Kiel/Norderstedt. Ein Student aus gutem Hause wurde zum Seriendieb. Vor dem Kieler Landgericht kam der 33-Jährige jetzt mit Bewährung davon.

Warum wird ein finanziell gut gestellter Student zum Seriendieb? Florian L. (33, Name geändert) aus Duvenstedt ließ sein Studium schleifen und brach stattdessen im Raum Norderstedt reihenweise Autos von Frauen auf. Geldnot war es nicht, die den gelernten Einzelhandelskaufmann antrieb. Zu den Tatorten kutschierte der nicht vorbestrafte junge Mann im sportlichen Roadster. „Es war dieser Kick, dieses Verlangen nach Adrenalin“, bekennt der Sohn aus einer Akademikerfamilie vor dem Kieler Landgericht.

Als die Ermittler der Kriminalpolizei Norderstedt Florian L. im Januar 2017 auf einem Parkplatz auf frischer Tat festnehmen, sind die Beamten sicher, den Mann geschnappt zu haben, der für 160 Autoaufbrüche in Schleswig-Holstein und Hamburg verantwortlich ist. Eine Tat glich der anderen: Fenster der Beifahrertür zerstören, Tasche rausholen, flüchten – es dauerte weniger als eine Minute. Den Schaden beziffern die Polizisten auf etwa 160.000 Euro. Florian L. legte ein Teilgeständnis ab.

Vor dem Landgericht wirkt der 33-Jährige solide wie ein harmloser Bankangestellter, und er weiß sich auszudrücken. Seine Neigung zu Straftaten und Designerdrogen bekämpfe er seit Januar mit einer Therapie, sagt er aus. Der Richter bezeichnet Florian L. als „eine sehr auffällige Ausnahme“. Die Eltern bieten ihrem Jüngsten Kost und Logis, sie begleiten ihn auch zum Prozess. Das Aufbrechen der Autos, so sagte Florian L., habe nichts mit der Finanzierung seines regen Konsums von Speed und Ecstasy zu tun gehabt. Die Drogen habe er mit dem Gehalt aus einem Gelegenheitsjob bezahlt. Auf die Idee mit den Raubzügen in Autos habe ihn ein Mann gebracht, den er als Stammkunde an seinem Arbeitsplatz kennenlernte und mit dem er sich anfreundete. Bei einem Spaziergang am Abend habe dieser unvermittelt seine kriminelle Energie freigesetzt, erzählte er: „Plötzlich bückte er sich, schlug eine Scheibe ein und zog eine Damenhandtasche aus dem Pkw.“

Das Beutestück habe man gemeinsam durchsucht, berichtete der Angeklagte. „Das hat mich so fasziniert, ich habe mich anstecken lassen.“ Bald habe er auch Alleingänge unternommen. Die plante er offenbar akribisch: IT-Spezialisten der Polizei stellten bei einer PC-Auswertung fest, dass L. mittels exzessiver Internetrecherchen geeignete Tatorte im Kreis Segeberg ausspähte. „Wenn ich erfolgreich war, wurde ich belohnt“, sagt er. Auf naturnahen Parkplätzen zwischen Quickborn, Norderstedt und Tangstedt, wo Frauen ihren Hund spazieren führten oder sich in Reiterhöfen um ihr Pferd kümmerten, schlug er zu. Florian L. erbeutete Bargeld, Smartphones, Laptops, teure Designertaschen und -Portemonnaies, die er teilweise weiterverkaufte. In zwei Fällen lag den gestohlenen EC-Karten die Geheimzahl bei. Florian L. hob damit jeweils 1000 Euro am Geldautomaten ab.

Staatsanwaltschaft forderte drei Jahre Haft

Von den ursprünglich 160 Taten, die ihm die Polizei vorgeworfen hatte, konnte ihm letztlich nur ein Bruchteil nachgewiesen werden. Für 15 Pkw-Aufbrüche im zweiten Halbjahr 2016 hatte ihn das Amtsgericht Neumünster kurz vor Weihnachten 2017 zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Weitere fünf Taten in der Region trugen seine Handschrift, waren ihm laut Urteil aber nicht zweifelsfrei nachzuweisen. Die Staatsanwaltschaft sah dies anders und legte Rechtsmittel ein. Auch die Verteidigung ging in Berufung.

Drei Jahre Haft für 20 Aufbrüche forderte nun der Ankläger im Berufungsprozess vor dem Landgericht. Die Staatsanwaltschaft wollte den 33-Jährigen also im Gefängnis sehen. Im Gegensatz zu Florian L.s Anwälten sah man keine positive Sozialprognose. Für diesen Eindruck hatte der Angeklagte selbst die besten Beweise geliefert. Tatsächlich hatte L. nur wenige Wochen nach seinem ersten Prozess in Neumünster erneut ein Auto aufgebrochen. Nach diesem, wie er es ausdrückte, „einmaligen Rückfall“ saß er wegen Wiederholungsgefahr einen Monat lang in U-Haft. Seine Anwälte zeigten sich erschüttert über ihren Mandanten.

„Der Rückfall war der Augenöffner für mich“, sagt Florian L., der sich umgehend nach Hilfe umsah. Der Berufungskammer legte er einen sauber geführten Aktenordner mit Nachweisen für pünktlich absolvierte Therapiesitzungen und engmaschige Urinkontrollen vor. Darüber hinaus versprach der Langzeitstudent einen zügigen Abschluss seines Studiums. Dem wollte das Gericht nicht im Wege stehen und bestätigte das erstinstanzliche Urteil aus Neumünster.