und Gaststättenverbandes (Dehoga) und Betreiber des Restaurants am Ihlsee, spricht von einem „erheblichen Einnahmeverlust“ für die Betriebe. Vor allem in der Innenstadt seien die Gastronomen, aber auch die Hotels betroffen. „Genau genommen ist die Absage der Spiele ein Desaster“, sagt Frank und weist darauf hin, dass viele Karl-May-Besucher den Abstecher nach Bad Segeberg mit einem Kurzurlaub verbinden.
André Hoffmann, Betreiber des Hotels Residenz in der Segeberger Innenstadt, geht davon aus, dass etwa 50 Prozent der sonst üblichen Einnahmen am Ende der Saison fehlen werden. Da vor der Absage der Spiele 70.000 Eintrittskarten für die Karl-May-Spiele verkauft waren, hatte er für sein 30-Zimmer-Hotel bereits viele Buchungen, die jetzt storniert oder auf das nächste Jahr umgebucht wurden.
Eine bittere Pille ist die Absage der Spiele auch für alle Beteiligten. Deshalb hat die Kalkberg GmbH für die künstlerisch tätigen Mitarbeiter Kurzarbeit angemeldet. Jeder, der für die Saison 2020 einen Vertrag hat, kann auf Antrag Kurzarbeitergeld bekommen. Diese Regelung gilt auch für die Gaststars Katy Karrenbauer, Sascha Hehn und Winnetou-Darsteller Alexander Klaws. Es wird seit Beginn der Proben Ende Mai bis zum Saisonende Anfang September gezahlt. Alle Beteiligten auf und hinter der Bühne haben bereits einen Vertrag für das nächste Jahr in der Tasche: 2021 wird die für dieses Jahr geplante Inszenierung „Der Ölprinz“ aufgeführt.
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Die Kalkberg GmbH selbst hat einen Verlust von 2,5 Millionen Euro zu verkraften. „Der Verlust kann durch die Rücklage gedeckt werden, die durch umsichtiges Wirtschaften in den vergangenen Jahren aufgebaut wurde“, sagt Geschäftsführerin Ute Thienel. „Die Fortführung des Unternehmens ist durch die Gewinn- und Kapitalrücklagen sowie die Liquiditätsreserven gesichert.“
Die Führungen hinter den Kulissen der Karl-May-Spiele finden jeweils dienstags ab 12 Uhr und freitags ab 15 Uhr statt. Erstmals am Freitag, 19. Juni. Eine Teilnahme ist nur nach Anmeldung bei der Tourist-Information unter Telefon 04551/964 90 möglich. Kinder unter sechs Jahren haben freien Zugang, Jugendliche zahlen 7 Euro, Erwachsene 10 Euro.
Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde
- Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
- Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
- Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
- Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
- Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden