Norderstedt. Die Einrichtungen leben mit der Angst vor einem Ausbruch des Coronavirus. In Pinneberg ist dies bereits geschehen.
Im Norden breitet sich das Coronavirus weiter aus. Die Bewohner eines Altenheimes in Tornesch (Kreis Pinneberg) wurden unter Quarantäne gestellt, nachdem dort zwei infizierte Bewohnerinnen starben. 16 Pfleger und acht weitere Bewohner wurden positiv auf Sars-CoV-2 getestet. Von dieser Lage blieben die Alten- und Pflegeheime im Kreis Segeberg bisher verschont. Doch es wächst die Sorge, was im Falle einer Ansteckung in einem der Heime geschieht. Das größte Problem ist dabei offensichtlich, die Pflegekräfte mit geeigneten Atemmasken zu versorgen.
Krisenmodus: Keine Besucher und keine Veranstaltungen
Im Altenpflegeheim Scheel kommt täglich eine Arbeitsgruppe zur Krisenbewältigung zusammen. ,,Dort beraten wir immer wieder aufs Neue, wie wir weiter vorgehen und was erforderlich ist“, sagt Gunnar Löwe, der die Einrichtung gemeinsam mit seiner Schwester Siri Kudelka leitet. Der Betrieb im Altenheim läuft im Krisenmodus. Veranstaltungen finden bis auf Weiteres nicht mehr statt, die Besuchssperre gilt weiterhin. Grundlage für die Schutzmaßnahmen ist der Protection-Plan der schleswig-holsteinischen Landesregierung. ,,Wir machen uns Gedanken darüber, wie wir die Bewohner im Falle einer Ansteckung schützen“, sagt Löwe.
Bisher leben die Bewohner des Hauses in Wohngruppen zusammen. ,,Es würde bedeuten, dass die Bewohner dann rund um die Uhr in ihren Zimmern bleiben müssen.“ Noch ist kein Bewohner an Corona erkrankt. Auch bei den Pflegekräften gibt es bisher keine Anzeichen einer Infektion. ,,Die meisten Bewohner erfassen die Situation gar nicht in Gänze. Aber sie vermissen den Besuch“, sagt der Heimleiter.
Das größte Problem sei, die Mitarbeiter mit Atemmasken, Handschuhen und Desinfektionsmitteln zu versorgen. „Das Schlimmste ist, dass jetzt jede Menge Profiteure unterwegs sind. Es ist wahnsinnig schwierig, Masken et cetera zu bekommen“, sagt Löwe. Es könne nicht sein, dass für 500 Milliliter Desinfektionsmittel, die bisher 2,69 Euro gekostet hätten, jetzt 14 Euro verlangt würden. Für eine einfache Mund-Nasen-maske, die früher 45 Cent gekostet hat, würden jetzt sechs bis sieben Euro aufgerufen.
Er kenne Kollegen, die schon seit zwei Wochen keine Schutzhandschuhe mehr hätten. ,,Wir brauchen Desinfektionsmittel und Handschuhe für unsere tägliche Arbeit“, betont Löwe. ,,Wenn es keine Handschuhe gibt, kann das nicht funktionieren. Vor allem dann, wenn der erste Fall einer Coronainfektion eintritt.“ Der Vorrat an Mund-Nasenmasken reiche gerade mal noch für 30 Tage. Danach ist Schluss. Es gebe eine interne Anweisung, dass Mitarbeiter im Falle des Auftretens einer Coronainfektion im Seniorenheim FFP-II-Schutzmasken tragen sollen. ,,Wir hatten seit 1954 noch nie FFP-II-Masken in unserem Haus“, sagt Löwe. ,,Woher sollen wir die jetzt bekommen?“
Skrupellose Preistreiber machen unseriöse Angebote
Reihenweise Angebote unseriöser Firmen per E-Mail, die ,,früher billige Kugelschreiber aus China verkauft“ hätten und nun auf einmal Schutzmasken ,,gegen 100 Prozent Vorkasse“ anbieten, füllen mittlerweile den Spam-Ordner des Heimleiters. ,,Ich fordere den Staat auf, gegen diese Profiteure und Preistreiber vorzugehen und massiv zu intervenieren.“ Seine Mitarbeiter verhielten sich vorbildlich, stellten Privates zurück.
Im Norderstedter Pflegeheim Kornhooper Landhaus zeigt sich eine ähnliche Situation. ,,Unsere Pflegekräfte arbeiten täglich mit Mundschutz, um die Bewohner vor einer Coronainfektion zu schützen“, sagt Heimleiterin Kerstin Gelar. Die Vorräte reichen zwar noch für ein paar Monate, aber sie schrumpfen zusehends. ,,Unsere Bestellungen stehen in der Warteliste“, sagt die Heimleiterin.
Der Bundesverband der Privaten Alten- und Pflegeheime habe signalisiert, dass er am Wochenende zwei Millionen Masken erhalte. So richtig vorstellen kann sich das die Heimleiterin allerdings nicht. Es stelle sich zudem die Frage, wie die Masken am Ende verteilt würden. Von den hochwertigen FFP-II-Schutzmasken habe sie nur ,,ganz wenige“ für Ausnahmefälle auf Lager. Bisher gab es dafür keinen Bedarf. Niemand habe jemals damit gerechnet, dass Nachschub eines Tages knapp werden könnte. Zum Glück sei die Lage unter den Bewohnern im Landhaus ruhig. Sie zeigten Verständnis für das Besuchsverbot, ebenso ihre Angehörigen.
Im Haus Hog’n Dor in Norderstedt sorgen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür, dass die Senioren Beschäftigung haben und wenigstens einmal am Tag rauskommen. ,,Wir machen nach wie vor Spaziergänge auf der Kiebitzreihe. Einige Bewohner genießen die Sonne im Garten“, sagt Patricia Adams, Hauswirtschaftliche Pflegedienstleiterin des Heims. Im Haus Hog’n Dor wird Mund-Nasen-Schutz ebenfalls knapp. ,,Wenn uns in diesen Tagen etwas angeboten wird, stellt es sich schnell als Fake heraus“, sagt Patricia Adams.
Die Pflegedienstleiterin näht Masken in ihrer Freizeit
Seit ein paar Tagen stellt sie die Masken deshalb kurzerhand selber her. Zu Hause an der Nähmaschine. In ihrer Freizeit. ,,Die Mutter einer Mitarbeiterin ist Schneiderin. Sie hat uns die bunten Stoffe für die Masken geschenkt“, erzählt Patricia Adams. Da die Schneiderin nicht mehr selber nähen kann, habe sie sich eben an die handwerkliche Näharbeit gemacht und damit begonnen, den dreilagigen Mund-Nasen-Schutz selbst zu schneidern. Daran hinderte sie noch nicht einmal die Tatsache, dass sie mit dem Nähen ausgerechnet an ihrem 58. Geburtstag begonnen hatte. ,,Allein an dem Tag habe ich 40 Mundschutzmasken gemacht. Dabei habe ich jede Menge Bindenbänder verheizt.“
Das ungewöhnliche Engagement von Patricia Adams ändert allerdings nichts an der Tatsache, dass auch im Haus Hog’n Dor die aufwendigeren FFP-II-Schutzmasken quasi nicht mehr vorhanden sind. ,,Wir haben zwei Stück auf Lager. Für Spezialfälle“, sagt Patricia Adams. In dem Norderstedter Pflegeheim wartet man deshalb dringend darauf, dass der Hauslieferant Unizell aus Bad Schwartau endlich wieder liefern kann.