Kreis Segeberg. Viele Ereignisse sind in Vergessenheit geraten. Das Abendblatt begibt sich auf Spurensuche und hat interessante Geschichten entdeckt.
Marianne Baier steht an der halbrunden Steinmauer und blickt hinab ins Wasser: Hier beginnt Hamburgs Herz ganz unscheinbar zu schlagen. Die Vorsitzende des Hamburger Alstervereins besucht die „Kinderstube“ von Hamburgs bedeutendem Fluss, die in einem Wald- und Moorgebiet am Rande von Henstedt-Rhen liegt: Die Alsterquelle am Hein-Timm-Weg ist ein Ort, der im krassen Gegensatz zur glamourösen Hamburger Innenstadt rund um die aufgestaute Binnen- und Außenalster steht.
Aus der modderigen Quelle blubbert dunkles Wasser, das dann zunächst in Richtung Nordosten rinnt, keinesfalls aber strömt. Eine die Quelle abdeckende kunstgeschmiedete Platte stellt eine kurvenreiche Nixe und die Burg aus dem Hamburger Wappen dar. Außerdem ist die Aufschrift Quellgrund der Alster zu erkennen.
Stadt Hamburg ist Grundeigentümerin
Tatsächlich liegt die Quelle in Henstedt-Ulzburg, die Stadt Hamburg ist aber Grundeigentümerin des Geländes. Warum hat eine Millionenstadt Interesse an einer unscheinbaren Quelle, die etliche Kilometer von der Stadtgrenze entfernt in einem schleswig-holsteinischen Naturschutzgebiet liegt?
Es war zunächst nicht die Hansestadt, die das Gelände rund um die Alsterquelle erwarb, sondern im Jahre 1906 der Hamburger Alsterverein, der sechs Jahre zuvor im Stadtteil Poppenbüttel gegründet worden war. Bauer Hinrich Pruns verkaufte das Land an den Verein unter der Bedingung, dass seine Rinder die Alsterquelle weiterhin als Viehtränke nutzen konnten. „Sinn des Grundstückserwerbs war es, die Alsterquelle frei von hinderlichen Stacheldrahtzäunen als ein für die Besucher zugängliches Ausflugsziel zu erhalten“, sagt Marianne Baier, Erste Vorsitzende des Hamburger Alstervereins, der seinen Sitz im Wellingsbüttler Torhaus am Wellingsbüttler Weg 75a hat.
Alster war früher Transportweg
Die Stadt Hamburg hatte sich schon im Jahre 1678 das Recht zur regelmäßigen Räumung – also der Befreiung von übermäßigem Pflanzenbewuchs – der Alster von Naherfurth aufwärts bis zur Quelle gesichert, um den benötigten Wasserstrom zu gewährleisten. Bau- und Brennholz wurde auf der Alster in Richtung Hamburg transportiert.
Bereits 1885 hatte die freie Turnerschaft Hamburg an der Alsterquelle einen kleinen Gedenkstein aus Marmor mit zwei Bronzetafeln aufgestellt, der nach seiner Zerstörung 1905 von der Hamburger Baudeputation durch einen Findling mit neuen Bronzetafeln ersetzt wurde. Der Alsterverein baute 1907 eine runde Schutzhütte, in der bis zu 50 Personen Platz fanden. Aber immer wieder kam es rund um die Quelle zu Zerstörungen: Nicht nur die Hütte ging wenige Jahre später zu Bruch, auch die umstehenden Bäume wurden in Mitleidenschaft gezogen. 1924 stand in unmittelbarer Umgebung der Alsterquelle kein einziger Baum mehr. Als Folge errichtete der Alsterverein einen Staketenzaun rund um die Quelle – offenbar kein schöner Anblick, zumal die Holzlatten ständig mit Farbe beschmiert waren.
Die Quelle drohte durch Vandalismus zu verwahrlosen
„1940 übernahm die Stadt Hamburg das Alsterquellgrundstück vom Alsterverein, um die erforderliche Betreuung sicherzustellen“, sagt Marianne Baier. „Damit war der Verein die Verantwortung los.“ Aber auch in den folgenden Jahren kam es immer wieder zu Beschädigungen. „Die Quelle und ihre Umgebung befinden sich in einem Zustand zunehmender Verwahrlosung“, berichtete die „Hamburger Morgenpost“ 1953.
Nach einem Aufruf in der Zeitung fanden sich Freiwillige zum Aufräumen der Quelle und des Grundstücks rundherum. Es wurde eine hufeisenförmige Feldsteinmauer gebaut, die die Quelle bis heute umschließt. Als die neue Anlage im September 1953 vom damaligen Hamburger Bausenator und späteren Bürgermeister Paul Nevermann eingeweiht wurde, strömten Tausende Besucher nach Henstedt-Rhen, um den Ursprung der Hamburger Lebensader zu besichtigen.
Aber viel Freude hatte Hamburg auch in den nächsten Jahren nicht an der Alsterquelle: Es kam immer wieder zu Zerstörungen, es wurde dort Unrat abgekippt und Bäume wurden gefällt. Auch die oben beschriebene, 1968 vom Hamburger Künstler Volker Meier kunstvoll gestaltete Bronzeplatte, die den „Quellgrund der Alster“ nach dem Vorbild der reich verzierten Hamburger Sieldeckel markiert, wurde 1980 entwendet. Sie tauchte allerdings drei Jahre später unversehrt wieder auf und befindet sich heute an ihrem alten Platz.
Seitdem geht es optisch bergauf mit der Alsterquelle. Das liegt nicht so sehr an der Stadt Hamburg, die sich um ihr Gelände wenig kümmert, sondern eher an der Gemeinde Henstedt-Ulzburg: Sie ließ dort einen Unterstand mit Bänken aufstellen.
Alsterquelle in besserem Zustand
Wenn Marianne Baier die Alsterquelle besucht, freut sie sich über den inzwischen guten und aufgeräumten Zustand: „Das ist doch jetzt ein Schmuckstück geworden.“ Und immer wieder trifft sie dort auch Ausflügler, die oft aus Hamburg kommen, um sich den Ursprung der Hamburger Lebensader anzusehen. „Für Fahrradfahrer ist das ein lohnendes und interessantes Ziel“, sagt die Vorsitzende des Alstervereins.
An dieser Stelle beginnt ein Wander- und Radwegenetz, das quer durch das Naturschutzgebiet Oberalsterniederung bis hin zur Hamburger Außen- und Binnenalster führt. Von der Quelle bis zur Mündung in die Elbe ist die Alster 56 Kilometer lang.
Ein literarisches Denkmal setzte der Autor Detlev von Liliencron (1844-1909) in seinem autobiografischen Roman Leben und Lüge der Alsterquelle: „Jeder in Hamburg Geborene müßte verpflichtet sein, wenigstens einmal in seinem Leben hinzugehen, um dort mit übereinander geschlagenen Armen seine tiefe Verbeugung zu machen vor der heiligen Quelle.“
So geht’s zur Alsterquelle: Die Quelle liegt etwa 100 Meter abseits der Straße Quellenweg im Henstedt-Ulzburger Ortsteil Rhen. Sie ist gut ausgeschildert.