Norderstedt. Im Norden sind 150.000 Masken eingetroffen. Zwei Mediziner aus dem Ärztehaus am Herold-Center haben jeweils eine davon abbekommen.
Als der kleine DIN-A5-Briefumschlag in ihrer Praxis ankam, war Heike Kylies fassungslos. Lediglich eine Schutzmaske des Typs KN95 befand sich darin. „Das ist nichts“, sagt die Augenärztin aus Norderstedt. Nach 20 Minuten sei der Schutz nicht mehr gewährleistet. „Wenn er überhaupt so lange hält.“ Bereits vor vier Wochen hat Kylies Nachschub an Schutzausrüstung geordert. Neben Masken benötigt sie dringend Desinfektionsmittel, Handschuhe und Seife. „Alles ist nicht lieferbar.“
Maximal einen halben Karton mit Schutzmasken hätte sie noch in ihrer Praxis im Ärztehaus am Herold-Center. „Als Augenärztin muss ich bei der Untersuchung bis zu 30 Zentimeter an das Gesicht meines Patienten herankommen“, sagt Kylies. Sie sei zwar nicht besonders ängstlich. Aber ihrem Personal würde es nicht gut gehen mit der Situation. „Wenn meine Mitarbeiter den Patienten Augentropfen geben, trennen nur wenige Zentimeter ihre Gesichter voneinander.“
Kassenärztliche Vereinigung für Verteilung zuständig
Das Problem ist bekannt: Arztpraxen in ganz Deutschland geht während der Coronapandemie die Schutzkleidung aus. Dabei ist der Bedarf enorm. Masken, Kittel und Handschuhe fehlen millionenfach. In Schleswig-Holstein war bisher die Kassenärztliche Vereinigung (KVSH) für die Verteilung der Schutzausrüstung zuständig. Der Ablauf: Der Bund hat das Material zentral bestellt. Über die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) wurde es dann an die KVSH weitergeleitet. Zuletzt sind 150.000 Masken in Schleswig-Holstein eingetroffen. Lediglich eine davon ist bei Heike Kylies in Norderstedt angekommen. „Das ist eine bodenlose Frechheit“, sagt sie.
Nach dem Verteilerschlüssel der KVSH, die die Interessen der niedergelassenen Ärzte in Schleswig-Holstein vertritt, werden zuerst Diagnosezentren berücksichtigt. Dort werde die Schutzkleidung am dringendsten benötigt, weil Ärzte Coronaverdachtsfälle testen würden, heißt es. Als nächstes in der Verteilerkette kommen Dialysepraxen und Onkologische Praxen. Zu guter Letzt werden Haus- und Fachärzte versorgt.
„Wir tun alles Menschenmögliche, um zu helfen. Die ganze Welt wartet auf Schutzkleidung“, sagt Nikolaus Schmidt, Pressesprecher der KV in Schleswig-Holstein. Die Landesregierung hat Anfang der Woche entschieden, dass ab April die Lieferungen des Bundes an ein Zentrallager des Landes gehen. Die Schutzausrüstung soll von dort aus verteilt werden und nicht mehr über die KV. „Wir werden trotzdem weiterhin auf Eigeninitiative Schutzausrüstung bei Lieferanten bestellen“, sagt Schmidt. Aus Sicht der Kassenärztlichen Vereinigung konnte man eine solche Krise nicht vorhersehen. „Ein niedergelassener Arzt hat im Alltag normalerweise nicht mit so vielen schweren virologischen Krankheitsfällen zu tun“, sagt Schmidt. „Im Normalfall muss Schutzmaterial nicht in der momentan benötigten Größenordnung in einer Praxis vorhanden sein.“ Doch „normal“ läuft während der Coronakrise kaum etwas ab.
Fünf Schutzmasken für zwei Ärzte
Heike Kylies gibt dem Bundesgesundheitsministerium die Schuld an dem Engpass. „Als sich das Virus im Januar in China ausgebreitet hat, hätte man ahnen können, was weltweit passieren würde“, sagt die Augenärztin und greift Gesundheitsminister Jens Spahn an: „Von unserem hochgelobten Herrn Spahn sind keinerlei Vorsorgen getroffen worden.“ Man hätte ab Januar auf jeden Fall verhindern müssen, dass in Deutschland hergestellte Materialien noch ins Ausland verkauft werden, meint Kylies.
Eine ähnliche Auffassung vertritt auch Thomas Schalk. „Alles wird aus China importiert. Die Regierung muss für eine bessere Bevorratung sorgen und Schutzkleidung im eigenen Land herstellen“, sagt der Facharzt für Innere Medizin, der mit seiner Praxis wie Kylies im Ärztehaus am Herold-Center sitzt. Schalk ist extra nach Bad Segeberg gefahren, um Schutzmasken für seine Praxis abzuholen. Fünf Stück hat er bekommen. Eine für sich. Und vier für seinen Kollegen Andreas Schulz, der als Hausarzt arbeitet. So gibt es der Verteilerschlüssel vor. Mehr war nicht zu holen.